Das Mittelalter im Internet 02.09.201723.01.2022 Der menschliche Erfindungsreichtum ist unerschöpflich. Dennoch können wir Menschen nur etwas Neues entwickeln, wenn wir dabei auf Altes, Vorhandenes aufbauen indem wir es anpassen und verbessern. Das gilt auch für das Internet.Das Internet, WWW, Intranet, Cloud-Services, Netzwerke, User und Server, Firewalls und Dateipfade – die Ideen und Produkte, hinter denen sich Erfindungen und Entwicklungen verbergen, sind nicht einfach plötzlich entstanden oder das Produkt einer metaphysischen Erfahrung. Sie haben kulturelle Wurzeln, die mindestens bis ins Mittelalter zurückreichen. Evolution – nicht Revolution Wir Menschen bauen Werkzeuge und passen sie veränderten Gegebenheiten an. So wie aus dem Faustkeil zunächst ein Steinbeil und dann (unter anderem) ein Hammer wurde, so haben wir auch unsere Kommunikationswerkzeuge den technischen und kulturellen Erfordernissen angepasst: aus der Baumtrommel wurde der Bote, aus dem Boten das Telefonnetz und aus dem Telefonnetz das Internet. Die Aufgabe der Kommunikationswerkzeuge war immer die Übermittlung von Nachrichten und Wissen, die möglichst unverändert und unbeschadet den Empfänger erreichen sollten. Dabei haben wir trotz aller technischen Entwicklung immer mit den gleichen strukturellen Problemen zu kämpfen, mit denen sich die Menschen bereits im Mittelalter herumschlagen mussten: Informationen können verloren gehen, weil sie entweder falsch adressiert sind oder der Weg zum Empfänger unpassierbar wird.Informationen können abgefangen werden, weil sich jemand davon einen Vorteil verspricht, wenn er die Nachricht manipuliert und weiterleitet oder sie unterwegs vernichtet.Informationen können missverstanden werden, weil sie zwar unversehrt den Empfänger erreichen, aber unvollständige Informationen beinhalten. Diese Schwierigkeiten sind nicht neu, und ihre Konsequenzen können fatal sein. Entsprechend versuchten alle Kommunikationsteilnehmer abhängig von den technologischen Kenntnissen und Möglichkeiten ihrer Zeit auf diese Probleme Lösungen zu entwickeln. Faszinierend daran ist, dass zahlreiche Lösungen, mit denen bereits im Mittelalter experimentiert wurde, auch heute noch funktionieren. Wir sind von der Entwicklung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern gar nicht soweit entfernt wir wir oft denken, und wir nutzen oft immer noch die gleichen Strategien – nur eben mit anderen Werkzeugen. In den folgenden Abschnitten werden die Lösungen und Möglichkeiten, derer man sich im Mittelalter bediente, den aktuellen technischen Lösungen gegenübergestellt. (Und wenn man die englischen Begriffe für diese aktuellen Lösungen kennt, entstehen oft überraschende Parallelen.) Die Stadt Die mittelalterliche Stadt war der Anziehungspunkt für Informationen aller Art: hier gab es Marktplätze, Verwaltungsgebäude, Waren und Informationen aus anderen Gegenden, hier wurde archiviert und verwaltet, erneuert und ausgetauscht, hier konnte man lernen und sich vergnügen. Kurzum: im Mittelalter war die Stadt die Schnittstelle zur Welt. Stadtluft machte nicht nur frei, die Stadt war das Zentrum des kulturellen Austauschs und die Keimzelle dessen, was neudeutsch „Globalisierung“ heißt. Also in etwa das, was heutzutage im Internet die Server oder (zusammengefasst und geregelt) die „Cloud“ übernimmt. Der Hof Der eigene Hof war der Mittelpunkt des Lebens für über 90% der Menschen. Hier erwirtschaftete man den Lebensunterhalt, hielt ein paar Tiere und bearbeitete das Land, das einem zugewiesen war. Hier lebte die Familie, hier traf man sich an manchen Tagen mit Freunden und Verwandten. Auf dem eigenen Hof wurden die Vorräte für den nächsten Winter gelagert. Alle Informationen betrafen immer nur die Bewohner selbst. Der Hof ist wie der eigene Computer: er ist eine Insel ohne Anschluss an die umliegende Welt. Informationen und Wissen, die hier entstehen, verlassen ihn nie – sofern sie nicht kommuniziert werden. Der Weg Der Weg zum Nachbarhof oder in die Stadt ist die einzige Verbindung zur Außenwelt. Je nach Jahreszeit oder Wetterlage kann er schwer oder leicht passierbar sein, aber auf ihm werden Produkte und Nachrichten zum Hof und in die Stadt transportiert. Allerdings drohen auf dem Weg Gefahren und Hindernisse: es gilt Brücken zu queren, Passiergeld zu zahlen – und gelegentlich drohen Wegelagerer in der Hoffnung auf fette Beute, die den Ahnungslosen in die Irre leiten, um ihn auszurauben. Der dunkle Wald Vom dunklen Wald hielt man sich fern, denn hier lauerten unbekannte Gefahren, Räuber und Diebe. Hier wurde man überfallen und womöglich erschlagen für eine kärgliche Beute. Hier hielten sich die auf, die keinen Platz in der ständischen Gesellschaft hatten, die Entflohenen und Verbrecher. Sie gingen keinem geregelten Broterwerb nach, sondern erleichterten Durchreisende um ihr Hab und Gut – und manchmal auch das Leben. Hier gab es keine Wege und keinen Schutz, hier herrschte die Gesetzlosigkeit und das Recht des Stärkeren. Es zählte nur das kärgliche und gefahrvolle Überleben bis zum nächsten Tag. Je nach persönlicher Einschätzung und Erfahrung entspricht dies dem „Darknet“, den unbekannten und nicht immer legalen „Tiefen“ des Internets – sofern man bei Festplatten überhaupt von „Tiefe“ sprechen kann.1 Die Brücken Das Vorbild dieser Brücke steht in Cahors, Frankreich. Auch wenn heutzutage Brücken für selbstverständlich gehalten werden und eigentlich ein Teil des Straßennetzes darstellen – im Mittelalter war dies keineswegs so. Brücken waren ein Luxus und hatten strategische Bedeutung. Sie zu unterhalten kostete viel Geld, das durch den Brückenzoll wieder hereinkommen musste. Das bedeutete, dass Brücken zu wirtschaftlichen und militärischen Knotenpunkten wurden, die den Zutritt zu einem anderen Landesteil oder einem anderen Reich kontrollierten. Sie wurden bewacht und repariert, denn sie waren die einzige Möglichkeit, auch bei ungünstiger Witterung sicher auf der anderen Seite des Flusses anzukommen. Um sie herum wurden Siedlungen gegründet. Nur über sie konnten Nachrichten und Waren transportiert werden. Das Vorbild dieser Brücke steht in den Grampian Mountains, Schottland. Es gab natürlich auch unbewachte Brücken, aber dies bedeutet auch, dass es keine Möglichkeit gab, ihren Zustand und ihre Benutzer zu kontrollieren. Sie wurden daher nur dort gebaut, wo sie keine strategische Bedeutung hatten. Wenn sie unpassierbar war, behalf man sich mit einer Furt… Im Internet entsprechen Brücken den zahlreichen großen und kleinen Datenknoten, den kleinen Routern und den großen Knoten im internationalen Datenverkehr an den großen Datenströmen. (Bezeichnenderweise gibt es auch so genannte „Bridges“, die kontrollieren, welche Informationen im Netzwerk an welche Knoten weitergeleitet werden…) Sicherheit Auch wenn sie nicht Teil der Landschaft waren, so hatten die Ritter, Soldaten und sonstigen Vertreter der Staatsmacht doch eine wichtige Funktion: Sie sorgten für die Sicherheit und den reibungslosen Ablauf des Waren- und Nachrichtenverkehrs. Das gab es allerdings nicht umsonst. Ihre Ausrüstung und ihre Verpflegung kosteten Geld, ihr Unterhalt musste sich bezahlt machen für die Landesherren, die sie beschäftigten. Dafür kamen die Landesherren auf – und holten sich das Geld und die Aufwendungen in Form von Steuern und Einnahmen (wie dem Brücken- und Wegezoll) von den Untertanen wieder. Dafür überwachten die Söldner und Regierungsverteter die Stadttore, die Grenzen und Brücken, bewachten die Reisenden (sofern sie es sich leisten konnten) und hielten die Gesetzlosen und Regelbrecher in Schach. Damit garantierten sie die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Man kann das Internet für kostenlos halten oder dies sogar beanspruchen, aber auch im Internet kostet Sicherheit Geld. Auch hier müssen Regeln festgelegt und Datenströme kontrolliert werden. Die Kosten dafür übernimmt der Staat oder die Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen wie das Hosten („Bewirtschaften“) von Internetseiten. Und auch hier zahlt am Ende der Benutzer – entweder mit einer Gebühr oder einer Steuer. Die Landkarte Auf eine (fiktive) mittelalterliche Landkarte übertragen wird deutlich, wie sehr wir uns in unseren Vorstellungen vom Internet, seinen Einrichtungen, seiner Organisation und seinen Begriffen von unseren sehr überschaubaren Erfahrungen aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit leiten lassen. Das ist kein Zeichen von Dummheit oder Rückständigkeit, sondern eine Kulturtechnik, die Neues immer nur integrieren kann, wenn wir auf bereits Bekanntem aufbauen. Denn letztlich organisieren wir uns auch unsere Welt nicht sehr viel anders als die Menschen vor 500 Jahren. Und diese wiederum wie ihre Vorfahren. Nur sollte man darin nicht stecken bleiben, denn die Welt – und damit auch die Kommunikationstechnologie – verändert sich ständig. Ob wir es gut finden oder nicht. The immense diversity of imagined realities that Sapiens invented, and the resulting diversity of behaviour patterns, are the main components of what we call ‘cultures’. Once cultures appeared, they never ceased to change and develop, and these unstoppable alterations are what we call ‘history’. (Yuval Noah Harari, Sapiens) P.S.: Alle Zeichnungen wurden auf einem iPad Pro erstellt mit Adobe Illustrator Draw und einem Apple Pencil. Als Vorlagen – sofern nicht frei gezeichnet – dienten eigene Fotos oder solche aus dem Internet. Auch diese Assoziation zeigt das Bemühen unseres Verstandes, etwas letztlich Unverständliches wie das Internet und seine Bereiche in die dreidimensionale Vorstellungswelt einer Landschaft zu übertragen. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Internet software
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