Gehirngekrakel: von der Idee zur Zeichnung 25.11.201703.11.2018 Kreativität sei 10% Inspiration und 90% Transpiration, hat mal Thomas Edison behauptet – stimmt auch ungefähr. Herr Edison konnte zwar alles mögliche, aber als Technischer Redakteur ist er nicht bekannt. Ob sich diese Spezies also zu den Kreativen zählen darf, liegt im Ermessen des Einzelnen. Denn eigentlich sind Technische Redakteure so ziemlich die letzten, die man zu den „Kreativberufen“ zählen würde. Dennoch sind auch Technische Redakteure oft gezwungen, Probleme kreativ zu lösen. Das kann gerade bei der Visualisierung technischer Prozesse eine gewisse Herausforderung sein, sind sie doch gewohnt, in Texten und Tabellen zu denken. Vor allem textreduzierte Anleitungen, bei denen der Schwerpunkt auf der sinnvollen und in sich geschlossenen Handlungsfolge mit möglichst wenig Textanteil liegt, erfordern ein gewisses Umdenken: für manchen Redakteur ist es der Wechsel von Papyrus auf Höhlenmalerei. Ein Beispiel, dass es trotz allem auch für Technische Redakteure möglich ist, Informationen bildlich darzustellen, soll nachfolgend vorgestellt werden – einschließlich der Schritte und Überlegungen, der Werkzeuge und Beschränkungen, die damit zusammenhängen. Stellen Sie sich vor, es müssten bis zu 15 aufeinanderfolgende Handlungsschritte zur Montage oder Demontage eines Geräts in einer einzigen Zeichnung untergebracht werden. Auf der nächsten Seite folgt dann die nächste Handlungsfolge mit anderen Bauteilen und Schritten. Das geht solange, bis das Gerät in mehr als 200 Einzelteile und Baugruppen zerlegt wird, die dann anschließend jeweils auseinandergenommen und wieder zusammengebaut werden. Die Schritt-für-Schritt-Anleitung ist Teil einer Schulungsunterlage, die Servicetechniker unterstützen soll, das Gerät komplett zu zerlegen, defekte Bauteile zu identifizieren und zu bestellen (die jeweils relevanten Ersatzteilzeichnungen und Bestellnummern werden auf der gegenüberliegenden Seite jeder Handlungsfolge abgebildet). Dies ergibt zum Schluss ein Dokument, dass der Benutzer aufgeklappt vor sich liegen hat und auf einen Blick alle Bauteile, Handlungsschritte und Informationen erhält – einschließlich Sicherheitshinweisen und Zusatzinformationen. So sieht eine Seite der Quelldatei aus mit Ideen und Anforderungen, die zu berücksichtigen sind. Ausgangsbasis Was man braucht: Eine Zusammenstellung und grobe Aufteilung mit zahlreichen handschriftlichen Eintragungen als Hardcopy Das Gerät selbst, um die handschriftlichen Eintragungen nachvollziehen zu können Das CAD-Modell ohne die zusätzlich benötigten Modelle der Werkzeuge Überlegungen Bevor man sich auf die Ausarbeitung stürzt, gilt es noch die Faktoren zu bedenken, die vor allem für den Ablauf des Erstellungsprozesses wichtig sind: Wer kommuniziert mit wem?1 Wie wird kommuniziert (E‑Mail, Telefon, Chat, …)? Die beiden Erstgenannten kommen hier sehr schnell an ihre Grenzen, denn es wird eiserne Disziplin benötigt, an alle gegebenenfalls Betroffenen eine E‑Mail zu schicken und alle anderen ins CC aufzunehmen.2 Wie funktioniert die Datenorganisation? Wie werden die einzelnen Grafiken angelegt, damit sie schnell angepasst werden können und möglichst auf wiederverwendbare Bausteine zurückgreifen können? Vorbereitungen und Setup Zusätzlich zu den oben genannten Punkten müssen noch die handwerklichen Aspekte gelöst werden, denn jede Grafik, die angelegt wird, muss für spätere Korrekturen leicht anpassbar sein. Das beginnt schon mit der schlichten Frage nach der Größe: welches Maß sollen die Bilder bekommen? So sieht die Skizze für das Layout aus. Das hilft bei der Festlegung der Beschränkungen. Als Basis dient natürlich das Layout für die Ausgabe: A4 quer. Das Bild kommt nach links, der Text mit knapp bemessenen Handlungsschritten nach rechts. Wegen der handlichen Teilbarkeit für die zusätzlichen „Insets“ – also die kleinen Bildchen im großen Hauptbild – ist ein Maß von 12 cm x 12 cm überaus praktisch, da dadurch die Insets problemlos vielseitige Proportionen besitzen können: ob 3x3 oder 4x3 oder 3x4 oder 12x6 – die Proportionen bleiben erhalten. Darüber hinaus können die Zeichnungsobjekte sehr einfach ausgerichtet werden. Für die Ausgabe (hier als PNG) lässt sich in aktuellen Programmversionen von Illustrator CC eine Einstellung treffen, die alle Ausgabeschritte zusammenfasst (Angabe des Zielordners, der Auflösung, des Dateiformates und des Dateinamens) und damit standardisierte Bilder erzeugt. Damit stand das Template fest. Größtenteils. Denn manche Bilder zeigten die Montage und Demontage eines Bauteils auf unterschiedlichen Seiten, andere auf einer Seite. Das bedeutet, dass der Leser optisch Montage und Demontage auf einer Seite auseinanderhalten können muss und dafür dann auch die entsprechenden Piktogramme benötigt, die noch angelegt werden müssen – ebenso wie die den Hinweis, ein Bauteil (z.B. Schraube) vor dem Einbau zu schmieren oder einen Tropfen Kleber anzubringen. Auch dazu braucht es Piktogramme. Und natürlich noch die Festlegungen trivialer Art: welche Farben werden benutzt, wie werden Teile hervorgehoben, wie werden Teile angedeutet, die verdeckt sind, aber auf die verwiesen werden muss, wie zeigt man Bewegungen – das ist Alltag für den Illustrator, aber muss vorab geklärt sein, um nicht spät im Projekt vom Änderungsaufwand erschlagen zu werden. Die Piktogramme und die unterschiedlichen Nummerierungsformate (es müssen Handlungsschritte und Bauteilnummern unterschieden werden können) werden als „Bibliothek“ in Adobe Illustrator vorbereitet und können dann einfach auf die Zeichnung geschoben werden. Am zweckmäßigsten legt man sich die Bibliothek in den aktuellen Programmversionen in der „Adobe Creative Cloud“ an, um sie direkt aus der Palette in die Grafiken ziehen zu können (siehe auch Adobe Creative Cloud: Ab in die Wolken) Piktogramme für Montage/Demontage, Hinweis und Warnung, Schmiermittel und Kleber, unterschiedliche Nummerierungsformate für Handlungsschritte, Ersatzteile und Einzelheiten sowie den Prüfprozess – alles muss rein. Auf der anderen Seite steht aber ein komplexes CAD-Modell, das ebenfalls vorbereitet werden muss: die Handlungsfolgen werden im Programm „Visual Enterprise Author“ als Portfolio angelegt und die einzelnen Bauteilansichten darin untergebracht. Es entsteht daher für das Modell eine eigene Ansichts-Bibliothek, die immer ein Bauteil zeigt und am Ende der Handlungsfolge die Bauteile, die dann noch übrig sind. Diese Ansichten werden dann für die Bildmontage als Vektorgrafik exportiert („ausgeleitet“) und können dann mit dem eigentlichen Grafikprogramm nachbearbeitet (Strichstärke, ‑farbe) und angeordnet werden. Der Einfachheit halber empfiehlt es sich, hier mit isometrischen Ansichten zu arbeiten, damit die fast unvermeidlichen „Extras“ wie zu grob konstruierte Ellipsen3 später noch im Grafikprogramm korrigiert werden können. Kommunikation und Datenaustausch Und noch etwas gilt es zu klären, bevor die erste Grafik den Rechner verlässt: die Kommunikation. Denn es handelt sich hier zwar nur um eine Schulungsunterlage, aber um etwa 200 Bilder mit Insets, die einzeln auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit kontrolliert werden müssen. Erst alle Grafiken zu erstellen, wäre hier die gefährlichste Vorgehensweise, denn damit werden konzeptionelle Schwächen (wenn beispielsweise nicht alle Informationen auf einer Seite untergebracht werden können) zu spät erkannt. Also müssen alle Beteiligten dem Redakteur möglichst „über die Schulter schauen“ und sehr früh – am besten bereits nach jedem Bild – eingebunden werden können. Pro Bild und Iterationsstufe eine E‑Mail an alle und dann Antworten sammeln? Unmöglich. Was bei Rückfragen an einzelnen Teilnehmer noch machbar wäre (ich schicke den Screenshot, Du malst rein), geht hier nicht mehr. Die Lösung lautet „Dropbox“ (siehe auch Die Dropbox-Office: Let’s work together 2.0). Eine Grafik und ihre Kommentare in der Dropbox. Alle Beteiligten werden bei Antworten und Kommentaren sofort benachrichtigt – entweder im Browserfenster oder über die entsprechende Funktion des Betriebssystems. Neu erstellte Grafiken (in diesem Fall hochauflösende PNG mit 300 ppi für die PowerPoint-Präsentation per Beamer und als Druck) werden einfach in das Browserfenster des Bilderordners gezogen und können sowohl kommentiert werden als auch mit Kommentaren direkt im Bild markiert werden. Bei kleinen Änderungen verkürzt sich dadurch der gesamte Korrekturprozess auf wenige Minuten pro Bild. Planung und Durchführung Und damit kommen wir zur handwerklichen Frage: wie füllen wir die Seiten? Wie verteilen wir Zeichnungsobjekte, damit noch Platz bleibt für die kleinen Insets – und wieviele passen überhaupt hinein, bevor der Leser völlig die Übersicht verliert? Wie stellt der Leser einen Bezug her zwischen der Hauptzeichnung und dem Inset, das sich nur auf wenige Bauteile bezieht? Mit anderen Worten: Wie liest man ein Bild? Um diese Frage anzugehen, empfiehlt sich ein Scribble, das darüber hinaus den Vorteil hat, dass man sich intensiv mit dem Quellmaterial beschäftigt, der Frage, wie und aus welcher Perspektive die Objekte dargestellt werden sollen – und natürlich, wieviel Platz man für Insets benötigt. So sieht die Skizze (Scribble) für die oben abgebildete Seite aus – allerdings mit Informationen, die sowohl die Demontage als auch die Montage der Bauteile betreffen. Weil nicht alles auf eine Seite passt, muss halt noch eine Seite eingefügt werden, was mit Penultimate kein Problem ist. Freihandzeichnungen (Scribbles) sind nämlich ein sehr probates Mittel, um überhaupt Übersicht zu gewinnen über die Objekte und ihre Anordnung auf der „Leinwand“. So wie auch ein Maler nicht einfach mit dem Ölpinsel zu malen beginnt, sondern einen Entwurf aus seinem Skizzenbuch als Vorlage benutzt, lässt sich das auch als Technischer Redakteur handhaben. Praktischerweise kann man dazu sowohl ein echtes Skizzenbuch verwenden (siehe Wenn die Muse küsst), man kann aber auch ein digitales Hilfsmittel wie ein Tablet benutzen (mit digitalem Stift). Das digitale Medium hat den Vorteil, dass die Entwürfe automatisch archiviert und sortiert werden. Für dieses Projekt ist „Penultimate“ zum Einsatz gekommen, dass sich in Kombination mit Evernote ganz hervorragend eignet, alle projektrelevanten Informationen abzulegen, wie beispielsweise E‑Mails, Screenshots und Notizen. Das entsprechende Notizbuch in Evernote mit allen Scribbles und Notizen Randnotiz: Ähnlich wie in der Dropbox ließe sich auch hier noch eine „Mitlese- und Kommunikations-Funktion“ einbauen, die beispielsweise das Mitlesen und Kommentieren für die interne Kommunikation (unter Kollegen) erleichtert. Der Auftraggeber muss das nicht sehen – außer natürlich, man benutzt Evernote für die „andere“ Hälfte des Kommunikationsprozesses – also den, der noch über E‑Mail stattfindet.4 Sind die Scribbles angelegt und die Ansichten des CAD-Modells vorhanden, beginnt die eigentliche Umsetzung mit dem Grafikprogramm. Bis jetzt ist aber schon vermutlich ein gutes Drittel des gesamten Stundenbudgets aufgebraucht – ohne dass der Auftraggeber ein Bild sieht. In dieser kritischen Kommunikationsphase empfiehlt es sich, zum einen mit einem klaren Fahrplan zu arbeiten und Zuverlässigkeit zu demonstrieren („Bis Montag erhalten Sie die ersten Grafiken in der Dropbox!“), als auch mit der Bereitschaft und Disziplin, ein oder zwei Wochenenden zu opfern, um aufkommende Panik zu vermeiden. An dieser Stelle ist jedes Lebenszeichen per E‑Mail und die Vermittlung einer effektiven und effizienten Selbstorganisation pures Gold wert: Jede Kommunikation ist besser als keine Kommunikation.5 Ab hier folgt Handwerk und Transpiration: Grafiken ausleiten aus dem CAD-Modell Objekte anpassen an die Designvorgaben (Strichstärke, Farben etc.) Objekte auf dem Template anlegen und Raumachsen definieren Ebenen anlegen für Prozesse, die zusammengehören (beispielsweise sollten Demontage, Montage und die entsprechenden Ersatzteilzeichnungen einer Handlungsfolge in einer Datei angelegt werden, deren Ebenen sich passend ein- und ausblenden lassen) Ausgabe, kurze visuelle Kontrolle, Upload und ggf. Nachricht Natürlich tauchen noch während der Grafikerstellung Änderungen auf, die man berücksichtigen muss – mal entfällt ein Inset, mal muss ein weiteres Inset hinzu, was dazu führt, dass man die einzelnen Zeichnungsobjekte auf den betroffenen Ebenen verschieben muss, aber das ist relativ überschaubar, wenn die Planung und Vorbereitung gut war. Tja, und das war’s dann auch schon. Und weil es so schön war, folgt noch das finale Bild der anfangs gezeigten Darstellung der Seite. Für Projektmanager: das sind so genannte „Stakeholder“, also die Personen, die zu irgendeinem Zeitpunkt des gesamten Prozesses beteiligt sind (Produktleiter, Vertriebsleiter, Übersetzer, …) und entscheidend zum Ge- oder Misslingen beitragen. ↩Bei manchen „Stakeholdern“ quillt dann schnell das Postfach über und die wichtige Anfrage geht unter oder wird zu spät gesehen. ↩In Konstruktionsprogrammen werden Körper nur aus Polygonen zusammengesetzt, deren Größe und Anzahl die Genauigkeit der Kurve bestimmt. Bei Rundteilen und unregelmäßig geformten Körpern wie Kunststoffelementen kann das mitunter zu sehr eckigen Darstellungen führen. ↩Dieser Teil das wird in Deutschland aufgrund der vererbten Technikskepsis und allgemeiner Ablehnung moderner Echtzeitkommunikation erst in ein paar Jahren umsetzbar sein. ↩Der Auftraggeber muss über die Unterlagen hinaus planen: die Schulungsleiter vorbereiten, Termine und Räume organisieren, gegebenenfalls Übersetzungen anstoßen – der braucht Termine, mit denen er arbeiten kann. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailBlueskyMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … dokumentation redaktion tools Work IllustrationVektorgrafik
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