Deutschland, ein Heldenepos 14.09.201903.11.2019 Der Dichter Heinrich Heine, dessen Bücher die Nazis zwar verbrannten, dessen romantisches Gedicht über die Loreley sie trotzdem verschämt genossen, veranlasste einen von mir sehr geschätzten Autor und Dichter zu einem Spottgedicht über die Mythenbildung in nationalistischen Kreisen, wie sie dort auch heute noch gerne betrieben wird. Im Gegensatz zu Heine jedoch beruht das folgende Gedicht auf einer wahren Begebenheit. Der Handstand auf der Loreley Nach einer wahren Begebenheit (Erich Kästner, 1932) Die Loreley, bekannt als Fee und Felsen, ist jener Fleck am Rhein, nicht weit von Bingen, wo früher Schiffer mit verdrehten Hälsen, von blonden Haaren schwärmend, untergingen. Wir wandeln uns. Die Schiffer inbegriffen. Der Rhein ist reguliert und eingedämmt. Die Zeit vergeht. Man stirbt nicht mehr beim Schiffen, bloß weil ein blondes Weib sich dauernd kämmt. Nichtsdestotrotz geschieht auch heutzutage noch manches, was der Steinzeit ähnlich sieht. So alt ist keine deutsche Heldensage, daß sie nicht doch noch Helden nach sich zieht. Erst neulich machte auf der Loreley hoch überm Rhein ein Turner einen Handstand! Von allen Dampfern tönte Angstgeschrei, als er kopfüber oben auf der Wand stand. Er stand, als ob er auf dem Barren stünde. Mit hohlem Kreuz. Und lustbetonten Zügen. Man frage nicht: Was hatte er für Gründe? Er war ein Held. Das dürfte wohl genügen. Er stand, verkehrt, im Abendsonnenscheine. Da trübte Wehmut seinen Turnerblick. Er dachte an die Loreley von Heine. Und stürzte ab. Und brach sich das Genick. Er starb als Held. Man muß ihn nicht beweinen. Sein Handstand war vom Schicksal überstrahlt. Ein Augenblick mit zwei gehobnen Beinen ist nicht zu teuer mit dem Tod bezahlt! P. S. Eins wäre allerdings noch nachzutragen: Der Turner hinterließ uns Frau und Kind. Hinwiederum, man soll sie nicht beklagen. Weil im Bezirk der Helden und der Sagen die Überlebenden nicht wichtig sind. (Quelle: https://loreley-heine.de.tl/K.ae.stners-Interpretation-der-Loreley.htm, aus: Erich Kästner: Gesang zwischen den Stühlen. 1932 © Atrium Verlag, Zürich und Thomas Kästner, S. 133. Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Lyrik Gedicht
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