Main und Wein: Radeln in Analogdeutschland

Eigentlich wollten wir weiter weg, nach Österreich beispielsweise. Aber angesichts der immer noch vorhandenen Ausgangsbeschränkungen und der damit verbundenen Unsicherheit war uns das Hemd näher als die Hose.

Und so beschlossen wir, in der Woche nach Pfingsten im Jahr 0 n.C.1 den Main entlang zu radeln. Aufwärts.

In diesem Artikel gibt es am Ende zwei Bereiche, auf die ich besonders hinweisen möchte: die Tagesetappen als Tourenabschnitte, wie wir sie geplant und auch gefahren sind („Die Tour“) und eine kleine Bilderschau („Die Bilder“), in der Sie sich die Bilder in freier Reihenfolge auch als Diashow ansehen können. (Kleiner Tipp: Im Abschnitt „Die Tour“ können Sie entweder die Tour oder die auf diesem Abschnitt entstandenen Bilder anzeigen. Tippen Sie dazu auf das Karten- oder Fotobildchen im Hauptbild rechts unten.)

Vorbereitung

Getreu der Outdoor-Philosophie, dass es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Ausrüstung gibt, planten wir aufgrund der Wettervorhersage ein paar Regentage ein. Denn egal, ob man den Main aufwärts (wie wir) oder den Main abwärts (sozusagen wie der „Mainstream“) fahren möchte: das Wetter kommt meist aus West und damit irgendwann entgegen oder es überholt einen.

Wir begannen die Tour in Aschaffenburg. Die Planung dazu stammt aus den sehr guten Reiseführern der bikeline-Reihe, die auch einen Link auf die im Buch behandelten Streckenabschnitte anbieten, von wo man sich die Route als GPX-Datei direkt in seine Navi-App laden kann. Da die Navi-Apps (wie hier Komoot) mittlerweile auch über eine Anbindung an die örtliche Unterbringung verfügen, kann man die Strecke anpassen und sich dadurch quasi von Zeltplatzeingang zu Zeltplatzeingang leiten lassen.2

Der Graureiher ließ sich vom sehr regen Radverkehr auf dem Mainradweg nicht sonderlich stören.

Der Mainradweg

Der Radweg entlang des Mains von der Quelle bis zur Mündung gehört zu den am besten ausgebauten und ausgeschilderten Radwegen Deutschlands (nach unserer Erfahrung auch international). Er folgt jeder Biegung und Windung des Flusses, der ähnlich der Loire dem Industrialisierungswahn des letzten Jahrhunderts nicht zum Opfer gefallen ist. Wie auch die Loire diente der Main als Transportweg für den Handel mit Wein – und ähnlich sandig ist auch das Flussbett. Dies hat zur Folge, dass der Fluss relativ träge verläuft und in früherer Zeit (also bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts) bei jedem Hochwasser (von denen es vor allem im engeren Teil durch den Spessart sehr viele gab) ständig sein Flussbett verlagert hat.

Zahllose Totarme und Auwälder sind die natürliche Folge. Da der Main sich durch die Sandsteinberge fräst und zwängt, hat dies auch für die Kulturlandschaft prägende Folgen: Nicht nur ist das Flussbett für die schwere Schiffahrt zu seicht und muss permanent freigebaggert werden, auch bietet der sandige Boden sehr gute Bedingungen für die ansehnlichen Weine, die dort angebaut werden. Dies wiederum hat im Mittelalter das Maintal zu einem gewissen Wohlstand kommen lassen, der einerseits die zahlreichen Städte und Handelsorte an den Furten zur Folge hatte, andererseits auch die Regionalfürsten zur Absicherung ihrer Besitztümer in Form von Burgen zwang. Und so hat das Maintal seinen mittelalterlichen und rustikal-analogen Charme bewahrt.

Allerdings – und das ist für Zelter nicht unwichtig – folgen nicht nur die Radwege dem Flussverlauf, sondern auch die Bundesstraßen und Zugverbindungen. Erstere sorgen an manchen Stellen für ein konstantes Hintergrundrauschen, das vor allem nachts zu einem Lärmpegel führt, den die dünnen Zeltwände nicht abfangen können.

Am Marktplatz von Miltenberg. Ohne Tourismus wären heute manche Orte am Main nur noch Geisterstädte.

Die Fahrt

Abschnitt 1: Von Aschaffenburg nach Wertheim

Wir hatten uns als Einsteig Aschaffenburg ausgesucht, weil es sich mit der Bahn relativ bequem erreichen lässt und man nicht erst durch das dicht besiedelte Gebiet um Mainz radeln muss, um etwas von der „klassischen“ Landschaft zu sehen. Radfahren wird erheblich stressfreier, wenn man in der Lage ist, seine Highlights selbst auszusuchen. Technisch gesehen waren wir redundant ausgerüstet sowohl mit Navi als auch mit Karte. Beides aber war nur unterstützend, denn die Ausschilderung der Strecke ist hervorragend – ebenso wie der Belag. Die Strecke führt meist durch Auwälder, Felder und Weinberge abseits der großen (Bundes-)Straßen.

Es lohnt sich, eine Kamera griffbereit zu haben, denn bei gutem Wetter lassen sich hinter jeder Biegung wunderschöne Motive entdecken – und auch der ein oder andere Marktplatz, auf dem sich eine Pause machen lässt.

Da wir mit der Regionalbahn kamen, konnten wir erst am Mittag starten, so dass der erste Tag etwas kürzer und beschaulicher ausfiel. Als Einstieg ist das allerdings ideal.

Der Radweg bei Bürgstadt, im Hintergrund die Freudenburg

Spannend wurde es erst gegen Abend, denn aufgrund der bayerischen Hygienevorschriften für Campingplatzbetreiber und der vorhandenen (oder eben nicht vorhandenen) Konzepte zur Umsetzung war es nie klar, ob Zelten erlaubt sein würde. Die Vorschriften erwähnen Zelte nicht explizit, sondern sprechen nur davon, dass die Campingplatzbesucher ihre sanitären Einrichtungen selbst mitbringen sollen – was zwar bei einem Wohnmobil sinnvoll ist, aber nicht bei einem Zelt …

So beschränkte sich unsere Vorbereitung auf den Anruf am Tag zuvor oder schlicht auf das Glück und den Pragmatismus der Betreiber. Und davon haben die meisten reichlich, denn auch ihnen wurden durch die Pandemie und die Ausgangsbeschränkungen erhebliche Umsatzeinbußen abverlangt. Eine der Hauptzielgruppen des Maintaltourismus ist nämlich gleichzeitig auch eine Hauptrisikogruppe für COVID-19: Senioren ab 65, die die Strecke schätzen wegen der geringen Steigungen, der verkehrsfernen Wegeführung und der zahlreichen Einkehrmöglichkeiten.

Senioren, die auf sich halten, fahren Pedelec.

Diese Beobachtung machten wir wir auf der gesamten Strecke: der Anteil der Senioren, die sich auf elektromotorgestützten Fahrrädern fortbewegten, lag durchweg höher als ⅔. Während der ersten Werktage waren es fast nur Senioren, die mit teilweise halsbrecherischer Geschwindigkeit die Kurven nahmen und nur eingeschränkter Fahrzeugbeherrschung die Radwege unsicher machten.

Radelrowdies sind im Maintal grauhaarig und elektromobil. 😉

Abschnitt 2: Von Wertheim nach Zellingen

Eigentlich wollten wir am zweiten Tag schon bis Würzburg kommen, aber da das Wetter nicht so gut war und wir keine Strecken „fressen“ wollten, stellten wir bereits am Mittag fest, dass es nur bis Zellingen reichen würde.

Burg Rothenfels auf der anderen Mainseite

Der zweite Tag führte uns wieder im Zickzack einmal auf der rechten und der linken Mainseite bei trübem Wetter mainaufwärts. Zwischendurch gerieten wir sogar in einen richtigen Regenschauer, was zwar dank der Regenjacken und der dichten Fahrradtaschen für die Ausrüstung kein Problem darstellte, wohl aber die Stimmung trübte.

Außerdem brachte der Regen eine interessante Erkenntnis: auch wenn iPhones ziemlich wasserdicht sind und in der offenen Halterung einen Schauer ohne Schwierigkeiten vertragen, sollte man sie vor dem Regen von der Stromversorgung trennen, damit keine Feuchtigkeit über den Ladekabelanschluss eindringen kann. Sonst meldet sich nämlich der der eingebaute Feuchtigkeitssensor. Ihn zu ignorieren kann die Garantie kosten – und damit eine Menge Geld.

Gerade bei Nutzung des Smartphones mit Navi-App wird der Akku ziemlich beansprucht, was dazu führt, dass er in etwa der Hälfte der sonst üblichen Dauer „leergesaugt“ wird. Daher ist es hilfreich, das Smartphone im Betrieb mit einem zusätzlichen Akku zu speisen, den man in einer Lenkertasche unterbringt und mit einem einfachen USB-Kabel anschließt.

In Zellingen hatten wir Glück, denn der Campingplatzbetreiber nahm es sehr pragmatisch und überließ uns nicht nur eine Wiese am Main, sondern auch sein Zeltdach, das sonst für Grillabende benutzt wird, um unsere Räder unterzustellen und den Tisch samt Stühlen zu verwenden – bei nassem Boden ein dankbar angenommenes Angebot. An dieser Stelle nochmals Danke!

Abschnitt 3: Von Zellingen nach Volkach

Der dritte Tag begann so feucht, wie der zweite aufgehört hatte: mit sporadischem Nieselregen. Glücklicherweise konnten wir die Zelte einigermaßen trocken verpacken, bevor wir aufsattelten und Richtung Würzburg losfuhren.

Die schönste Art, nach Würzburg zu kommen: über die alte Mainbrücke, die für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt ist. Stattdessen hat ein Weinhandel die Gelegenheit genutzt und seine Stehplätze über die gesamte Brücke verteilt.

Städte wie Würzburg haben einen Vor- und einen Nachteil: sie sind zu groß und zu laut, um einfach durchzufahren und mal auf dem Marktplatz einen Kaffee zu trinken, sie sind aber zu klein, um einen ganzen Tag darin zu verbringen.

Würzburg ist hinsichtlich seiner Gebäude die Stadt des wohl bekanntesten Baumeisters des Barock und frühen Rokoko, Johann Balthasar Neumann. Zwar finden sich überall im Maintal seine Spuren und gefühlt hat jedes Dorf mindestens einen Stein verbaut, den er mal in die Hände genommen hat, aber mit der Würzburger Residenz hat er sich in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunders ein einzigartiges Denkmal gesetzt.

Der Besuch der Residenz ist daher Pflichtprogramm für Touristen in Würzburg. Wir hatten es vor Jahren allerdings bereits absolviert und es daher auf dieser Reise nicht mehr im Programm. Falls Sie die Residenz noch nicht kennen sollten: auch aus kulturhistorischer Sicht ist alleine das Fresko im Treppenhaus (von Tiepolo mit der Darstellung der Erdteile) einige Stunden des Lebens wert. Die abgebildeten Klischees sind von erschreckender Aktualität…

Wir ließen aber dieses Mal die Residenz eine Residenz sein und zogen weiter nach Volkach, wo uns eine unangenehme Überraschung erwartete: Im Gegensatz zum Pragmatismus des Zellinger Campingplatzbetreibers sah sich der Betreiber des Volkacher Campingplatzes aufgrund seines vermutlich unzureichenden Hygienekonzepts außerstande, Zelter aufzunehmen. Wir hätten ja keine sanitären Anlagen dabei.

Duh.

So blieb uns nichts anderes übrig, als entweder bis zum nächsten Zeltplatz in Schweinfurt (zusätzlich 30 km) zu radeln, oder aber in Volkach eine feste Unterbringung zu suchen. Da wir am nächsten Tag einen kleinen Abstecher nach „Maria im Weingarten“ machen wollten, entschieden wir uns für letzteres. Glücklicherweise hatte ich unterwegs einen feinen Spätburgunder am Sommeracher Katzenberg erstanden, der für die Kurzsichtigkeit des Campingplatzbetreibers (oder des zuständigen Gesundheitsamts) ausreichend entschädigte…

Abschnitt 4: Von Volkach nach Bamberg

Volkach ist eines jener Örtchen, in denen man sich große Mühe gibt, den alten Stadtkern zu erhalten. Leider kann man wie an so vielen Orten in Deutschland dem Fetisch Auto nicht entkommen…

Nach einem kurzen Rundgang durch den Stadtkern von Volkach zogen wir schon relativ früh weiter in Richtung Schweinfurt. Das Wetter war morgens immer noch recht trübe, so dass wir auf das Aufklaren am Nachmittag hofften, das der Wetterbericht vorhergesagt hatte.

Und wir wurden nicht enttäuscht: gegen 14 Uhr riss die Wolkendecke auf und die Dörfer begannen ein freundlicheres Aussehen anzunehmen.

Den Wetterbericht kannten die Vögel und Grillen auch, denn sie begannen mit einem ohrenbetäubenden Konzert entlang der Waldsäume. Ganz vorne dabei sind bei solchen Konzerten die Amseln, wobei sie die Bäume geschickt als Resonanzkörper nutzen. Aber auch die Grillen blieben nicht untätig. Bei ihnen – und vermutlich bei anderen Insekten auch – konnte man aber deutlich erkennen, in welcher Landschaft sie sich wohlfühlen, denn der Lärm der Grillen nahm zu oder ab, je nachdem, ob man an einer offenen Sommerwiese vorbeikam oder einem „toten“ Getreidefeld. In Letzterem herrscht nämlich Grabesruhe. Dort ist der ökologische Kreislauf unterbrochen.

Bamberg, das alte Rathaus über der Regnitz

Bei Bamberg mündet die Regnitz in den Main und bis hierhin folgten wir dem Mainradweg. Ab hier sollte es entlang der Regnitz (bzw. des Main-Donau-Kanals) in Richtung Nürnberg gehen.

Unser Zeltplatz lag ein Stückchen flussaufwärts an der Regnitz, weswegen wir Bamberg nur kurz durchquerten. Denn mit Bamberg verhält es sich ähnlich wie mit Würzburg: entweder man durchquert es rasch oder man verbringt viele Stunden beim Schlendern durch die Altstadt und dem Besuch des Bamberger Doms. Dass Bamberg eine sehr lebendige Stadt ist trotz des mittelalterlichen Stadtkerns, erfuhren wir (wortwörtlich) bei unserem letztlich erfolgreichen Versuch, entlang des Flussufers der Regnitz die Stadt auch wieder zu verlassen. Das schöne Wetter und der Feiertag hatten Massen von Touristen auf die Straßen gelockt, die Weinstuben hatten ihre Stehplätze nach draußen gestellt und die Cafés machten den Umsatz des Monats…

Nach der beschaulichen Ruhe auf den Radwegen, das nur vom Surren der Pedelecs unterbrochen wurde, kam diese Geschäftigkeit ein bisschen heftig. Die Ruhe der Regnitz oberhalb der Stadt versprach als Ausklang des vierten Tages dagegen mehr Erholung. Und dafür ist eine Mehrtagestour entlang des Mains mit dem Rad ja auch da.

Die Regnitz flussaufwärts von Bamberg im Abendlicht.

Die Tour

Die Bilder


Das Titelbild zeigt die Regnitz bei Bamberg.


Alle Bilder wurden entweder mit einer Canon 77D DSLR oder einem iPhone 11 Pro Max erstellt.


  1. n.C. = nach Corona, also der gregorianische Kalender minus 2020 

  2. Dies ist auch der Grund dafür, das die Abschnitte in den Karten nicht direkt in den Orten beginnen oder enden, nach denen sie benannt sind. 

%d Bloggern gefällt das: