Was macht denn der so den ganzen Tag? 27.07.201716.01.2019 Als freiberuflicher Technischer Redakteur komme ich häufiger in die Situation, einem Personaler oder sonstigen fachfremden Menschen in abhängiger Beschäftigung zu erklären, was ein freiberuflicher Technischer Redakteur macht. Häufig geht es dabei gar nicht so sehr um die Job-Beschreibung, denn die Anforderungsprofile sind eigentlich banal („Office-Kenntnisse, Deutschkenntnisse, Computerbeherrschung etc.) und würden auf vermutlich 80% aller Berufstätigen in Deutschland zutreffen. Häufig geht es um ein grundlegendes Verständnis für die Auftragsabwicklung in der Technischen Redaktion im Allgemeinen und der freiberuflich-selbstständigen Tätigkeit im Besonderen. Zunächst ein Blick auf die Arbeit des Technischen Redakteurs (TR) im Allgemeinen. Der freiberufliche TR bekommt dann die erschwerten Bedingungen (s.u.). Der Jongleur Im Gegensatz zur Produktion einer Maschine sind Dokumentationsprojekte für den TR nicht gleichförmig, sondern in Phasen unterteilt, die ineinanderlaufen können: Recherche. Hier beschafft sich der TR die Kenntnisse über das zu dokumentierende Produkt. Das kann abhängig vom Produkt unterschiedliche Formen annehmen (Ortstermine, Musterexemplare, Demosoftware, Designmeetings, Pläne, Zeichnungen, CAD-Daten, etc.), ist aber immer notwendig, da der TR meist nicht das Produkt kennt, aber Erfahrung in der Informationsvermittlung hat (sein eigentliches Aufgabenfeld). Dazu zählt auch, den gesamten Prozess zu eruieren: „Was passiert nach der Erstellung und Freigabe? Wird übersetzt? In welcher Form werden die Dokumente publiziert?„1 Konzeption. Um die vorhandene Information zielgruppengerecht aufzubereiten, filtert und sortiert der TR die Informationen nach Relevanz und Relation zu anderen Informationen („In welcher Situation wird diese Information benötigt?“). Die Erstellungsphase schließt meist direkt an die Recherchephase an und überlappt sie, da fehlende Informationen nachgefordert werden.2 An dieser Stelle bereits läuft die Arbeit nicht glatt durch, da die konzeptionellen Fragestellungen nicht ohne Kommunikation mit dem Produktverantwortlichen beantwortet werden können. Es treten Pausen ein. Erstellung. Jetzt trägt der TR das Wissen zusammen und reichert es mit seinen Kenntnissen über Leseverhalten und Publikationskanäle an (zehnspaltige Tabellen beispielsweise können auf einem Tablet nicht sinnvoll gelesen werden.). Er erstellt die erforderlichen visuellen Informationen oder lässt sie sich erstellen (Grafiken, Bilder, Logos, etc.) und setzt alles in ein vorhandenes Gerüst ein, das er sich während der Strukturierungsphase erarbeitet hat. Auch hier treten mitunter Pausen ein, da noch Ergänzungen oder Änderungen auftreten, die vorher nicht erkennbar waren. Korrekturläufe. Die nächste Stelle, an der mitunter große zeitliche Löcher auftreten, ist die Phase der Korrekturläufe: der TR hat alle Informationen zusammengetragen und schickt sie dem Auftraggeber/Produktverantwortlichen zur fachlichen Begutachtung. Der hat aber meist sehr viele Tätigkeiten und kommt nicht dazu, umgehend zu antworten – abgesehen davon, dass auch das Korrekturlesen selbst natürlich Zeit in Anspruch nimmt. Meist sind die Korrekturläufe auch wieder von inhaltlich-fachlichen Fragen begleitet, die beantwortet werden müssen („Wie schwer ist das Ersatzteil?“) oder deren Antworten widersprüchlich sind, weil sie von anderen Produktbeteiligten unterschiedlich beantwortet werden. Freigabe. Ist nun alles fertig, benötigt der TR die Freigabe: entweder um das Dokument zu publizieren oder – was häufiger vorkommt – den Übersetzungsprozess anzustoßen. Die Übersetzer sind Fachleute auf ihrem Gebiet. Was sie nicht können, sind Änderungen in der Dokumentation durchzuführen („Wir haben da noch eine zusätzliche Taste eingebaut.“), da die Übersetzung durch ein so genanntes Translation Memory System (TMS) abgewickelt wird, die den Übersetzer dabei unterstützt, gleiche Phrasen oder Sätze („Matches“) auch gleich zu übersetzen. Die Dokumentation muss fertig sein – oder der Prozess beginnt von vorne. In der Zwischenzeit wartet der TR. Meist Wochen. Publikation. Das geht am schnellsten: ist die Dokumentation freigegeben und der Prozess stabil (z.B. Templates mit Variablen und automatischem Inhaltsverzeichnis), fällt die Dokumentation fast auf Knopfdruck heraus. An dieser Stelle macht sich die Arbeit bezahlt, die der TR während der Konzeptionsphase hineingesteckt hat. Die hier umrissenen sechs Blöcke liegen zeitlich mehr oder weniger eng beisammen, sie können aber schon aus prozesstechnischen Gründen nicht direkt aufeinander folgen. Es bilden sich also zwischen den Blöcken Lücken, die der TR füllt: Er kümmert sich um das nächste Dokumentationsprojekt. In einem Unternehmen sind das ja meist ähnliche Produkte, für die eine Recherche kurz ausfällt, weil „nur“ die Unterschiede zum vorangehenden Produkt ermittelt werden müssen. Diese Unterschiede bewertet der TR dann wieder auf ihre Relevanz und legt fest, welche Teile der vorhandenen Dokumentation angepasst oder ergänzt werden müssen.3 Da auch das zweite Dokumentationsprojekt Lücken besitzt, denn es besteht ja aus den gleichen sechs Blöcken – wenn auch in anderer Länge – versucht der TR, die Blöcke eines Dokumentationsprozesses mit den Lücken des anderen auszugleichen: Er jongliert. Dies setzt sich dann bei weiteren Projekten fort, die je nach Umfang oder auch Dringlichkeit parallel bearbeitet werden oder phasenversetzt dazwischengeschoben werden. Dokumentationsprozesse Und jetzt unter erschwerten Bedingungen Ist es ab einer gewissen Menge an Dokumentationsprojekten für den „normalen“ TR zunehmend schwieriger, die einzelnen Projekte terminlich synchron zu halten – die Dokumentation hat ja meist einen Lieferzeitpunkt, kommen für den freien TR erschwerte Bedingungen dazu. Da der freiberufliche Technische Redakteur für mehrere Auftraggeber tätig ist, die sehr unterschiedliche Produkte herstellen und auch deren Prozesse sich unterscheiden, hat es der freie TR mit folgenden zusätzlichen Aspekten zu tun: Software. Nicht jede Redaktion setzt (glücklicherweise) ein Office-Produkt ein. Der freie TR muss sich also nicht nur auf einer Vielzahl unterschiedlicher Softwareprodukte auskennen, sondern auch deren spezifischen Einsatz beim Auftraggeber kennen. Produkte. Die Produktvarianz ist wesentlich größer. Dies beeinflusst vor allem die Recherchephase, ein Fotoapparat setzt ein anderes technisches Verständnis voraus als eine Blechbiegemaschine. Prozesse. Zwar folgt die Dokumentionserstellung grundsätzlich immer den oben beschriebenen sechs Schritten, aber jeder Block kann völlig unterschiedlich sein: Während innerhalb eines Unternehmen in die gleichen Sprachen übersetzt und mit dem (hoffentlich) gleichen sprachlichen Duktus geschrieben wird (dafür werden die selten anzutreffenden Redaktionsleitfäden benötigt), hat ein anderer Auftraggeber einen anderen Sprachstil, an den sich der TR anpassen muss. Kommunikation. Jeder Auftraggeber hat eigene Wege zur Kommunikation und zur Dateiübertragung. Manche setzen Videosoftware ein, andere schicken E‑Mails oder erlauben den Zugriff auf ein internes Kommunikationssystem. Und manche wollen Änderungen telefonisch durchführen… Abwicklung. Dokumentationsaufträge werden nicht alleine mit dem Produktverantwortlichen koordiniert, sondern müssen beim Auftraggeber verschiedene Bereichen durchlaufen, die für die Verwaltung notwendig sind (Angebote, Abschätzungen, Rechnungen, IT-Richtlinien und ‑administration). Diese Prozesse rahmen den Dokumentationsprozess ein und können Auswirkungen auf weitere Aufträge haben („Wieso kostet fast genausoviel wie beim letzten Mal? Das ist doch fast die gleiche Dokumentation?“). Un‘ nu‘? Wie man unschwer erkennt, ist die Tätigkeit eines Technischen Redakteurs in erster Linie nur zu einem Bruchteil das Verfassen von Dokumenten – im Gegenteil, das macht vielleicht 40% eines Projekts aus -, sondern hat sehr viel mit Planung und Kommunikation zu tun. Das macht den Job aber auch so interessant und spannend. Bildquelle: Adobe Stock Die zunehmende Globalisierung und Diversifikation der Medien zwingt den TR regelrecht, hier bereits mitzudenken, denn die schönsten Produktfotos werden obsolet, wenn die Dokumentation später auf einem Smartphone konsumiert werden soll. ↩Es kann vorkommen, dass es hier bereits zu zeitlichen Verzögerungen kommt, da es Rückfragen zur Struktur gibt oder diese erst „abgesegnet“ werden muss. ↩Ein guter Redaktionsprozess hat immer auch die Modularität im Blick, so dass eine Änderung am Produkt nicht dazu führt, dass die gesamte Dokumentation neu geschrieben werden muss. Dabei unterstützen auch Content Management Systeme, CMS. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … dokumentation Selbstständigkeit technische dokumentation thinkware Work ProjekteRedaktion
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