Seiltänzer 21.12.201703.11.2018 Selbstständigkeit in der Technischen Redaktion stellt für manche Mitmenschen eine Art verschärftes Strafmaß dar: „Der Job ist doch sowieso schon langweilig, wieso soll er dann auch noch unsicher sein?“. Ja, zumindest Letzteres ist richtig. (Wer seinen Job für langweilig hält, hat Probleme, die mit der Technischen Dokumentation nichts zu tun haben…) Auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht so scheint, gibt es trotzdem Mitmenschen, die sich nicht nur zutrauen, den Job des Technischen Redakteurs zu machen, sondern dies auch auf eigene Verantwortung. Denn nichts anderes bedeutet „Selbstständigkeit“. Einschränkung: Viele Berufe erlauben es erst gar nicht, sich diesen Schritt ins Ungewisse überhaupt zu überlegen, in anderen Berufen ist es fast normal, unabhängig zu arbeiten und seine Leistungen zu verkaufen. An dieser Stelle folgt jetzt kein Plädoyer für den durchaus meist sehr interessanten Beruf des Technikredakteurs im Allgemeinen (das hängt oft weniger mit dem Beruf selbst zusammen als mehr mit der Berufsauffassung des Einzelnen und wurde hier schon einmal angesprochen) – hier soll es um die Aspekte gehen, die den Job als lohnabhängig Beschäftigter von jenem unterscheiden, wie ihn ein Selbstständiger sieht. Daher zunächst ein Ausflug in das Unterholz der Selbstständigkeit. Mythos und Realität Zu den Mythen zählen in erster Linie zwei sich widersprechende Auffassungen der Selbstständigkeit: Der Selbstständige sitzt vormittags im Café und tippt auf seinem teuren Tablet/Laptop herum, um Rechnungen zu verschicken. Jain. Man kann Rechnung natürlich nur stellen, wenn es etwas abzurechnen gibt. Es muss also zuvor eine Leistung erbracht worden sein, die bestellt wurde. An die Bestellungen kommt man nicht im Café, die muss man sich auch als Selbstständiger erarbeiten. Man hat ja keinen Chef, der einem die Aufträge auf den Tisch knallt, sondern muss sich selbst um seine Kunden kümmern, seine Kenntnisse und sein Wissen beschaffen, wie man einen Auftrag – so er denn kommt – abarbeiten kann, um dann am Ende im Café Rechnungen schreiben zu können. Auch vormittags. Selbstständigkeit ist Selbstausbeutung, denn ohne soziale Absicherung steht man immer mit einem Bein in der Armut. Auch jain. Tatsächlich zeigen Statistiken, dass nicht wenige Selbstständige unterhalb der Armutsgrenze leben und eigentlich nicht einmal den Mindestlohn verdienen – und das ohne Altersabsicherung. Selbst wer mehr als 3000 € im Monat erhält, muss davon ja nicht nur die wesentlich teurere Krankenkasse zahlen, sondern sich auch um eine Vielzahl weiterer Versicherungen kümmern – Berufshaftpflcht, Berufsunfähigkeit, Unfallversicherung – und hat damit immer noch nicht für den Ruhestand vorgesorgt. Dementsprechen hoch ist der Druck, Jobs anzunehmen, die einem vielleicht nicht viel Geld bringen, aber doch genug, um damit „von der Hand in den Mund“ zu leben, sprich: die monatlichen Ausgaben zu decken. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, denn Aufträge bedeuten Einkommen – und für reine Anwesenheit gibt es nichts. Wie sieht das in der Praxis aus? Erfolgreiche Selbstständige neigen gerne dazu, ihren Erfolg ausschließlich auf ihr Gespür für lukrative Aufträge, ihre guten Verbindungen zu solventen Auftraggebern und ihren kompromisslosen Einsatz zurückzuführen. Selfmade-Millionäre sozusagen. Im Umkehrschluss schauen sie auf all die armen Schlucker unter ihren Kollegen herab, die demzufolge entweder zu dumm oder zu faul oder beides sind.1 Natürlich gehört zur Selbstständigkeit kompromissloser Einsatz. Auch ein Gespür für lukrative Aufträge und solvente Kunden ist immer von Vorteil. Aber dazu kommt vor allem: Glück – und die Fähigkeit, ihm nicht im Weg zu stehen. Glück bedeutet hier, dem Zufall vertrauen zu können und sich von Rückschlägen nicht umwerfen zu lassen. Denn auch wenn erfolgreiche Selbstständige dies meist vergessen: man lernt fast ausschließlich aus Fehlern und Rückschlägen. Die Kunst der Selbstständigkeit besteht daher darin, eine Balance zu finden zwischen Erfolgswillen und dem Risiko des Scheiterns. Was braucht man als Technikredakteur? Wer sich selbstständig machen möchte – und da unterscheidet sich der Technikredakteur nur wenig von anderen Selbstständigen, die ohne Angestellte arbeiten (Taxifahrer, Journalisten, Fotografen) -, der muss vor allem das Risiko abschätzen können: Die naturgemäß schwankende Auftragslage führt zu einem schwankenden Kontostand. Diesem stehen aber feste Ausgaben gegenüber (Miete, Versicherung, Betriebskosten wie Telefon oder Fahrzeug), die regelmäßig für Ebbe in der Kasse sorgen. Man sollte sich also vorher ein paar Gedanke um folgende Fragen machen: Wie lange kann ich eine Durststrecke durchstehen (mit Ausgabendisziplin, Rücklagen, Einkommen des Partners /der Partnerin, …)? Was mache ich, wenn die Durststrecke länger anhält (Werbung, Umzug, Umschulungen, …)? Wie unterscheide ich zwischen einer Durststrecke und einem kurzfristigen Auftragsloch (vielleicht jahreszeitlich bedingt)? Es gibt für den Technikredakteur aber noch weitere Möglichkeiten, Rückschläge abzufangen: Spezialisierung und ständige Weiterbildung in nachgefragten Teilaspekte des Berufs: Technische Dokumentation ist extrem vielseitig – vergleichbar mit Journalismus – und stellt aufgrund des ständigen Wandels hohe Ansprüche an die Flexibilität. Prozesse, Tools und Tätigkeiten, die noch vor wenigen Jahren als effizient galten, sind mittlerweile überholt und entsprechend kaum noch nachgefragt. Das setzt die Bereitschaft voraus, dauernd sehr vieles neu zu lernen und zu verarbeiten. Teilzeitbeschäftigung. Klingt für manche fast schon ehrenrührig, aber auch dies ist durchaus interessant für Technikredakteure, die sich das ganze Risiko einer vollen Selbstständigkeit nicht zutrauen (können). Das setzt allerdings voraus, dass der Arbeitgeber dies auch zulässt.2 Erfahrung und Geduld. Das ist die wohl schwierigste Option, denn sie setzt die Bereitschaft voraus, aus jedem Rückschlag lernen zu wollen und jeden Fehler nur einmal machen zu wollen. Glücklicherweise steht bei Fehlern des Redakteurs in den seltensten Fällen ein Menschenleben auf dem Spiel. Toleranz. Neben dem Glück und der Fähigkeit, es zu nutzen, gehört die Toleranz des eigenen Lebensumfelds zu den wichtigsten Faktoren der Selbstständigkeit. Es muss auch dem Umfeld klar sein, dass hier einer versucht, ohne Netz und doppelten Boden auf einem Seil zu balancieren. Dass er dazu nicht zusätzlichen Leistungsdruck benötigt, versteht sich von selbst. Dass alle bereit sein müssen, auf viele Annehmlichkeiten wie regelmäßiges Einkommen oder geregelte Arbeitszeiten zu verzichten, gehört auch dazu. Zusammengenommen … … ist Selbstständigkeit als Technikredakteur ein Schritt, der sehr gut und gründlich durchdacht werden sollte. Und zwar nicht alleine im stillen Kämmerlein, sondern mit allen Betroffenen, die auf viele Jahre hinaus mit den Unwägbarkeiten dieser Art des Broterwerbs zurechtkommen müssen. Am anderen Ende des Seils aber wartet die Freiheit eines erfüllten und selbstbestimmten Berufslebens. Meistens. Dieses Weltbild schließt oft bestimmte politische Präferenzen ein, denn wer Erfolg hat – und sei es auch nur beruflich – dehnt diese Erfahrungen auf seine Umwelt aus und geht einfach davon aus, dass es nur auf die eigenen Fähigkeiten ankommt – ohne zu berücksichtigen, dass die Nutzung derselben eben nicht vom Himmel gefallen sind. ↩Allerdings lässt ihm die aktuelle Arbeitsmarktsituation kaum eine andere Wahl: lieber eine Teilzeitkraft als gar keinen, der die Arbeit macht. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Selbstständigkeit RedaktionTechnische Kommunikation
Belastbarkeit 25.02.2009 In einem Artikel der FAZ fasst ein Unternehmensberater aus Traunstein die Anforderungen an die Selbstständigkeit… Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Read More
Wo arbeiten wir heute? 28.09.200719.10.2023 Die Internetseite der Tagesschau meldet heute: Wirtschaft sucht Mitarbeiter – 1,5 Millionen freie Stellen –… Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Read More
tekoma 17.11.201205.05.2019 Für Außenstehende in etwa so interessant wie der Kaninchenzüchterverein von Kleinkleckersdorf: die tekom, Fachverband für… Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Read More