Auf Kollisionskurs 27.12.201703.11.2018 Endlich erobern sich Standardisierung und Modularisierung in der Technischen Dokumentation den ihnen gebührenden Platz. Das immer noch weit verbreitete „Copy & Paste“ ganzer Dokumentationen einschließlich des anschließenden Aufwands verliert. Endlich. In den letzten Jahren verlieren die klassischen Publikationsmethoden in der technischen Dokumentation zunehmend an Boden: Wer heute noch seine zunehmend komplexeren Informationen auf die traditionelle Weise herstellt, indem er erst eine Dokumentation für ein Produkt aufbaut und dieses dann vervielfältigt und anpasst, der wird schon nach kurzer Zeit mit explodierenden Kosten bestraft: jedes Dokument wird nach der Anpassung neu übersetzt, jede Anpassung muss nachvollzogen werden, jede Änderung der Spezifikation zieht ständige Anpassungen in allen weiteren betroffenen Dokumenten nach sich. Eine 1:n‑Beziehung zwischen der Produktänderung und der Dokumentanpassung ist damit unausweichlich – mit allen Konsequenzen bei Personalaufwand und Fehlerhäufigkeit. Denn im Gegensatz zur Tatsache, dass der deutsche Sondermaschinenbau hochgradig flexibel auf Kundenwünsche reagieren kann, weil er nur Einzelanfertigungen produziert, schreibt man auch dort nicht jedesmal die Dokumentation neu, sondern nutzt – per Copy & Paste – bereits vorhandene Dokumentationsbausteine: Hier ein Abschnitt, dort ein Bild oder eine Tabelle. Und die Firmenadresse ist sowieso gleich bis auf die neue Telefonnummer … Der Sondermaschinenbau ist nur das Extrembeispiel, denn selbst dort zeigt die Erfahrung, dass kein Mensch das Rad gerne zweimal erfindet und sich der betriebswirtschaftliche Gewinn erheblich verbessert, wenn man durch Wiederverwendung von Bauteilen in eine Kleinserienfertigung übergeht, die nur an vorher definierten Stellen anpassbar ist. Warum macht man das dann nicht in der Dokumentation auch? Das macht man auch, und zwar zunehmend mit Redaktionssystemen oder anderen Werkzeugen, die eine Modularisierung und Wiederverwendung von Informationsmodulen ermöglichen. Ausgehend von den gleichen Überlegungen wie bei der Produktion, dass nämlich die Produkte modular aufgebaut sind, wird mit Redaktionssystemen diese Modularität nachempfunden.1 Schweres Gerät für große Projekte Redaktionssysteme sind wie Sattelschlepper: es gibt fast nichts, was man mit ihnen nicht verarbeiten kann. Sie transportieren Informationen jeder Größe auf jedem Weg zum Nutzer. Zuverlässig. Allerdings nicht billig und „mal eben so“, denn sie erfordern einen relativ großen Planungsaufwand zur Strukturierung der Information (siehe auch Redaktionssysteme: Leidensdruck oder Knopfdruck?) ebenso wie zur Einarbeitung und Pflege. Sie sind langfristig immer eine Option, wenn Informationen drohen, durch ständige Anpassungen, hohe Produktvarianz, Globalisierung und Pflegeaufwand unter die Räder zu geraten. Projekte sind nicht deshalb „groß“, weil sie viele Seiten (auch im übertragenen Sinn) besitzen, sondern weil zahlreiche Faktoren zum Gelingen beitragen müssen – Faktoren, die nur zu einem geringen Teil mit dem Produkt selbst zu tun haben. Es gibt aber einen weiteren Aspekt, der – und hier passt das Bild auch – nicht zwangsläufig aus einer vielseitigen, skalierbaren und pflegeleichten Dokumentation auch eine gute Dokumentation macht: Redaktionssysteme sind nämlich eine technische Lösung für ein betriebswirtschaftlich-technisches Problem. Dem Nutzer der Dokumentation ist es weitgehend egal, ob und mit welchem Redaktionssystem seine Information erstellt und produziert wurde – der Nutzer will die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt („Wie quittiere ich eine Fehlermeldung an meiner Maschine?“ – „Wo schließe ich meinen Beamer an?“ – „Warum kann ich das Batteriefach an meiner Kamera nicht öffnen?“). Hier besitzen Redaktionssysteme eine systemimmanente Schwachstelle: sie sind auf die effiziente Massenproduktion ausgelegt, nicht auf die individualisierte Informationsvermittlung. Wenn Technikredakteure vom „Nutzer“ im Singular sprechen, ist damit eigentlich immer eine Zielgruppe gemeint, die der Redakteur sich selbst vorstellt oder auf die sich die Redaktion geeinigt hat. Dazu leisten Redaktionssysteme einen unersetzlichen Beitrag, indem sie auf strikte Konsistenz achten. Ob Terminologie oder Satzbau, ob Übersetzungskongruenz oder Layout – der Redakteur kann (und darf) nichts selbst „individualisieren“. Das ist gut für die Dokumentation und die Kosten, aber ist es auch gut für den Nutzer? Der Nutzer sieht ja nicht, dass sein Dokument in 24 Sprachen auf allen Kontinenten mit der identischen Information zur Verfügung steht, er hat nur ein Produkt und ein Dokument. Er weiß nichts vom hohen logistischen Aufwand, der dahinter steckt, die von ihm voraussichtlich benötigte Information („Heiße Oberfläche! Finger weg!“) verständlich und situativ passend bereitzustellen. Das soll er auch nicht. Der Aufwand zur Individualisierung muss aber teilweise getrieben werden, vor allem, wenn es sich um Endbenutzer-Produkte handelt, also Produkte, für die kein Fachwissen erforderlich ist. Denn während sich der Technikredakteur im Maschinen- und Anlagenbau darauf verlassen kann, dass seine beschriebenen Produkte nur von „Fachpersonal“ benutzt werden, hat er es im privaten Bereich mit Laien zu tun. Laien, die nicht wissen, in welche Richtung man eine Schraube drehen muss, um sie zu lösen. Laien, die nicht wissen, dass man ein elektronisches Gerät nicht unter dem Wasserhahn reinigt oder den Hamster in der Mikrowelle trocknet. Das ist nicht Desinteresse, das ist einfach die Begrenztheit des menschlichen Verstands – so wie auch hochbezahlte Ingenieure Probleme damit haben können, sich ein Rezept für Hefeteig zu merken. Auf der anderen Seite Der hochgradig effizienten Dokumentationserstellung mit zahlreichen Publikationskanälen, einem Stab an Spezialisten, Experten und ausgeklügelten Prozessen steht ein einfacher Nutzer gegenüber, der einfach nur wissen will, wo der blöde Einschaltknopf ist. Es ist eine seltene und nicht gerade leichte Kunst, den vermeintlich trivialen Ansprüchen eines Nutzers mit einem Redaktionssystem beizukommen, das dafür eigentlich nicht gemacht ist. Es kostet einen enormen Aufwand, dieses Kunststück zu bewerkstelligen, sowohl konzeptionell als auch inhaltlich. Diesen Aufwand kann sich aber nicht jeder Produzent leisten, denn zu den Kosten für ein Redaktionssystem und den Schulungen sowie Anpassungen der Technik kommt der konzeptionelle und inhaltliche Aufwand für die „Individualisierung“ dazu. Berechtigterweise stellt sich dadurch die Frage, ob sich ein Redaktionssystem in einem solchen Fall überhaupt lohnt – oder ob es nicht auch „eine Nummer kleiner“ auch geht. Damit spart man sich dann zwar nicht den konzeptionellen und inhaltlichen Aufwand, aber zumindest die Kosten für die Einführung und Pflege eines Redaktionssystems. Das Dilemma „Geld oder Nutzer“ lässt sich nur im Einzelfall beseitigen – und auch dann nur temporär. Denn der Nutzer steht da wie eine Felswand, auf die ein Fahrzeug zufährt. Er lässt sich nicht verschieben oder ändern. Den Schaden hat immer das Fahrzeug – egal wie groß es ist. Sie kann nicht identisch sein, auch wenn Produktmanager das manchmal denken, da die Bauteile und ihre Einbindung in das Gesamtsystem „Produkt“ nicht deckungsgleich sind mit der jeweils vorhandenen Information und ihrer Verwendung im Gesamtsystem „Dokumentation“. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … technische dokumentation ModularisierungRedaktionssystemUsability
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