
Früher war alles besser: der Himmel blauer, die Männer härter und die Schüler schlauer. Ach was! – Zumindest der dritte Teil der Aussage lässt sich hervorragend widerlegen, wenn man heutigen Schülern dabei zusieht, wie sie ihren Wissens- und Erkenntnishorizont erweitern. Wissenserwerb im dritten Jahrtausend ist nämlich nicht mehr das mehr oder weniger (un)reflektierte Nachbeten der Lehreraussage, sondern die Selbstständigkeit in der Organisation und Verarbeitung von Aufgaben und Wissensgebieten. Nicht mehr das Auswendiglernen chemischer Formeln (auch wenn dies immer noch ein Teil des Stoffs ist), sondern das Erkennen und Darstellen von Zusammenhängen, von Ursachen und Wirkungen.
Was den Erwachsenen in den letzten 15 bis 20 Jahren im Berufsleben Kopfschmerzen und Stress verursacht, das müssen Schüler bereits in der Pubertät bewältigen. Das Faszinierende dabei ist: die schaffen das auch.
Allen Unkenrufen alternder Professoren, Alarmisten und sonstiger Digitalmigranten zum Trotz sind die angehenden Erwachsenen, die den „Y2K-Bug“ nur noch vom Hörensagen kennen, nämlich durchaus in der Lage, sich in einer digitalisierten Welt zurechtzufinden und sie für sich und ihre Bildung zu nutzen.
Beispiele gefällig?
Dass Schüler sich über soziale Medien austauschen – und zwar nicht nur über das Aussehen der Mitschüler, sondern vor allem über den Inhalt der Hausaufgaben – ist kein Geheimnis. Auch dies funktioniert nämlich durchaus reziprok: Jeder versucht zum Wissenserwerb beizutragen, ob er nun die Aufgabenstellung zusammenfasst oder ein paar Seiten aus einem elterlichen Buch einscannt und allen zur Verfügung stellt.
Als „Pre-Millenial“1 allerdings faszinierend zu beobachten ist der Umgang mit der Kommunikationstechnik und die dazu gehörigen Organisationsstrategien. Die Generation der „Post-Millenials“ ist mit Smartphones und der Cloud aufgewachsen, lebt in einer Welt des kontrollierten „Sharings“ und der zwischenmenschlichen Kommunikation, in der Begriffe wie „Herrschaftswissen“ Fremdwörter sind: jeder, der über ein digitales Kommunikationsgerät verfügt, gehört dazu (vgl. auch „The Age of Access“ von J. Rifkin).
Ein anderes Beispiel: Schüler sind weitaus mehr als früher von ihren Lehrern und dem Lehrplan dazu angehalten, Referate zu halten. Sowohl alleine wie auch in der Gruppe. Referate gemeinsam zu halten bedeutet aber nicht nur, sein eigenes Wissen zu sammeln, zu gewichten, zu verarbeiten und zu präsentieren, sondern dies in Abstimmung mit Mitschülern, mit denen man ja meist erst wenige Monate gemeinsam im Unterricht sitzt.
Für den Erfolg werden größtenteils Hilfsmittel benötigt, die von der „Pre-Millenial“-Generation noch als „Teufelszeug“ verurteilt werden (als ob das Auswendiglernen von Jahreszahlen und Goethes „Prometheus“ einen Wert an sich darstellt):
- Computer mit Präsentationssoftware
- möglicherweise einen USB-Stick
- vielleicht ein Tablet mit Stift
- kostenloses WLAN und ein ruhiges Café
- ein Wochenende (!)
- die Cloud
- mehrere Smartphones mit Kamera und Apps für die Kommunikation
- Papier und Stift
- Viele Ideen und Spieltrieb
- Motivation
Nun gut, die drei letztgenannten Punkte gab es früher auch schon – mehr oder weniger -, aber die Beschränkung auf Papier, Stift und Telefon hat auch schnell dazu geführt, dass man als Schüler weit unter seinen Möglichkeiten blieb. Das umständliche Sammeln von Informationen, der langsame Zugriff auf Wissen und die Beschränkungen bei der Präsentation führten schnell zu Frustrationen und Gleichgültigkeit.
Alleine die Möglichkeit, Details eines Vortrags noch schnell in der Freistunde zu recherchieren oder den Vermittlungserfolg durch Filmausschnitte und Infografiken zu verbessern, erlaubt es Schülern in diesem Jahrtausend, schneller und umfassender Informationen zu erfassen und miteinander zu vernetzen, als dies noch vor einer Generation möglich war.

Immer noch aber müssen es Schüler lernen, mit diesen ungeheuren Vorräten umzugehen, Gerüchte und Falschinformationen von Tatsachen zu trennen, Geschichten und Fakten sinnvoll miteinander zu verknüpfen und Analogien zu bilden, Strukturen zu erkennen und Kausalitäten von Korrelationen zu unterscheiden.
Dafür brauchen sie Unterstützung und Hilfe. Denn nur dadurch können die Möglichkeiten des Wissenserwerbs auch zu Bildung führen. Ihnen zu erzählen, „früher“ sei alles besser gewesen und die modernen Kommunikationstechniken würden sie verblöden, ist höchstens ein Zeichen für Unfähigkeit der älteren „Pre-Millenials“, mit der Evolution des Wissenserwerbs mitzuhalten.
Willkommen im dritten Jahrtausend! Unsere Kinder sind schon da.
Zu den „Millenials“ zählen die Mitbürger, die nach 1990 geboren wurden, ein „Pre-Millenial“ sind also die Elterngenerationen, deren Nachkommen jetzt als „Post-Millenials“ ausschließlich in diesem Jahrtausend leben. ↩