Mal wieder ein verschämtes Outing als technischer Redakteur? Brauchen Sie nicht! Welchen Unfug der Gesetzgeber als produktbegleitende Information mit auf den Weg gibt, spottet jeder Beschreibung.
Falls Sie in den letzten Jahren Eltern geworden sind oder ein Kind unter drei Jahren in Ihrer Verwandtschaft haben, bringen Sie ihm doch mal wieder was zum Spielen mit. Einen kleinen Teddy zum Beispiel, oder ein paar Bauklötzchen oder Ähnliches. Aber achten Sie dabei unbedingt auf das CE-Zeichen. Das spricht zwar nicht unbedingt für die Qualität des Produkts, aber der Herstellung.
Und jetzt werfen Sie mal einen Blick auf den Text auf der Packungsseite oder dem Streifen an der Naht: „Enthält verschluckbare Kleinteile. Nicht für Kinder unter drei Jahren geeignet.“ Da stellt sich die erste Frage, was denn die größeren Kinder mit dem Babyspielzeug anfangen sollen, und ob es ihnen nicht auch schaden könnte, wenn sie die „Kleinteile“ (immerhin in der Größe eines Duplo(R)-Steins) verschlucken. Wie schaffen denn das die Kleinen überhaupt bei der Größe? Ein suchender Blick durch die Regale des Spielwarenladens reduziert die mögliche Auswahl eines anerkennungsheischenden Mitbringsels deutlich: es sind so gut wie alle Kinderspielzeuge mit verschluckbaren Kleinteilen ausgestattet. Ja, mit was spielen die lieben Kleinen denn dann, ohne sich ständig in Lebensgefahr zu begeben? Mit einem Fahrrad? Winterreifen? Da steht sowas zumindest nicht drauf…
Bedenken Sie die Verwirrung, wenn Großeltern ihrer frischen Nachkommenschaft etwas Gutes tun wollen und hilflos erleben müssen, wie sie den Kurzen andauernd gesundheitsgefährdende Spielsachen schenken müssen, weil sie nichts Anderes bekommen. Und sich mit Wehmut an die Zeit zurückerinnern, in der sie unbeaufsichtigt im Wald auf Bäume klettern konnten, mit den Großen im Matsch spielten oder Blechspielzeug aus der Erbschaft erhielten. Es scheint, als zwinge man Eltern damit in die Rolle des Aufsehers: Man kann Kinder unter drei Jahren nicht alleine spielen lassen, da sie meist sowieso alles zuerst mal in den Mund stecken (das Warum erklärt uns S. Freud – und auch, warum es wichtig ist, dass sie es in dem Alter tun).
Was aber hat das mit der technischen Dokumentation zu tun? Da es sich bei diesen Hinweisen um produktbegleitende Sicherheitshinweise handelt, sind diese auch eine Art der technischen Dokumentation, da sie den Umgang mit dem Produkt ungefährlicher machen sollen. Hier scheint aber der Gesetzgeber das Kind mit dem Bad ausgeschüttet zu haben: Um einer möglichen Versicherungsfrage zu entkommen, werden völlig unsinnige Einschränkungen vorgenommen, die neben ihrer realen Sinnlosigkeit auch eine Paranoia bei den Erziehungsberechtigten hervorrufen können, also beim Verbraucher.
Natürlich können technische Redakteure nicht dazu, dass sie per Gesetz verpflichtet sind, diesen Unfug mitzutragen. Aber es wäre möglich, solche Schwächen einzugrenzen auf die Stellen, an denen man nicht anders kann. Selbstverständlich gehören Hinweise zu sicherheitsrelevanten Themen zu den wichtigsten Bestandteilen der technischen Dokumentation; kurz sollen sie sein, da sie sonst nicht gelesen werden – aber ob sie an der richtigen Stelle stehen und vielleicht sogar aufgrund des situativen Kontextes eher verwirren, wird seltener gefragt. Nicht umsonst findet man so exotische Formulierungen wie: „Wird diese Einbau- und Betriebsanleitung […] falsch interpretiert, so erlischt jegliche Produkthaftung und Garantie.“ (Hervorhebung von mir). Und weiter: „Der Umbau der Maschine erfolgt ausschließlich durch den Hersteller.“ Drei Zeilen weiter: „Für den Umbau muss zuerst die Klemmschraube (a) gelöst werden.“ Soll ich nun oder soll ich nicht? Interpretiere ich vielleicht nur falsch?
Oder hätten wir als Redakteure auf mehr Sorgfalt bei der Verwendung der eigenen Hirnwindungen achten sollen?