Zeitplanung in der Technischen Dokumentation: Laokoon und das Kalenderblatt 29.09.201107.04.2018 Ein unter Dienstleistern in der technischen Dokumentation sehr häufig anzutreffendes Problem ist der ständige Kampf um Termine und mit Terminen. Dabei zählt die Termintreue zu den Grundanforderungen an den Technischen Redakteur. Aber nicht nur ihn: eine ganze Branche hat sich das Denken zu eigen gemacht, lieber termingetreu ein halb fertiges Produkt zu liefern als mit einem perfekten Produkt zu spät zu kommen. Das geht in der Technischen Dokumention aber meist nicht, denn eine halbe Betriebsanleitung ist gar keine Betriebsanleitung. Warum aber ist es dann so schwierig für den Technischen Redakteur, zu einem bestimmten Termin zu liefern? Ganz einfach: er kann nicht. Der Lauf im Kreis „Wer nicht weiß, wo er hin will, der weiß auch nicht, wo er raus kommt.“ (Projektmanager-Weisheit) Nicht weil er inkompetent wäre, weil er sich permanent überschätzt oder keine Ahnung von Zeitmanagement hat – nein, er kann nicht termintreu sein, weil er nicht darf. Das betrifft sowohl festangestellte Redakteure wie auch selbstständige, die meist nicht nur einen Kunden betreuen. Um das zu betrachten, muss man etwas weiter in das Umfeld des Unternehmens bzw. Kunden schauen: Die Technische Dokumentation ist nicht nur Bestandteil des Produkts, sie ist auch organisatorisch und verwaltungstechnisch ein Teil des gesamten Produktionsprozesses. Unabhängig vom Zeitfenster lässt sich ein klassischer Produktionsprozess in einen viergeteilten Zyklus einteilen: Konzeption Planung Produktion Vertrieb Nun wird jeder Technische Redakteur bestätigen können, dass er und seine Dienstleistung (das ist sie ja auch bei festangestellten Redakteuren) meist in der Phase hinzugerufen wird, wenn die Zeichnungen das virtuelle Reißbrett verlassen haben, wenn das Produkt aus der Planungsphase in die Produktionsphase (die Montage und Fertigung) tritt. Ist ja klar, vorher gibt es wenig zu sehen und meist ergeben sich immer noch kleine Änderungen während der Produktion (oder auch Programmierung). Die Tatsache, dass der Redakteur erst recht spät hinzugerufen wird, hat aber nicht nur Auswirkungen auf seinen eigenen Dokumentationsprozess, sondern auf den Gesamtprozess. Er kann nämlich – sofern man Dokumentation als Produkt begreift und nicht nur als seitenfüllende kleine schwarze Punkte auf Papier – mit seiner eigenen Prozessplanung erst dann anfangen. Er durcheilt die Konzeptions- und Planungsphase seiner Dokumentation im Eiltempo, um vermeintlich verlorenen Boden wieder gutmachen zu können. Bei Selbstständigen kommt dann noch dazu, dass sie ja auch eine Kapazitätsplanung durchführen müssen – sie werden ja nicht für Anwesenheit und Verfügbarkeit bezahlt. Das Zeitfenster schrumpft Für den Redakteur bedeutet dies natürlich zunächst Qualitätsverlust, denn gerade bei nicht standardisierten Produkten kommt der Konzeptionsphase der Dokumentation große Bedeutung zu. Sie fordert einen hohen zeitlichen Tribut, denn der Herstellungsprozess bei Maschinen oder Software ist nie 1:1 auf eine Dokumentation übertragbar (was den meisten Produktmanagern gar nicht bekannt ist). Der Redakteur muss vom Anwender her denken, muss aus kryptischen Kommentaren der Programmierer oder aus überdimensionalen Montagezeichnungen nutzbare Informationen machen. Wenn sich dann während der Produktionsphase des Produkts Änderungen ergeben, wird die Zeit noch enger. Normalerweise reagiert die Redaktion dann mit Panik oder zumindest hektischer Betriebsamkeit – beides Faktoren, die die Situation noch verschärfen. Denn nun steigt die Fehlerquote, es werden bestimmte Features übersehen oder bewusst vernachlässigt. Schnell werden Informationen „irgendwo“ in der Dokumentation vergraben („Liest sowieso keiner!“) oder an mehreren Stellen widersprüchlich beschrieben. Die innere Logik und die Kohärenz der Informationen löst sich auf, die Dokumentation ähnelt mehr und mehr einem Flickenteppich eines internationalen schwedischen Einrichtungskonzerns denn einem echten Teppich. Die Folgen sind absehbar: Chaos und Demotivation. Rückwärts denken Meist beginnt das Problem mit dem Planungsfehler, dass die Dokumentation analog zu sonstigen Produktionsprozess „von vorne“ geplant wird: Nach der Konzeptionsphase beginnt die Planungsphase, dann die Freigabe, dann die Fertigung usw. In der Technischen Dokumentation ist das aber anders herum: Es wird vom Lieferdatum aus „rückwärts“ geplant: Wie viele Wochen benötigt die Übersetzung? Wann muss dann die inhaltliche Freigabe erfolgen? Wie lange dauern Korrekturen? Wann muss dann der erste Entwurf stehen? Wenn man die beiden Zeitschienen von Produkt und Dokumentation nebeneinander stellt, entpuppt sich der allzu forsche Produktionsabschnitt als reine Fiktion: das Produkt kann nicht geliefert werden, weil die Dokumentation noch gar nicht fertig sein kann. Mit anderen Worten: der von der Planung vorgegebene Termin ist nicht zu halten. Und war es auch nie. Das ist aber nur zum Teil die Schuld des Produktmanagers. Was tun? Es passiert oft. Leider. Denn es sollte nur einmal passieren – wenn alle Beteiligten daraus lernen würden. Nun lässt sich als Redakteur nur in den seltensten Fällen ein Einfluss auf die Gesamtplanung nehmen, denn da würde ja der Schwanz mit dem Hund wackeln: Wer als Redakteur (festangestellt oder als externer Dienstleister) um Aufschub bittet, weil die Dokumentation nicht fertig ist, macht sich unglaubwürdig und zu Recht den Eindruck, er habe seine Arbeit nicht im Griff. Wie wäre es aber, einen eigenen Plan entgegen zu setzen? Es ist nämlich durchaus möglich, die einzelnen Phasen seines Dokumentationsprozesses abzuschätzen – und zwar ganz einfach: man benötigt eine Tabelle mit zwei Spalten. In die linken Spalte kommen die Tätigkeiten („Recherche vor Ort“, Konzeption“, „Layout“, „Übersetzung“, die Reihenfolge kann beliebig sein), in die rechte Spalte kommen die geschätzten Aufwände (nicht Dauer!). Und wenn es sich nicht schätzen lässt, muss die linke Spalte detaillierter unterteilt werden (statt „Draft“ dann eben „Funktionsbeschreibung“, „Wartung“, „Einrichtung“). Wer diese Zahlen dann addiert, kommt auf einen Wert, mit dem sich schon einmal gut hantieren lässt. Wenn man mit diesem Aufwandswert und einem Blick in den Kalender auch die voraussichtliche Dauer absehen kann, muss man diese nur noch gegen den Liefertermin für das Produkt halten – und weiß sofort, ob die Dokumentation rechtzeitig fertig werden kann. Bei mehreren Projekten muss man die Zahlen für den Aufwand eben „strecken“ – aber das geht dann schon in die „echte“ Projektplanung … Wer mit diesem „Plänchen“ dann zu seinem Auftraggeber oder Projektleiter geht, hat sehr gute karten, von diesem auch Ernst genommen zu werden. Und vielleicht beim nächsten Mal rechtzeitig gefragt zu werden. Bild oben: Die Laokoon-Gruppe im Vatikanischen Museum (Felice de Fredis, 1508). Der Sage nach erkannte Laokoon als einziger Trojaner den Betrug der Griechen, worauf ihm die Göttern zwei Schlangen schickten, die seine Söhne töteten. 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