Manchmal muss man sich halt quälen 13.08.201620.06.2022 Rennradfahren macht bei gutem Wetter richtig Spaß. Aber auch wenn die Sonne scheint und der Asphalt trocken ist, kann es zu einer kleinen Prüfung in Resilienz und Durchaltewillen werden. Und manchmal braucht man das. Nicht dass ich Lust dabei empfinden würde, mich zu schinden. Ich bin weder masochistisch veranlagt, noch bin ich Radprofi. Aber die Erfahrung der eigenen körperlichen Grenzen bringen auch Erkenntnisse über die eigene mentale Stärke mit sich. Das ist ab und zu wichtig für mich. Wir nehmen viel zu viel im Leben in unseren Breiten als gegeben hin, regen uns über Trivialitäten wie den Benzinpreis oder die Tabaksteuer auf, können uns stundenlang darüber echauffieren, ob Jugendliche heutzutage dümmer sind als früher1, oder ob man für Plastiktüten im Supermarkt bezahlen sollte2. Manchmal erwische ich mich auch dabei, mich über irgendwelche kleingeistigen Trolle auf Twitter aufzuregen, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie borniert und engstirnig man sich durchs Leben mogeln kann, ohne dass einem dabei auffällt, wie viel man dadurch verpasst. Dann wird es Zeit für eine Rennradtour. Normalerweise komme ich einmal in der Woche dazu, meine 60 Kilometer runterzureißen, um nach einer hektischen Arbeitswoche den Kopf freizubekommen. Aber ab und zu muss es einfach mal eine Nummer härter sein. In meinem Alter bedeutet das eine Tour am Alpenrand3 oder — wie gestern — nach Weltenburg an der Donau. Von Freising aus (und wieder dahin zurück) sind es gut 140 km. Das ist in etwa das, was ein Radprofi unter „Lockerung“ versteht… Die Strecke Die Strecke hatte ich mir vor vier Jahren schon einmal auf Bikemap.net zurechtgelegt. Diesmal habe ich die Fortschritte der Technik genutzt und mir die Streckendatei als *.kml in meine Dropbox kopiert, diese dort in Gaia importiert und eine Offline-Karte dazu geladen, um auch im netztechnisch unterversorgten Bayern noch navigieren zu können.4 In der Kurzform: ich gehe nie ohne Smartphone auf Tour. Das Risiko, unterwegs einen Unfall oder Defekt zu haben und dann nicht einmal Hilfe holen zu können, ist mir zu groß. Und wenn das Smartphone auch gleich als Radl-Navi dienen kann – umso besser. Hinter Freising geht es erstmal gemächlich bergauf, um die Eiszeitmoräne zu überwinden, die die Isar von der Amper trennt. Dafür gibt’s aber auch gleich eine kernige Abfahrt, bei der die Nadel problemlos die 55 km/h erreicht. Danach geht es in einem steten Hügel-rauf-Hügel-runter östlich der Ilm in Richtung Norden über die Dörfer. Eine klassische oberbayerische Kulturlandschaft: Felder, Gehöfte, Dörfer (in denen das erste Haus am Ort auf so unprätentiöse Namen wie „Gastwirtschaft zur Linde“ hört) und bügelglatte oberbayerische Landstraßen mit aufgesetzten Dreckklumpen, die das Hauptbeförderungsmittel, der Traktor, munter verteilt. Danach geht es durch die schier endlosen Hopfen-Stangenwälder der Holledau. Als Weintrinker wäre mir ein anderer Bewuchs zwar lieber, aber dafür ist das Klima hier zu rau. Aber irgendwann, gerade wenn man daran gewöhnt hat, senkt sich das Land und es geht abwärts zur Donau. Das bedeutet, dass man durch die bescheidenen Reste der einst riesigen Auwälder fährt und bei Neustadt auch an römischen Ausgrabungen vorbeikommt. Hier endete vor 2000 Jahren die Zivilisation, denn nördlich hausten die Barbaren5. Ja, und wenn dann das Hinterteil zu schmerzen beginnt, kommt der Donaudurchbruch bei Weltenburg in Sicht. Schwere Beine Bis Weltenburg war es Genussradeln. Aber nun begann der Hunger sich zu melden. Ich hatte zwar Wasser dabei, aber nichts zu essen. Dafür hatte ich mir das heimliche Ziel vorher überlegt, denn das Kloster Weltenburg besitzt zwar den obligatorischen Biergarten, aber die Lautstärke und der penetrante Geruch nach Bier, Sauerkraut und Würschtel ist nicht so mein Ding. Ich wollte nach Abensburg. Es geht hinter Weltenburg zwar wieder aufwärts, aber nicht sehr weit, denn Abensberg ist nur wenige Kilometer entfernt im Süden. Allerdings waren meine Beine jetzt schon deutlich schwerer und der Hunger machte sich nicht nur bemerkbar, sondern begann auch, die Laune zu verderben. Glücklicherweise gibt es in Abensberg nicht nur einen Biergarten, dessen Ausgestaltung im Stile Hundertwassers die örtliche Brauerei übernommen hat, sondern auch einen schönen Marktplatz mit einem Eiscafé.6 Im dortigen Eiscafé zu sitzen, einen Espresso zu schlürfen und nach der Anstrengung sich einen Eisbecher genehmigen zu können, ist für mich wie Urlaub. Das ist Entspannung. Dummerweise geht es aber noch gut 60 km zurück nach Freising. Die Rückfahrt Nach einer Dreiviertel Stunde das Hinterteil wieder auf den Sattel schwingen zu müssen, kostete wirklich Überwindung. Die Beine waren schwer, und nach der Pause wollten sie es eigentlich gut sein lassen für den Tag. Aber es half nichts. Und außerdem war das nur der Anfang. Zunächst lief es wieder ganz gut. An der Abens aufwärts bedeutete leider, auf der Bundesstraße in Richtung Mainburg zu fahren und dann weiter nach Au. Manche Bundesstraßen haben zumindest durchgängige Radwege — in welchem Zustand auch immer — aber in der Hallertau ist Radfahren wohl eher die Ausnahme. Daher führen die Radwege durchschnittlich 400 Meter mal auf der einen, mal auf der anderen Starßenseite entlang und enden genauso abrupt wie sie anfangen. Das ist natürlich hochgradig gefährlich, denn auf einer gut befahrenen Bundesstraße alle paar Minuten die Fahrbahn zu kreuzen, ist nicht ganz trivial. Außerdem hält es auf. Zwar bin ich auch als Rennradler dazu verpflichtet, die Radwege zu benutzen, aber man kann sie ja mal übersehen… Es gibt zwar auch offizielle Radwegsführungen abseits der Straße, allerdings sind sie — wie in Deutschland üblich — nicht für Rennräder gedacht, sondern für Pedalritter und kleine Kinder, die das Geradeausfahren noch nicht im Griff haben. Ungeeignet für dahinsirrende Rennradler und auch nicht ungefährlicher. Ich hatte in Abensberg vergessen, meine Wasserflasche wieder aufzufüllen, und daher kippte meine Flüssigkeitsbilanz rapide in den roten Bereich. Bei Attenkirchen begannen dann die Krämpfe. Und das bedeutete: Zähne zusammenbeißen, stehen bleiben, kurz warten, weiterfahren. Leider war dann das Wasser komplett zu Ende und ich begann, jeder Steigung mit Argwohn entgegen zu sehen, denn ich konnte nicht mehr aus dem Sattel, ohne dass die Beine den Dienst aufgaben. Das Leben reduziert sich in solchen Momenten nur noch auf das Wichtigste: Weitermachen, nicht aufgeben, durchhalten – auch weit jenseits der „Komfortzone“. In Oberzolling rettete mich die Kirche — oder vielmehr der Friedhof. Denn Friedhöfe haben Wasserhähne, um die Gießkannen für die Grabpflege zu füllen. Zumindest gehört sich das für ein katholisches Bundesland so. Und tatsächlich: ein simpler Wasserhahn rettete mir den Tag. Der Rest war Kinderkram: einmal wieder zurück über die Amper, dann hinauf über die Hügel und hinunter nach Freising. Ein schöner Tag und eine gute Erfahrung. So etwas braucht man manchmal in unserer satten und bequemen Zivilisation. Und das Erstaunliche ist ja, dass wir das auch können. Sind sie nicht, eher im Gegenteil. ↩Selbstverständlich! ↩Das ist eine schöne Runde, nur leider ist die Anfahrt so weit. ↩Wenn das jetzt zu schnell ging: wie man das macht, werde ich in einem kommenden Beitrag beschreiben. ↩Ganz unzutreffend ist diese Beobachtung auch heutzutage nicht, auch wenn man sich doch fragt, wie weit die Barbaren mittlerweile bis zum nördlichen Alpenrand vorgedrungen sind… ↩Wie schon erwähnt, bin ich kein Biertrinker, ich gehöre eher zur Cappuccino-Fraktion. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailBlueskyMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Rennrad BayernFahrradFreizeitRennrad
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