Thinking outside the box 03.06.200623.01.2022 Es ist eine alte Krux der technischen Redakteure: Um ein Produkt beschreiben zu können und den gefahrlosen und effektiven Umgang damit darstellen zu können, müssen sie es kennen. Meist sogar besser als die Konstrukteure oder Ingenieure oder das Wartungspersonal oder die Mechaniker oder die Softwareprogrammierer, oder oder oder. Kleine Denksportaufgabe zum Thema: Verbinden Sie die Punkte mit vier geraden Strichen, ohne den Stift abzusetzen. Jeder Punkt darf nur einmal berührt werden. Dadurch bleibt es fast nicht aus, dass sie das Produkt, das auch häufig im eigenen Haus hergestellt wird, aus dem Blickwinkel des Produzenten sehen. Sie machen sich – schon um sich mit den technischen Vorgaben vertraut zu machen und um mit den Ingenieuren erfolgreich kommunizieren zu können – deren Sichtweise auf das Produkt zu eigen. Redakteure, die »im Haus« eine Dokumentation aufgebaut haben, ihr Werkzeug in- und auswendig kennen, steuern mit ihrem Produkt zum Gesamtergebnis bei, sie liefern eine System- oder Maschinenkomponente mit. So will es das Produkthaftungsgesetz und so will es die Europanorm. Zwangsläufig führt dies aber zu einer Verengung der Redakteure auf eine produkt- und vielleicht auch firmenspezifische Vorgehensweise. Das erleben auch externe Dienstleister, die über Jahre hinweg mit dem Kunden zusammen für dessen Maschinen die Dokumentation liefern. Sie sind quasi »Scheinselbstständige« (Psst, nicht dem Finanzamt weitersagen!), da sie zwar nicht weisungsabhängig, aber doch informations-symbiotisch angegliedert sind. Ihr Wissen ist kundenspezifisch, ihre Vorgehensweise über Jahre hinweg erprobt und auf den Kunden abgestimmt. Wir alle, die wir schon lange für einen festen Kundenstamm arbeiten (was ja auch schon aus Gründen der Existenzsicherung das Ziel sein muss), haben es uns angewöhnt »aus der Praxis« heraus eine Dokumentation zu erstellen. Das ist effizient und daher verdienstträchtig. Redakteure in den Unternehmen machen es schließlich genauso. Wir Redakteure sitzen daher alle im gleichen Boot: Auch wir werden betriebsblind. Allen Forderungen nach Weiterbildung und Schulungen zum Trotz fahren wir uns fest. Wenn überhaupt, betrifft – mehr noch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten – die Weiterbildung eher die Aneignung neuer Kenntnisse über die verwendete oder zu verwendende Software, unserem Werkzeugkasten. Seltener noch betrifft es eine Aneignung von Kenntnissen zum Produkt. Am seltensten aber beschäftigen wir uns mit den Benutzern der Dokumentation. Meist kennen wir sie nicht. Wir führen keine Usability-Tests durch (ist dem Chef zu teuer), stellen uns nicht neben einen Käufer einer von uns beschriebenen Maschine (dazu zähle ich jetzt auch mal die Software), weil wir ja nicht einfach an der Haustür klingeln können und dem Nutzer ein Mikro unter die Nase halten. Wir haben ehrlich gesagt – sofern es um Benutzerhandbücher aller Art geht – keine blasse Ahnung, ob unsere Doku auch was taugt. Bei Handbüchern, die für den internen Gebrauch erstellt werden, mag das anders sein, aber da schreiben die Ingenieure/Konstrukteure/Programmierer/etc. die Dokumentation meist selbst (was der Qualität nicht unbedingt zuträglicher ist). Wie aber kommen wir an den Benutzer heran? Gar nicht. Das geht nicht. Wir können keine Umfragen machen, wenn auch die Fragen von uns verfasst werden. Es ist schlicht nicht möglich, gleichzeitig der Sender und der Empfänger einer Information zu sein, gleichzeitig der Lehrer und der Schüler. Wir kennen das, was wir geschrieben haben und können uns jetzt nicht so dumm stellen und von uns erwarten, wir läsen es zum ersten Mal und müssten den Umgang mit dem Produkt, das wir schon zig-mal beschrieben haben, neu erfahren. Keiner von uns hat Schizophrenie als Berufsbild. Was also sollen wir tun? Natürlich bieten öffentliche und halb-öffentliche Dienstleister an, den Test unserer Dokumentation durchzuführen. Dazu aber müssen sie sich neben den realen Benutzer stellen – oder besser noch mehrere (bei Usability-Tests geht man davon aus, dass man mit 5 Probanden bereits 90% der Schwachstellen herausfinden kann). Das kostet. Wenn es sich nicht um Rasierapparate, sondern um komplexe Anlagen handelt, ist es unbezahlbar. Mein Vorschlag: Probieren Sie es zunächst mit Selbstdisziplin. Machen Sie sich nicht die Sichtweise der Konstrukteure oder Ingenieure zu eigen. Und auch nicht die der Marketingleute. Sie müssen das Produkt nicht nachbauen und sie müssen es auch nicht verkaufen. Stellen Sie sich den Benutzer vor, riechen sie ihn, hören Sie ihn, wie er sich mit dem Produkt abmüht. Stellen Sie sich den Mechaniker vor, der kurz vor Feierabend noch die Maschine anschließen und Probe fahren soll. Stellen Sie sich die Hausfrau vor, die mit einem quengelnden Kind auf dem Arm die Mikrowelle bedienen soll, um das Essen aufzutauen. Oder den Benutzer, der eine Störung auf dem Touchscreen quittieren soll und den Taster nicht findet, um das nervige Tröten des Warnsignals abzustellen. Kaum einer wird jetzt die Dokumentation zur Hand nehmen. Das Produktwissen, das er in dem Moment braucht, muss er bereits haben. Er muss die Dokumentation lesen und dabei die Maschine »blind« fahren und bedienen. Er muss die dort beschriebenen Zusammenhänge »auf Vorrat« gelesen und verstanden haben. Können Sie ihm die Doku dazu schreiben? Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … dokumentation
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