Interface-Design: Der blinde Griff ins Ungewisse 15.06.200619.02.2022 Es ist bezeichnend, dass es in der deutschen Computerterminologie für den Begriff des »User Interface« eigentlich keine adäquate Übersetzung gibt. Meist wird der Begriff »Bedienoberfläche« oder »Benutzeroberfläche« verwendet, als ob es sich nur um eine Lackschicht handelt, die mit der Funktion nichts zu tun hat. Das ist natürlich ebenso deutsch wie kurzsichtig, denn hinter dem englischen Begriff verbirgt sich die Kernaussage, dass es hier um die wichtigste Kommunikationsschnittstelle zwischen Mensch und Maschine geht. Nun ist der Begriff der »Schnittstelle« auch nicht viel besser, denn es soll ja nichts geschnitten werden, sondern verbunden: die Umsetzung der Befehl des Benutzers in eine Sprache, die der Computer versteht und ausführt. Und wieder zurück: die Tätigkeiten des Computers, die für die Benutzer wichtig sind, werden angezeigt. Der Anzeige auf dem Bildschirm ist die einzige Kommunikationsplattform, sie entscheidet über die erfolgreiche Bedienung der Maschine – und damit den Wert des Computers für den Benutzer. Mit der rasanten Verbreitung des World Wide Web und der explosionsartigen Zunahme der Domains und der Websites für die kommerzielle Nutzung entstand auch ein – zunächst akademisches – Bedürfnis nach einer klaren Unterscheidung zwischen »gutem« und »schlechtem« Interface Design. Rasch war deutlich, dass Websites, die aufgrund eines »schlechten« GUI (Graphical User Interface, Grafische Benutzeroberfläche/grafische Benutzerschnittstelle) keine Besucher/Benutzer anlockten, keinen Umsatz generierten. Nun ist aber die kommerzielle Nutzung des Internets nur ein Blickwinkel unter hunderten, um die Interaktion zwischen Mensch und Maschine auf dem Bildschirm zu beschreiben. Die Erkenntnisse zur »Usability« der Websites führten denn auch zu erkennbaren Verbesserungen bei der Darstellung und Funktionalität der Websites. Mittlerweile sind die meisten größeren Websites nach dem Prinzip des umgedrehten »U« aufgebaut: Navigation oben, Orientierung links und Zusatzinformationen rechts. Das ist auch richtig so, denn der Benutzer erwartet nicht, zu ungewöhnlichen Aktionen verleitet zu werden, wenn er den Inhalt erfassen möchte. Nur sind Websites recht eingeschränkt in der echten Kommunikation, denn die Eingriffsmöglichkeiten des Benutzers auf die Darstellung sind sehr beschränkt, er verfügt über fast keine Möglichkeiten, durch Veränderung des GUI die Kommunikation zu optimieren. Daraus resultiert die Gleichartigkeit der Websites: Für den Benutzer ist kein zusätzlicher Aufwand nötig, die elementaren Funktionen der Internetseite zu erfassen – er kann sich auf seine Tätigkeiten konzentrieren. Diesem Anspruch werden in zunehmenden Maß die Internetseiten gerecht – jedoch meist nur sie. Da Computernutzer nicht die meiste Zeit im Internet unterwegs sind, sondern schlichten Aufgaben nachgehen und die Maschine produktiv einsetzen wollen, müssten entsprechend hohe Ansprüche an die von ihnen benutzten GUIs gestellt werden. Werden aber nicht. Da werden Touchscreens eingesetzt mit Benutzeroberflächen, die nicht nur orthografisch falsch sind, sondern auch inkonsistent. Nehmen wir mal ein – fiktives – Beispiel: Der Benutzer möchte die Helligkeit der Bildschirmanzeige erhöhen, da er aufgrund der Sonneneinstrahlung fast nichts erkennt. Eine nicht wirklich produktionskritische Einstellung – vorausgesetzt, er übersieht dadurch nicht rechtzeitig einen Fehler. Er sucht also im Menü nach einem Begriff wie »Einstellung«, findet aber als nahe liegenden Begriff »Service«, also Wartung durch einen Techniker des Herstellers. Da die anderen Begriffe in der Menüleiste (sinnigerweise unten am Bildschirm, wo man die Navigation zuletzt vermutet) noch weniger Sinn machen, wählt er »Service« und gerät auf eine Seite, die ihm weitere Angebote macht: »Handbetrieb«, »Halbautomatik«, »Troubleshooting« (Störungsbehebung; eine plötzliche sprachliche Inkonsistenz). Einstellungen kann man eigentlich nur machen, wenn nichts automatisch läuft, also wählt der Benutzer »Handbetrieb«. Da diese Überlegungen ihre Zeit brauchen, haben wir für zweimal Tippen auf den Bildschirm etwa drei Minuten gebraucht. Nach weiteren Minuten der eingehenden Bildschirmbetrachtung stellt der Benutzer fest, dass man im Menü »Service« zwar vieles einstellen kann, aber nicht die Helligkeit des Bildschirms. Auf eine Online-Hilfe wurde aus Kostengründen verzichtet, das Programm sei »selbsterklärend«. Spätestens jetzt gibt der Benutzer auf. Der hinzugerufene Programmierer erklärt ihm, er hätte nur auf »Troubleshooting« tippen müssen, dann fände er mehrere Menüs, darunter »Hardware« und »Software«. Bei Software wiederum solle er auf »Display« tippen, dann fände er die Option »Anpassen« und darunter »Darstellung«. Fünfmal tippen. – Aber nur, wenn man weiß, wo. Zitat:»Software lässt sich auf zwei verschiedene Arten entwickeln: Der eine Weg ist, sie so einfach zu gestalten, dass sie offensichtlich keine Mängel hat, der andere Weg ist, sie so kompliziert aufzubauen, dass die Mängel nicht offensichtlich sind. Dabei ist der erste Weg sehr viel schwieriger.«Tony Hoare Literatur: Frank Thissen, Screen-DesignThomas Wirth, Missing LinksApple Developer Connection (englisch),Introduction to Apple Human Interface Guidelines. Auch als PDFMicrosoft (englisch),Microsoft Inductive User Interface Guidelines Tipp:Erstellen Sie zunächst ein »Mock-Up«, einen Prototypen der Bildschirmdarstellung, der zwar Interaktion zulässt, aber keine Programme ausführt, und testen Sie ihn an fünf Personen, die als Benutzer in Frage kommen könnten. Damit fangen Sie erfahrungsgemäß ca. 95% der Schwachstellen ab, bevor Sie aufwändig umprogrammieren müssen. An den Haaren herbeigezogen, finden Sie? Jetzt übertreibt er aber, sagen Sie? Na, dann schauen sie sich doch mal an, wie man einen Drucker einrichtet oder einen sauberen Scan hinbekommt. Ohne Assistenten wären Sie aufgeschmissen. Sie können Ihren DVD-Player konfigurieren? Wie lange haben sie dazu gebraucht? Bei einem neuen Modell fangen Sie wieder von vorne an. Dabei gibt es Erfahrungen, Tests und Studien. Es gibt sogar Vorschläge und Richtlinien, die es dem Benutzer erleichtern sollen, mit der Maschine zu kommunizieren. Das Problem ist meist jedoch, dass dies gar nicht als Problem wahrgenommen wird, denn die Programmierer kennen sich aus, und die Leute, die die Maschine kaufen, sind nicht diejenigen, die sie bedienen. Aber bedenken Sie, dass ein gutes Interface Design nicht in fünf Minuten so »nebenbei« entwickelt wird … Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … software Interface
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