Multichannel-Publishing: Wir senden auf allen Kanälen! 22.01.201114.12.2017 Und wieder macht ein neues »Buzzword« die Runde: »Multichannel-Publishing«. Ausgerufen von großen Software-Herstellern, soll es ein großer Schritt auf dem Weg zum Stein der Weisen sein, endlich mit nur einer Software die Informationen auf allen nur erdenklichen »Kanälen« zu verbreiten. Quasi der umgekehrte Blick auf »Single-Source-Publishing«. Oder doch nicht? Und wozu überhaupt? Erst einmal aber der Reihe nach: Im Prinzip geht es um Informationen und die Art und Weise ihrer Verbreitung. Im Mittelalter war es noch ganz einfach: der König schickte seine Herolde los, die dem Volk, des Lesens unkundig, die Erlasse und Verordnungen verkündeten. Die weitere Verbreitung übernahm dann der »Volksmund« – mit den bekannten Folgen: jede Weitergabe veränderte die ursprüngliche Information ein wenig, nahm hier etwas weg, was nicht verstanden wurde, fügte dort etwas hinzu. Und fertig waren ganz neue Informationen, die meist nicht mehr viel mit ihrem Ursprung zu tun hatten. Das änderte sich plötzlich mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Dank Gutenberg und seiner Nachfolgern konnten die einmal verfassten Informationen nun vervielfältigt werden, ihre Vermittlung wurde weniger fehleranfällig und damit sicherer. Ohne diese bahnbrechende Erfindung wären moderne Staaten in Europa gar nicht denkbar gewesen. Aber noch lange existierten diese beiden Arten der Informationsvermittlung nebeneinander – zumindest so lange, bis auch der letzte Empfänger lesen konnte. Die Überwindung des Analphabetismus, die Einführung der Schule und damit die Befähigung des Volkes zum »Selberlesen« stellt eine der größten gesellschaftlichen Errungenschaften der europäischen Kultur in den letzten Jahrhunderten dar. Seit nicht einmal einer Generation jedoch bricht diese traute Zweisamkeit aus Hörensagen und dem Konsum bedruckter Medien auseinander. Sie wird gespalten von der »informationellen« Revolution: dem Informationskonsum aus digitalen Quellen, der schnellen Nachrichtenverbreitung durch Internet per Browser, über Smartphones und alle sonstigen Geräte, die an das globale Informationsnetz angeschlossen sind. Jeder Blogger ist ein Reporter, jeder mittelmäßig gebildete Mensch kann ein solches Medium bedienen – in mehrfacher Hinsicht. Nicht mehr der König und seine Schreiber, der Journalist oder der Redakteur besitzt die Informationshoheit, jeder Computerbenutzer hat Teil daran. Ob Twitter oder facebook, Newsfeeds oder Blogs: wir alle tragen absichtlich oder unabsichtlich zu einem gewaltigen Informationsangebot bei, das nie ein Mensch überblicken wird. Dafür wächst es einfach zu schnell. Hier stoßen die bisherigen Werkzeuge an ihre Grenzen:Ob Textverarbeitung oder Layoutprogramm: sie alle sind papierzentriert, sie alle bieten uns beim Anlegen eines neuen Dokuments automatisch eine leere Seite an – so als ob jeder Informationsempfänger später ein Blatt Papier in der Hand hält. Tut er aber nicht mehr unbedingt. Ganz im Gegenteil: Zeitungsverleger klagen über sinkende Absatzzahlen und grübeln verzweifelt über Bezahlmodelle für Internetangebote. Sie sind zunehmend gezwungen, das digitale Informationsnetz nicht mehr nur wie in einer Einbahnstraße regelmäßig mit Informationen zu pflastern – die Konsumenten verlangen nach mehr: mehr Interaktion, mehr Auswahl und mehr Kontrolle über die Inhalte. Lesezeichen im Browser und Feedgruppierung, die eigene Zusammenstellung von Informationshäppchen passend zum individuellen Bedarf, sie sind Kennzeichen einer Emanzipation von der klassischen »Verlautbarungskommunikation«: der König spricht noch, aber keiner hört mehr zu. Die klassischen Medienproduzenten versuchen nun in den letzten Jahren trotz sinkender Auflagenzahlen ein größeres Publikum zu erreichen, um auf dem Markt bestehen zu können. Sie sind gezwungen, möglichst rasch auf die sich wandelnden Konsumgewohnheiten einer diffusen Leserschaft zu reagieren. Sie müssen ihre Inhalte gleichzeitig auf möglichst vielen Kanälen senden: Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten entdecken das Internetvideo, damit man sich auch mitten in der Nacht noch die tagesaktuellen Nachrichten anschauen kann, Zeitungen bringen ihre Artikel in Kurzfassungen zunächst ins Internet und lassen sie dort von ihren Lesern bewerten bevor sie in den Druck gehen – jedes Informationshäppchen muss mehrmals umgesetzt werden, damit es sich überhaupt noch lohnt. Was bedeutet das für die Technische Redaktion? Ob man es glaubt oder nicht: Technische Dokumente gehören in ihrer Gesamtheit zu den meistgelesenen Informationsquellen. Zeitungsartikel werden nur einmal konsumiert – kaum gelesen, sind sie veraltet. Eine Gebrauchsanweisung aber ist kein Wegwerfprodukt, sie wird aufbewahrt. Die darin enthaltene Information ist statisch. Die einmal gekaufte Waschmaschine verändert auch nach Jahren nicht plötzlich ihre Schleuderdrehzahl, das Auto nicht seinen Hubraum. Technische Informationen haben eine andere Hürde zu meistern: sie müssen sich nicht nach dem maximalen Informationsumsatz richten, sondern nach dem maximalen Gebrauchswert der Information. Die Frage muss lauten: Für welches Produkt eignet sich welches Medium auf welchem Gerät am Besten, um dem Benutzer den größtmöglichen Gebrauchswert zu liefern? Kein Mensch liest die Technische Dokumentation zum Vergnügen, das ist wahr. Glücklicherweise sogar, denn es würde uns vermutlich meist überfordern. Wir müssten didaktisch, technisch, pädagogisch und literarisch geschult sein, um den Spagat zu bewerkstelligen. Nein, die Technische Dokumentation wird gelesen, wenn es brennt, wenn man ganz schnell die relevanten Informationshäppchen zur Hand haben muss. Wir müssen als Redakteure diese Situation antizipieren, wir müssen voraus ahnen, was der Benutzer sucht, wie er sucht und welche Hilfsmittel er einsetzt. Sitzt er vor einem Computer, wird er vermutlich die Onlinehilfe aufrufen, steht er aber draußen im Wald und sucht die beste Verschlusseinstellung für seine Kamera, benutzt er vermutlich ein Smartphone. Das ist unsere Herausforderung. Wir müssen nicht auf allen Kanälen senden, sondern nur auf dem jeweils geeigneten. Ob das auch die Hersteller von Software so sehen, weiß ich nicht. Bisher habe ich den Eindruck, dass dort unter »Multichannel-Publishing« eigentlich nur eine Art digitales Megaphon verstanden wird, mit dem man den Geräuschpegel erhöhen kann. Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … redaktion
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