Radreise in Sizilien: Giro di Sicilia 01.07.201106.02.2019 Wie ist Sizilien? Das ist einfach beschrieben: dreckig, heiß, vor allem von Juni bis September, laut, chaotisch, gefährlich, arm – mit einem Wort: der Bodensatz Europas. Aber in Sizilien leben auch lauter freundliche Menschen, die gerne den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, die für ihr tägliches Brot hart arbeiten müssen, die keine Aussicht haben, da jemals wegzukommen, selbst wenn sie wollten. Sizilien ist ein sehr armes Land an der Stiefelspitze Europas. Und wir waren dort. Mit unseren Rädern. Gerade wenn es in Deutschland mal wieder nicht Sommer werden will, wenn sich die Autos am Mittleren Ring stauen und jeder zur Arbeit hetzt, dann kommen Pläne auf, eine kleine Flucht zu wagen. So beschlossen wir, nach 15-jähriger Abstinenz wieder mal in das Land zu fahren, wo laut Goethe „im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn“. Da unsere Kinder auch kulturell sehr interessiert sind und gerne mit uns zum Zelten fahren, wollten wir diesmal zu Viert fahren. Als Fortbewegungsmittel dienten uns zwei Tandems (siehe rechts), beladen mit Zelten, Kocher, Schlafsäcken, Isomatten und diversen Utensilien, die man zum Überleben braucht. da bei nur zwei Rädern der Stauraum sehr begrenzt ist, mussten wir sehr sorgfältig planen. Nach längerem hin und her beschlossen wir, unsere alte Tour noch einmal zu fahren: die Rundreise von Catania nach Syrakus, Agrigent und zurück über Piazza Armerina nach Catania. Der Start mit Hindernissen Mit verpackten Tandems und mehreren Fahrradtaschen und ‑säcken zum Flughafen zu fahren ist natürlich ungleich komfortabler, als es mit Fahrrädern zu tun, die dort in Pappkartons gesteckt werden. So war das Einchecken in München kein Problem und der Flug verlief ruhig. In Catania am Nachmittag angekommen, nahmen wir ein Taxi in ein Hotel, das wir für den ersten und den letzten Tag der Reise gebucht hatten wegen der Möglichkeit, die sperrigen Hartschalenkoffer dort sicher zu lagern. Catania mit Ätna © donfeidner.de So hatten wir kurz Zeit, uns am Lido umzusehen und bekamen auch gleich einen ersten Eindruck von dem Lärmpegel, der in Sizilien normal ist. Alle hundert Meter scheppert und wummert es aus irgendeinem koffergroßen Krachschrank mit solcher Nachdrücklichkeit und Ausdauer bis spät in die Nacht, dass man den Eindruck hat, man sei irgendwo am Ballermann. Ein entsetzlicher Lärmpegel, von dem wir annahmen, dass er auf den Lido beschränkt sei … Am folgenden Tag bauten wir die Räder zusammen, packten auf und zogen los auf der Straße Richtung Syrakus, unserem nächsten Ziel. Laut Straßenkarte mussten wir dazu zunächst auf der recht viel befahrenen Hauptstraße den Simeto kreuzen und dann in eine ruhige Nebenstraße nach Lentini einbiegen. Bevor wir diese jedoch erreichten, endete die Straße in einer Baustelle und führte uns als Umleitung auf die Autobahn nach Palermo. Jetzt war guter Rat teuer. Die nächste Abfahrt der glücklicherweise fast gar nicht befahrenen Autostrada nehmend, kamen wir viel zu weit westlich ins Landesinnere und mussten uns unseren Weg zurück nach Lentini suchen. Da die dortige Ausschilderung aber trotz mittlerweile verbesserten Straßenbelägen immer noch sehr unzureichend ist, gerieten wir auf unterwegs auf den ostsizilianischen Straßenstrich, bei dem sich Schwarzafrikanerinnen dem triebstaugeplagten Mann unter Orangenbäumen anbieten. Goethe hatte sich das damals sicher anders vorgestellt … Tandems Um als Radfahrer mit Kindern auch wirklich etwas von der Reise zu haben, sind Tandems unschlagbar. Um sie allerdings nach Sizilien zu bekommen und per Flugzeug zu transportieren, gibt es nur die Möglichkeit, sie zu zerlegen. Keine Fluggesellschaft befördert unzerlegte Tandems. Zerlegbare Tandems aber gibt es nur von Santana. Und diese in Europa nur in Rosenheim. So also kamen wir mit zwei zerlegbaren Tandems Marke Santana „Arriva“, verpackt in zwei Hartschalenkoffer, in denen die guten Teile stoßfest auseinandergenommen ruhen. Als solche zählen sie nicht mehr als „Fahrräder“, sondern als Sperrgepäck. Und da die Hartschalenkoffer die Sperrgepäck-Kriterien der IATA erfüllen, fällt höchstens eine Gebühr für Übergewicht an (der Koffer darf maximal 32 kg wiegen). Leider wissen das nur die wenigsten Subalternen der Fluggesellschaften. Mit etwas Übung ist ein solches Rad in einer Dreiviertel Stunde zerlegt und in einer Stunde zusammengesetzt und reisefertig. Für uns aber bedeutete dieser Umweg bereits das Ende der schönen Planung: Abends um sieben befanden wir uns immer noch in den Ausläufern der ibleischen Berge zwischen Catania und Syrakus und waren vom ständigen Hügel-rauf-Hügel-runter müde. Irgendwo hinter Carlentini sprach uns dann ein älterer Mann an und empfahl uns, an einer nahen Wasserstelle „wild“ zu campen statt noch zwei bis drei Stunden nach Syrakus zu fahren und den angepeilten Campingplatz zu suchen. So zelteten wir auf einer Betonplatte mitten in einem Wasserschutzgebiet neben einer kleinen Quelle mit Trinkwasser. Diese Nacht war erheblich ruhiger, wenngleich die Nachtigall im Baum direkt über uns auch keine Nachtruhe zu kennen schien. Leider hatten wir fast nichts zu essen dabei, was aber der Stimmung keinen Abbruch tat. Auf der ersten Etappe am ersten Tag unserer Reise waren wir in einem Wasserschutzgebiet gelandet, da die Reise nach Syrakus aufgrund der örtlichen Beschilderung uns zwar ungefähr in die richtige Richtung geführt, jedoch die Fahrt über die Hügel im Hinterland sehr viel Zeit gekostet hatte. Nun aber erreichen wir Syrakus und fahren nach einer Übernachtung dann über Noto an die sizilianische Südküste nach Pozzallo. Am nächsten Morgen sah die Welt schon anders aus – wenn nicht der nagende Hunger gewesen wäre. So hatten wir zwar ausreichend frisches Wasser, aber kein Vorräte mehr. Das hieß: der nächste Supermarkt musste geräumt werden. Kurz vor Syrakus fanden wir denn auch gleich ein ganzes Einkaufszentrum und hinterließen eine Schneise der Verwüstung … Syrakus Syrakus ist vor allem als Heimat des wohl bekanntesten griechischen Erfinders und Genies der Antike bekannt geworden: dort lebte Archimedes, der nicht nur das Prinzip der Wasserverdrängung entdeckte, sondern neben mathematischen Erkenntnissen das auch heutzutage noch drängende Problem der Wasserversorgung zu lindern verstand: die von ihm entworfenen Wasserpumpen und Hebevorrichtungen können prinzipiell bis auf technische Verbesserungen immer noch so eingesetzt werden. Leider aber wurde er ein Opfer der Politik, denn nachdem Syrakus im Krieg zwischen Karthago und Rom zweimal die Seiten wechselte und schließlich auf der unterlegenen Seite landete, plünderten die Römer 212 v. Chr. nach einer einjährigen Belagerung die Stadt, wüteten, mordeten und brandschatzten und erschlugen auch Archimedes (dessen Erfindungen sie lange aufgehalten hatten). Davon erholte sich die Stadt nie wieder. Aus dieser Zeit stammt auch das berühmte griechische Theater der Stadt, in dem heute noch vorzugsweise klassische griechische Stücke aufgeführt werden. Es zählte zu den größten Theatern der Antike und hat auch mehrere Umbauten fast unbeschadet überstanden, da es am Rand der antiken Stadt in den Felsen geschlagen worden war. Leider aber nagt trotz des Status als Weltkulturerbe der Zahn der Zeit unerbittlich an den Gebäuden und Anlagen. Dazu kommt die unterentwickelte Denkmalpflege in Sizilien, die durch die Privatisierung der Liegenschaften mittlerweile komplett zum Erliegen gekommen ist. Überhaupt nicht mehr zu gebrauchen ist daher das römische Amphitheater ganz in der Nähe, dessen Zustand nur noch bedauernswert ist: in den vergangenen 15 Jahren hat bis auf ein paar kleine Ausbesserungen an den Wegen keine weitere Pflege mehr stattgefunden und die Natur überwuchert die gesamte Anlage. Nach dem Besuch der antiken Bauten fuhren wir zum Zeltplatz, einem alten Gehöft, dessen Zustand fast ebenso bedauernswert war wie der der Bauten. Immerhin aber gab es dort fließendes Wasser und einen überdachten Bereich mit Bänken, so dass wir recht feudal zu Abend essen konnten. Außerdem war es sehr ruhig – ein Umstand, den wir später noch häufiger herbeisehnten. Das römische Amphitheater. Sizilien macht in Syrakus den Eindruck eines armes Landes an der Kippe Europas, das sich selbst aufgegeben hat. Noto Unsere Reise führte uns am kommenden Morgen auf die Südküste zu, wo wir in ein paar Tagen Agrigent zu erreichen hofften. Zwischendurch aber kamen wir nach der Abfahrt vom Zeltplatz in Syrakus an den einzigen Papyrusvorkommen Europas am Ufer des Ciane vorbei, den schon die staufischen Kaiser im Mittelalter schneiden ließen. Wir ließen die Felder allerdings rechts liegen und erreichten am frühen Nachmittag Noto. Noto hat in gewisser Hinsicht ein ähnliches Schicksal erlitten wie Syrakus. Während Ersteres allerdings geplündert wurde und dann nie mehr zu seiner kulturellen Blüte fand, hat sich Letzteres nach kurzer Blüte in der Barockzeit selbst aus der Geschichte gekegelt: Noto kann sich zwar auf griechische Wurzeln berufen (vermutlich aber älter, nur haben die Griechen in kolonialistischer Manier alle nicht-griechischen Völker systematisch assimiliert und unterdrückt – bis sie an die Römer gerieten, die ihnen militärtechnisch weit überlegen waren). Allerdings wurde Noto nicht durch die Römer verwüstet, sondern erst 1693 durch ein Erdbeben. Während Syrakus jedoch einen natürlichen Hafen bot und daher die Besiedlung wieder aufgenommen wurde, errichtete man im 18. Jahrhundert Noto nach den damals modernsten Grundrissen komplett „vom Reißbrett weg“ neu: mit rechtwinklig verlaufenden Gassen und breiten Straßen, Plätzen und einer harmonischen Gebäudefassade aus gelbem Tuffstein. Da Noto allerdings seine Rolle als Verwaltungshauptstadt im 19. Jahrhundert an Syrakus abgeben musste, hat dort auch keine Industrialisierung stattgefunden, die vermutlich diese konstruierte Harmonie zerstört hätte. Daher wirkt die Altstadt mehr wie ein Freilichtmuseum. Die Kathedrale von Noto Aufgrund der Weigerung des Adels, die notwendigen strukturellen Änderungen vorzunehmen und sich einträglichen Wirtschaftszweigen zuzuwenden, ging auch die Industrialisierung komplett an Noto vorbei. Für Touristen ist das allerdings ein Glück, denn der Stadtkern gilt zu Recht als ein Juwel des italienischen Barock. Touristen fanden wir kaum, dafür konnten wir durch die gut erhaltenen und gepflegten Straßen um die Kathedrale schlendern und ein Eis essen. Dann ging die Reise weiter nach Pozzallo, unserem nächsten Ziel und Zeltplatz. Hatten wir in der Gegend mit Noto den zweiten geschichtlichen Höhepunkt im Südwesten hinter uns gelassen, so waren wir nun unterwegs zum großen Ziel der Reise, nach Agrigent. Leider aber liegen zwischen Noto und Agrigent viele Kilometer Straße, die mit dem Rad zu bewältigen mehrere Tage dauert. Es ist keine landschaftlich reizvolle Strecke, sondern ein fast ausschließlich auf Agrarwirtschaft und den Tourismus ausgerichtetes Gebiet, das wir durchqueren mussten. Eine Fahrt durch die sizilianische Gegenwart sozusagen. Gepäck Gepäck ist etwas, worüber man sich nie genug Gedanken machen sollte vor der Abreise. Auf zwei Tandems wird es naturgemäß sehr beengt, da letztendlich nur fünf Behälter pro Rad zur Verfügung stehen: zwei Gepäckträger am Vorderrad, zwei am Hinterrad und ein Sack über den Gepäckträger. Dort müssen sowohl Zelte, als auch Schlafsäcke nebst Isomatten und Kocher untergebracht werden. Außerdem gehört ein kompletter Satz Flickzeug samt Ersatzschlauch und handlichem Werkzeug sowie eine Grundausrüstung Geschirr (am besten aus Kunststoff) hinein. Dann ist für Kleidung nicht viel Platz. Man sollte vor der Abreise auf jeden Fall probehalber packen und sich unterwegs angewöhnen, die Sachen immer am gleichen Ort zu verstauen, vor allem Kleidungsstücke (Regenjacken), die man häufiger braucht. Jeden Morgen packten wir zusätzliche 4 Liter Wasser ein, denn das Wasser in Sizilien, das direkt aus den Wasserhähnen des Landes plätschert, ist von schlechter Qualität (es wird aus Seewasser aufbereitet, da durch die intensive Landwirtschaft zuviel Wasser verbraucht wird). Abhilfe schaffen nur die allgegenwärtigen Wasserflaschen, deren Verpackung nach Verbrauch des Inhalts in den Straßengraben geworfen wird. Sizilien ist übersät mit leeren PET-Flaschen. Vermutlich würde das Abfallaufkommen und die Verschmutzung um mindestens die Hälfte verringert werden können, würde man die Flaschen einem Wertstoffkreislauf zuführen. So aber wird der Müll noch in Jahrhunderten die Gegend verunstalten und die Vegetation ersticken. Überhaupt scheint der Fachkräftemangel in Sizilien vor allem die Abfallwirtschaft zu treffen: Hier schmeißt man alles in Tüten an den Straßenrand und hofft darauf, dass sich irgendein Lumpensammler erbarmt – oder ein Hund die Beutel zerreißt auf der Suche nach Nahrung. Pozzallo Über Avola ging es nach Ispica, wo wir auf die kleineren Straßen nach Pozzallo abbogen. Pozzallo ist – wie so viele Orte im Süden Siziliens – ein reiner Ausflugsort. Dort leben die Menschen entweder von Tomaten- oder Touristenplantagen, letzteres meist in Form von Lidi (Plural von Lido), jenen Ballungen vergnügungswütiger Spezies, denen in Form von Strandschirmen, Lautsprecherbedröhnung und nächtlichen Krachbuden die kleine Flucht aus der täglichen Tristesse des Daseins geboten werden soll. Und er muss wirklich trist sein, dieser Alltag, wenn der Lärmpegel und die Anspruchslosigkeit dieser immergleichen Lokalitäten ein Gradmesser sein dürfen. Denn sie sehen überall auf Sizilien gleich aus – ach was: in ganz Italien (und auch an der Biskaya in Frankreich oder in Brighton Beach). Daraus ließe sich jetzt schließen, dass der Alltag den Bewohnern dieser Ecke der Welt in etwa gleich trist und öde erscheinen muss, wenn sie alle nach einer ähnlich abstumpfenden Form der Passivunterhaltung suchen … Allerdings – das muss zur Ehrenrettung Pozzallos gesagt werden – es ist erst der Anfang, der an der Marina di Modica eine wesentlich ausdrucksstärkere Form annimmt. Der ganze Süden Sizilien hat eigentlich nur einen Zweck: er dient der Flucht. Und das in mehrfacher Hinsicht seit Jahrtausenden. Ob aus Afrika oder dem Norden des Landes, ob aus der Normandie oder dem Nahen Osten – hier landeten sie alle. Heutzutage eben hauptsächlich der Flucht aus dem Alltag während der sommerlichen Urlaubszeit, die in Sizilien auf Grund den hohen Tagestemperaturen sehr lange dauert. Unser Zeltplatz in Pozzallo dagegen war recht ruhig gelegen und sehr ordentlich von einem Kanadier unterhalten, der sich bei uns mal wieder in seiner Muttersprache darüber auslassen durfte, dass die Geschäfte mehr schlecht als recht liefen, denn die Touristen blieben aus. Vor allem die mit Zelt. Und in der Tat trafen wir dort nur zwei weitere Camper, die mit ihren Rädern Sizilien gegen den Uhrzeigersinn umrundeten. Gela Über die weitere Reise nach Agrigent lässt sich nur wenig berichten, sie dauerte noch zwei Tage immer auf kleinen Nebenstraßen an der Südküste entlang. Leider muss man dabei auch an Gela vorbei, dem dunkelsten Loch Siziliens. Allerdings fiel uns gerade dort auf, dass man in den vergangenen 15 Jahren viel für die Straßen getan hatte, denn um Gela herum wollten wir in höheren Gängen fahren, was die Straßen auch zuließen. So erreichten wir dann am Abend den Zeltplatz hinter Manfria, einen der bemerkenswertesten Zeltplätze Siziliens – zum einen wegen seiner Bewohner, zum anderen wegen des Ambiente. Manfria Zunächst einmal wurde es spät. Das lag daran, dass der Campingplatz eigentlich nur dank der guten Vorbereitungen meiner Frau und ihres untrüglichen Spürsinns zu finden war – ausgeschildert war er nämlich nicht. So aber kamen wir an einer kleinen Nebenstraße zwischen Gewächshäusern hindurch an einem verschlossenen Tor zum Stehen, das auf einen dahinter liegenden Campingplatz verwies, der aber nicht zu erkennen war. Per Handy erreichten wir den Inhaber dann doch, der uns nach einer Viertelstunde das Tor öffnete. Dieses führt direkt auf eine Baustelle und herumstehende Schrottautos. Kurz, der Campingplatz sah mehr aus wie eine Sperrmüllhalde. Dass dazwischen auch ein paar Kinder spielten, verstärkte den Eindruck eher noch. Manfria © fabiomarino Dann aber trafen wir ein deutsches Ehepaar mittleren Alters, das hier häufig zu nächtigen schienen – aus den lila Pluderhosen des Mannes zu schließen, bereits seit den frühen achtziger Jahren … Sie schätzen den Campingplatz wegen der Ruhe, versicherten sie uns (wie Recht sie damit hatten, merkten wir erste später in Agrigent). Diese Ruhe wurde aber in der Frühe jäh gestört, als gegen sechs Uhr die Planierraupe direkt an unserem Zelt vorbeirollte, um ein weiteres Stück des lang gestreckten Gelände zu ebnen. Uns war das eigentlich etwas zu früh, aber nicht ganz unlieb, denn so waren wir schneller wach und auf den Rädern. Sizilien ist im Sommer unerträglich heiß – vor allem im Landesinneren. Das ist auch der Grund, warum Mitte Juni die Schulen schließen und erst Mitte September wieder öffnen. Denn ansonsten hätten die Schüler vermutlich jeden Tag ab 9 Uhr hitzefrei, weil die Temperaturen kurz darauf locker über die 30°C‑Marke springen. Und so heiß bleibt es dann bis nach 20 Uhr. Noch aber merkten wir davon nicht viel, denn am Meer weht immer eine leichte Brise. Diese begleitete uns auch auf dem letzten Abschnitt nach Agrigent. Das Schlimmste hatten wir hinter uns, zumindest zivilisationstechnisch, denn nach Gela winkte uns das klassische Griechenland in seiner kolonialen Ausprägung. Agrigent. Schon Goethe war als Anstifter zur Verklärung des alten Hellas dort gewesen und hatte die ach so malerisch verfallenen Plätze und Tempel bewundert. Alleine in dieser deutschen Verklärung zeigt sich die Macht des Geistes – hier der Phantasie – über die Realität. Diese sieht nämlich nüchtern betrachtet ganz anders aus als man es aus dem Schulunterricht mitgenommen hat. Kleine Zivilisationsgeschichte Wie auch Syrakus, so war auch Agrigent das Ergebnis rücksichtsloser Kolonialisierung: die Griechen, damals als eines der ersten Mittelmeervölker in der Lage Eisen zu schmelzen, machten daraus hauptsächlich Waffen. Mit Schwertern und Lanzen und ihren nautischen Kenntnissen waren sie damals die gefürchtetste Militärmacht des mediterranen Raums, die sogar die Perser in Schach halten konnte. Diese militärische Überlegenheit aber führte zu einer heuschreckenartigen Expansionspolitik: Nachdem man in Hellas selbst alle Böden zerstört und sich der eigenen Nahrungsmittelproduktion beraubt hatte, fiel man über die östlichen Nachbarn in Kleinasien her – und eben auch die westlichen. Lebensmittel Dazu muss man sich eigentlich keine Gedanken machen: Solange man sich rechtzeitig am Tag mit ausreichend Lebensmitteln und vor allem viel Wasser eindeckt, stellt das abendliche Kochen kein Problem dar. Für vier Personen verwenden wir seit Jahren einen kleinen Benzinkocher, der ausreichend Heizenergie liefert, um auch anderthalb Liter Wasser für Nudeln flott zum Kochen zu bringen. Für eine sparsame Verwendung des Brennmaterials empfiehlt sich allerdings, auf Nudeln zu verzichten, da der Kocher nur schlecht dosierbar ist. Falls man also auf den Brennstoff angewiesen ist, sind Nahrungsmittel besser, die nur einmal aufgekocht werden müssen und dann ohne Hitze ziehen können – Weizenschrot beispielsweise. Dieses ist auch platzsparender beim Transport. Das Schema war immer gleich: man suchte sich militärstrategisch wichtige Landpunkte, die einen sicheren Hafen und genügend fruchtbares Hinterland boten, landete dann mit einer kleinen Streitmacht und vertrieb die dort ansässigen Bewohner. Dann rodete man die nächstgelegenen Hügel und befestigte sie, um eine Art „Brückenkopf“ zu erhalten. Daraufhin zwang man den umliegenden Bewohnern die griechische Ordnung auf, indem man sie kurzerhand versklavte und holte sich neue Siedler aus dem Mutterland. Diese, immer noch getrieben von der zunehmenden Versteppung in der Heimat, gründeten neue Siedlungen, die sich jedoch eng an die Vorgaben aus der Heimat hielten. Sobald das Land nicht mehr genug abwarf, zog man weiter landeinwärts, immer die einheimische Bevölkerung vor sich hertreibend. Dieses auf Raubbau ausgerichtete System konnte sich natürlich nicht lange halten (in historischen Dimensionen gesehen), denn es gibt dabei immer Jemanden, der es noch rücksichtsloser macht. In diesem Fall waren es dann die alten Römer und auch die Karthager, die abwechselnd die griechische Siedlung „Akragas“ eroberten und dem Erdboden gleichmachten – nicht ohne sie vorher jeweils zu plündern und niederzubrennen. Auf diese Art endete dann auch die Blütezeit Agrigents (ca. 480 – 210 v.Chr.), das seinen heutigen Namen erst unter den Römern bekam. Nachdem die Römer die vormals zweitwichtigste Stadt Siziliens dann endgültig erobert hatten, sank seine Bedeutung als Machtzentrum, bis es in byzantinischer Zeit zu einem einfachen Dorf verkommen war. Soweit der zivilisationsgeschichtliche Abriss. Der Juno-Tempel in Agrigent Agrigent Heute lebt Agrigent vom Tourismus. Die Tempelruinen auf dem Berg (der irreführenderweise „Valle dei Templi“ – Tal der Tempel – heißt) werden nachts mit zahlreichen Scheinwerfern effektvoll in Szene gesetzt und leuchten majestätisch über die Uferpromenade, an der sich eine Krachbude und Speiselokalität an die nächste reiht. Ganz am Ende dieser Promenade fanden wir dann auch unseren Zeltplatz, der einen etwas abgeschiedenen Eindruck machte. Aber nur bis etw 22:30 Uhr. Dann öffnete nämlich das dem Zeltplatz nächst gelegene Schiffsdiesel-Testgelände seine Pforten. Es klang zumindest so, als ob ein Rudel streunender Katzen zum Wummern gigantischer Schiffsmaschinen gequält wird. Gegen drei Uhr nachts fanden wir dann heraus, dass es Karaoke sein sollte … Der nächste Tag begann daher etwas langsamer, da wir noch leicht benommen und übermüdet waren. Aber es sollte ein radelfreier Tag werden, denn wir hatten nur die Besichtigung der Tempelanlagen auf dem Tagesprogramm. Daher war es natürlich das reine Vergnügen, auf den unbepackten Rädern die wenigen Kilometer hinauf zum „Valle“ zu radeln. Über die Tempelanlage selbst ist wenig zu berichten, sie war schon zur Blütezeit der Stadt dieser vorgelagert und muss den von See kommenden Reisenden einen imposanten Anblick geboten haben, vor allem da die Tempel nicht so einförmig sandsteinfarben wie heutzutage, sondern in allen Farben bemalt schon weithin leuchteten. Besonders der geradezu hybrisartige Tempel des Zeus, von dem heutzutage nur noch die Grundrisse unter den Trümmern riesiger Kapitelle erkennbar sind, muss mit seinen 300 Metern Seitenlänge eine ähnliche Wirkung gehabt haben wie die ägyptischen Pyramiden. Dies umso mehr, als alle Tempel über dem seeseitigen Steilufer der Stadtgrenze wie Perlen auf einer Schnur nebeneinander aufgereiht waren. Damals reichte das Meer noch wesentlich dichter an die ehemalige Tempelanlage heran, deren Fundament eine steile Anhöhe zwischen zwei kleinen Tälern bildeten. Ein Tal ist ein canyonartiger Einschnitt innerhalb der Stadtgrenze, der in früherer Zeit auch als Wasserreservoir diente. Jetzt beherbergt er einen kleinen malerischen Park mit Zitrushain und Blumenrabatten, an denen man gegen einen Obolus auch riechen darf. Zurück auf dem Zeltplatz machten wir uns dann auf eine weitere lautstarke Nacht gefasst, die den Kindern jedoch weniger ausmachte, da sie nach einem abendlichen Bad im Meer so müde waren, dass sie sofort einschliefen. Vor dem kommenden Tag jedoch war uns zu Recht etwas mulmig: wir verließen die Küste und ihren kühlenden Wind und hatten Piazza Amerina als nächstes Ziel – 700 Meter über dem Meeresspiegel im Landesinneren. Bis dahin mussten wir in zwei Tagen die fast baumlose Hügellandschaft des sizilianischen Hinterlandes durchqueren. Uns schwante eine anstrengende und schweißtreibende Tour. Die Wirklichkeit war jedoch noch schlimmer als unsere Befürchtungen … Kartenmaterial Es ist nicht einfach, für Sizilien aktuelles Kartenmaterial zu finden, das auch den Ansprüchen an eine Radreise genügt. Das liegt zum einen daran, dass man nicht in Sizilien radelt. Es ist zu heiß. Und zum anderen, dass vor allem das Landesinnere touristisch nicht erschlossen ist. Dort findet man mit Mühe eine kleine Unterkunft, aber fernab der üblichen Ausflugsgebiete an der Südküste wollen die Strecken wohlgeplant sein. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich Karten und auch Reiseführer, die sich eignen. Allen voran der leider etwas schwere, aber dafür tiefer schürfende DuMont-Reiseführer Sizilien. Wer nicht nur auf der Suche nach der billigsten Pizza und der angesagtesten Eisdiele ist, der wird hier fündig: ob Geschichte oder Kultur, Kirchen, Museen oder Land und Leute – der Reiseführer richtet sich an den deutschen Bildungsbürger. Zum Radeln ist er aber ungeeignet. Dazu nahmen wir den handlichen Führer „Sizilien per Rad“ (Fischer/Walter) mit. Der hat zwar zahlreiche Schwächen, denn nicht alle Strecken sind auch wirklich von den Autoren abgefahren, aber er ist vor allem klein und mit einer großen Begeisterung für Radreisende geschrieben. Und er hat Streckenprofile. Man muss ja nicht den ganzen Text lesen … Im Gegensatz zu der in einer saturierten Gesellschaft wie der unsrigen vorherrschenden Meinung ist Kultur nicht einfach teures Essen und edle Weine, sondern immer auch mit Mühe verbunden. So war es schon im klassischen Altertum, als sich nicht jeder Hinz und Kunz Kultur leisten konnte – selbst dann nicht, wenn er durch Redlichkeit zu Geld gekommen war (unredlich erworbenes Geld steht dem Zugang zur Kultur eigentlich entgegen, denn Unredlichkeit an sich ist kulturlos …) Und dass dieses Bemühen um die Erweiterung des kulturellen Horizonts in unserem Fall sogar mit sehr viel Mühe verbunden war, merkten wir schon kurz nach der Abfahrt aus Agrigent. Denn das Wetter war so gut, dass die Sonne erbarmungslos vom Himmel brannte und mit Siebenmeilenstiefeln auf den Sommer zustrebte. Im Sommer werden in Sizilien für acht Wochen die Schulen geschlossen und das gesellschaftliche Leben erlahmt. Das ist auch verständlich, denn nach etwa neun Uhr vormittags sind im Freien bereits Temperaturen erreicht, die sich locker an der 30 °C‑Grenze bewegen. Selbst abends gegen 21 Uhr liegen die Temperaturen noch bei über 30 °C. An Schule oder Arbeit ist da gar nicht zu denken. Sizilianische Kinder werden daher über Juli und August bei der Verwandtschaft durchgereicht, die sich abwechselnd mit der Bagage am Strand aufhält. Dort findet das Leben dann erst nach 21 Uhr statt – auch mit den lauten Folgen, die wir schon erlebt hatten. Wer nicht unbedingt arbeiten muss, tut es auch nicht – und wenn, dann zwischen fünf und neun Uhr morgens und abends weit nach Sonnenuntergang. Aufwärts So also kamen wir nach einer wieder einmal lauten Nacht gegen halb zehn Uhr los und fuhren auf den bepackten Rädern aufwärts. Vorbei am Valle dei Templi war unser nächstes Ziel das Städtchen Piazza Amerina mit seiner berühmten römischen Villa, einer weitläufigen Museumsanlage, der „Villa Casale“. Piazza Amerina liegt etwa 700 m über dem Meer, was uns zu der Hoffnung veranlasste, dass es dort klimatisch etwas gemäßigter zugehen könnte. Aber bis dorthin ging es durchs echte Hinterland, abseits der touristischen Zentren. Sizilien ist geologisch gesehen ein riesiger Felsklotz, der bei der Entstehung des Mittelmeers es irgendwie geschafft hatte, über Wasser zu bleiben – auch dank der vulkanischen Kräfte. Diese haben den alten untermeerischen Kalkstein nach oben gedrückt und auf eine Höhe von bis zu 1000 m über dem Meeresspiegel aufgefaltet. Die Tatsache, dass es sich um Kalkstein handelt, erklärt zum einen die zahlreichen Höhlen und den guten Wein Siziliens, zum anderen aber auch die relative Kargheit des Landes. Durch jahrhundertelangen Holzeinschlag und die Nutzung der Insel als „Kornkammer Europas“ ist der Boden völlig verkarstet. Die Landwirtschaft hat mit den riesigen Weizen-Monokulturen ein Übriges dazu geleistet, dass der Boden, der vormals dicht bewaldet war, nun weitgehend ausgewaschen ist. Wasser versickert sofort. Die Ebene von Catania Um dem rapiden Humusschwund Einhalt zu gebieten, hat man begonnen, die schlechter landwirtschaftlich nutzbaren Hänge aufzuforsten. Dummerweise aber mit schnellwachsendem Eukalyptus, der zwar mit dem schlechten Boden zurechtkommt, ihn jedoch noch weiter auslaugt. Als Ergebnis wechseln sich endlose sonnenverbrannte Getreidefelder mit kahlem Fels und schütterem Baumbewuchs aus Eukalyptusbäumen ab. Schatten und Abkühlung ist dort kaum zu erwarten. Schweiß und Tränen Und entsprechend gering war auch die Abwechslung, die sich dem vor Schweiß brennenden Auge bot. Gegen Nachmittag war unser an sich recht großer – und mittlerweile mehr als aufgewärmter – Wasservorrat aufgebraucht, an Nachschub war nicht zu denken, da es abseits der touristischen Gegenden auch kaum Läden gibt, die tagsüber geöffnet haben. Als wir am Salso die Provinzgrenze in Richtung Riesi überquerten und nach dem ständigen Hügelauf-Hügelab dringend eine Pause brauchten, wähnten wir uns dem Ende der Tagesetappe schon recht nahe. Laut Karte und Radführer (der allerdings einige Touren nur nach dem Hörensagen kannte oder anhand der Straßenkarte zusammengesteckt hatte) waren es nur noch wenige Kilometer bis zum Ziel, einem Agroturistico. Dort hofften wir, unser Zelt aufschlagen zu dürfen. Wir hatten noch in einem Bergbaumuseum am Ufer des Salso Halt gemacht, wo uns das dortige Personal aus lauter Mitleid eine Flasche Wasser schenkte und uns versicherte, es wäre nicht mehr weit: nur noch einmal um den Hügel herum. Ausblick über die Provinzgrenze hinüber Richtung Caltanissetta. Mit frischem Mut gingen wir die letzten Kilometer an in Richtung Riesi – die sich allerdings als das härteste Stück der ganzen Strecke herausstellten. Waren wir vorher den ganzen Tag zwar immer gemächlich aufwärts gefahren – hundert Meter hoch und 50 wieder ab – so ging es jetzt in sengender Nachmittagssonne ununterbrochen aufwärts. Die Kinder waren am Ende, was auf dem Tandem bedeutete, dass wir Erwachsene neben der andauernden Motivationsförderung („Es kann nicht mehr weit sein!“) auch einen immer größer werdenden Anteil der Fortbewegungsarbeit leisten mussten. Nun ist unsere Älteste eine ausgezeichnete Sportlerin und sehr ausdauernd, aber dennoch mussten wir immer häufiger Pausen einlegen. Meine Frau, die mit dem Kurzen fuhr, fiel immer weiter zurück, denn der hatte zunehmend Mühe, sich überhaupt noch am Fahrradfahren zu beteiligen. Kurz: Als ich das Hinweisschild zum Agrituristico sah, fielen wir beiden Ersten fast vom Rad. Aber es war geschafft. Luxus pur Nur eine Zelt aufbauen konnten wir nicht. Stattdessen war der so bescheiden klingende Agrituristico ein 5‑Sterne Hotel oben auf dem Berg mit einer grandiosen Sicht nach allen Seiten, umgeben von Olivenbaumplantagen. Größer konnten wir den Kontrast kaum vorstellen. Nachdem wir die Reisekasse kontrolliert hatten, beschlossen wir, uns den Luxus zu gönnen. Und haben es keine Sekunde bereut. Nach dem Ausflug in die Höhen der sizilianischen Küche und Gastfreundschaft brachte uns der nächste Tag dann wieder rasch in den Alltag zurück: Wir mussten weiter zum historisch und touristisch bedeutsamen Piazza Amerina hoch über dem sizilianischen Tiefland. Der Ort stellt gewissermaßen die Wasserscheide dar, denn von dort aus geht es nur noch abwärts durch die weite Ebene von Catania, die im Norden von Etna begrenzt wird. Da das Klima in diesen Regionen vor allem Im Sommer unerträglich heiß wird, hatten schon die wohlhabenderen Römer ein großes Interesse daran, sich in den Sommermonaten nicht wie der Plebs ans Meer, sondern in die schattigen und luftigen Höhen des Berglandes zurückzuziehen. Sizilien ist radtouristisch vor allem im Inland nicht sehr erschlossen. Das eröffnet dem Reiseradler mit einem gewissen Hang zum „Abenteuer“ viele Möglichkeiten, Land und Leute besser kennenzulernen. Es erfordert aber auch eine gewissenhafte Planung im Voraus und eine hohe Bereitschaft, diese während der Reise komplett zu ändern und an die Gegebenheiten anzupassen. Seien es die Strecken, das Tempo, die Verpflegung oder die Übernachtungsplätze: ohne Improvisationstalent geht auf Fahrradreisen gar nichts oder artet in Stress aus. Das gilt für alle Reisen, aber vor allem in Sizilien. Auf der anderen Seite sind auch die Einheimischen Meister darin, so dass man sich bequem etwas abschauen kann. Früher, also noch im Mittelalter, war Sizilien von dichten Wäldern bestanden, die in den höheren Lagen das Leben erträglich machten, wenn es im Tiefland die 40 °C überschritt. Gleichzeitig sorgte der Baumbewuchs auch für eine ausreichende Feuchtigkeit, so dass es dort auch Wasser im Überfluss gab. Beste Voraussetzungen also für die römischen Patrizierfamilien (und nach Ihnen auch die Normannen und Staufer), diese Orte für den Bau von Villen zu nutzen. Die Wälder – und das ist wirklich eine Ausnahme im sonst kargen Sizilien – stehen dort immer noch. Und Villen gibt es auch. Unter anderem die über mehrere Jahrhunderte hinweg immer wieder genutzte und umgebaute Villa Casale. Nun ist es für den Bus- oder sonstwie motorisiert Reisenden kaum ersichtlich, was denn das Besondere an einem Ort sein soll, der mit ein paar Bäumen mehr ausgestattet ist und in dessen tiefer liegenden Flusstälern ein paar alte Ruinen ausgegraben werden. Aus Sicht eines Radfahrers stellt sich das natürlich anders dar. Radfahrer haben keine Klimaanlage, sie erleben jeden Anstieg und jede Talfahrt und auch die Umgebungstemperaturen anders. Für uns war es daher ein Glücksgefühl, als wir nach einem heißen Tag im Sattel endlich am Nachmittag in Piazza Amerina ankamen und die schmale Straße entlang eines Flüsschens rollten, das in den Gela fließt. Im engen Tal standen Bäume und unten rauschte das klare Wasser – so stellte ich mir auch die Ankunft des römischen Hausherrn vor, als er nach einer langen Reise in seiner Sommerresidenz ankam. Die wohltuende Stille und Kühle wurde jedoch rasch abgelöst von Kolonnen geparkter Reisebusse, die Touristen aller Herren Länder bis vors Eingangstor zur Villa Casale kutschierten. Noch vor dem Eingang dann das übliche Ramschangebot: von Hüten mit den Aufdruck der „Bikinimädchen“ (das wohl am meisten fotografierte Mosaik der Villa) bis zu den obligatorischen Postkarten und Schnellpizzabuden hatte sich das örtliche Kleingewerbe eingefunden. Wir aber machten erstmal Brotzeit (Brot, Käse, Obst und Wasser) und kühlten uns ab. Bodenmosaik in der Villa Casale: Man ließ wilde Tiere einfangen, um sie im Zirkus zur Belustigung gegeneinander antreten zu lassen. Der Besuch der Villa ist schnell erzählt: Besucher werden auf vorbereiteten Stegen durch die verwinkelte Anlage geleitet, wo sie den Restaurateuren bei der Säuberung und Wiederherstellung der zahllosen Bodenmosaike zusehen dürfen. Beeindruckend fand ich dabei nicht so sehr das schon angesprochene Motiv der badenden Mädchen, sondern das gigantische Mosaik, das den „Gang der großen Jagd“ bedeckt: mit 66 m x 5 m, also ca. 330 qm, nimmt es enorme Ausmaße an und stellt Szenen der Lieblingsbeschäftigung seiner Bewohner dar. Leider sind viele Räume immer noch nicht für den Tourismus geöffnet, so dass nur ein kleiner Teil des Komplexes zu besichtigen ist. Dennoch haben wir einige Stunden darin zugebracht (auf uns wartete kein Bus), was dazu führte, dass man uns buchstäblich kurz vor Sonnenuntergang hinauswerfen musste. Am Ausgang des Sträßchens zur Villa steht ein Restaurant, dessen Besitzer im Hof Stellplätze für Zelte anbieten. Davon wussten wir, seitdem wir das letzte Mal in dunkler Nacht daran vorbei geradelt waren und erst am nächsten Morgen davon erfuhren. Diesmal jedoch schien das Restaurant leer: der Besitzer war gerade fort, und seine Mutter wollte uns nicht aufnehmen. Als er zurück kam, erfuhren wir den Grund: er hatte seine Bandmitglieder eingeladen, um für einen Auftritt zu üben. Für uns war es nicht schlimm, denn so genossen wir einen lauen Abend im Zelt mit gepflegter Jazzmusik. Kennst Du das Land, wo Dir die langen Strecken blühn? Wo stramme Radlerwaden tapfer sich im Kreise drehen? Vom Himmel hoch ein starker Westwind weht, an jedem Zeltplatz nur »Chiuso« steht? Du kennst es wohl? Dahin! Dahin! will ich mit Dir, o meine Liebste fliehn! (frei nach Goethe) Am Morgen dann folgte die definitive Routenänderung: Wir hatten schon länger überlegt, wie wir die geplante Tour zum Etna quer durch die Ebene von Catania bei dieser Hitze bewältigen sollten. Die Antwort war einfach: Zurück nach Catania und von dort aus an einem anderen Tag mit dem Bus zum Etna. Das bedeutete, dass wir zunächst von den Hügeln des Erei wieder nach Osten mussten – eine grandiose Abfahrt. Danach ging es dann in möglichst gerader und unspektakulärer Fahrt nach Catania zum Zeltplatz, denn das Hotel, in dem wir unsere Fahrradkoffer deponiert hatten, war noch ausgebucht. Außerdem hatte dies einen großen Vorteil: der Zeltplatz liegt nicht nur ein wenig abseits des Lido und mithin ein wenig ruhiger, sondern er besitzt auch einen kleinen Süßwasserpool, in dem die Kinder sich austoben konnten. Zwar gestaltete sich die Lebensmittelbeschaffung als etwas umständlich, da wir jedoch mit den Rädern nur am Lido vorbei etwa acht Kilometer in die Stadt fahren mussten, kamen auch die Erwachsenen noch zu etwas Bewegung. Und den Ausflug zum Etna machten wir auch noch. Aber das ist eine andere Geschichte. Der Ätna im Abendlicht Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … unterwegs RadreiseSizilienTandems
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