Kommunikationskanal-Arbeit 13.12.201721.12.2017 Der Nassreisanbau in Asien hat nicht nur das Überleben von Milliarden Menschen gesichert, sondern auch tiefe Spuren in der gesellschaftlichen Interaktion hinterlassen. Daraus können auch wir Redakteure etwas lernen. Aus der Kommunikationsstrategie, nicht aus dem Nassreisanbau. Zwar heißen in Deutschland die meisten Studiengänge, in denen angehende Technikredakteure ihr Handwerk erlernen, irgendetwas mit „Redaktion und Kommunikation“, aber die Kommunikation, um die es dort geht, bezieht sich meist auf die Kommunikation mit dem Rezipienten der Dokumentation: es geht darum, durch den Redakteur eine Art von Kommunikation (oder zumindest Verständnis) zwischen dem Mensch (Benutzer) und der Maschine (Produkt) aufzubauen. Der Redakteur vermittelt schwierige und/oder komplexe Sachverhalte so, dass das Produkt sicher (für den Prozess) und gefahrlos (für den Menschen) benutzt werden kann. Das ist schon schwierig genug. Erstaunlicherweise findet eine Betrachtung der Kommunikation zwischen dem Produktverantwortlichen (Programmierer, Konstrukteur, Ingenieur etc.) und dem Technikredakteur dabei kaum Beachtung. Wie der Redakteur an seine Informationen kommt und sie verifiziert, wird entweder stillschweigend vorausgesetzt oder aber dem Ermessen des Einzelnen überlassen. Dabei ist es genau diese Hürde, die Berufsanfänger nehmen müssen – und vor der auch Redakteure stehen, die das Unternehmen wechseln oder als Selbstständige mit häufig wechselnden Ansprechpartnern zu tun haben: „Wer liefert wann welche Information zu welchem Thema? Ist diese Information vollständig und korrekt?„1 Dies führt zu einer Leerstelle im Kommunikationsprozess: Der Produktverantwortliche weiß nicht, was er antworten soll auf eine Frage, von der der Redakteur nicht weiß, dass er sie stellen muss. Dem Problem lässt sich auf zwei Arten beikommen: Technisch: Kommunikationskanäle und ‑vorgaben werden analysiert und festgelegt. Mit welcher Technik lässt sich die Information und Kommunikation am effizientesten realisieren? Es ist dabei nicht eine einzige Technik, die zum Erfolg führt, sondern ein Bündel unterschiedlicher Kanäle (Meetings, Chats, „Spaces“ (geschlossene virtuelle Gruppen), Telefon, E‑Mail, …). Organisatorisch: nicht jeder muss seinen Senf zu jedem Thema abgeben. Der Produktverantwortliche (PO, product owner) kennt das Produkt (Maschine, Software, …) gut, hat aber von Publikationskanälen (Druck, Online, …) wenig Ahnung. Das muss er auch nicht. Der Redakteur kennt dafür den nachgelagerten Übersetzungsprozess und das Terminologiemanagement nicht. Sollte er aber. Wie funktioniert denn das beim Nassreisanbau? Wie beim Nassreisanbau ist der Ertrag (bzw. Erfolg) am Ende immer auf die Zusammenarbeit und Abstimmung aller Beteiligten zurückzuführen. Wird zu viel geflutet oder zu spät gewässert, leidet die Ernte, denn Nassreisanbau funktioniert über ein ausgeklügeltes System aus feldähnlichen Mulden. Diese sind durch Kanäle miteinander verbunden und müssen in bestimmten Intervallen geflutet und trockengelegt werden. Da diese Anbautechnik zum einen von einer gemeinsamen Wasserquelle abhängt und auch das Setzen im knöcheltiefen Wasser eine Gemeinschaftsaktion darstellt, war früher meist das gesamte Dorf beteiligt, damit jeder für sein Reisfeld zum richtigen Zeitpunkt die ausreichende Menge Wasser beziehen konnte und sowohl für das Setzen als auch die Ernte auf die Mitarbeit aller angewiesen war und entsprechend beitragen musste. Man musste sich daher bereits vor der Saison auf eine Bewässerungsstrategie und Reihenfolge festlegen, um den Erfolg am Ende der Saison zu gewährleisten. Nassreisanbau ist bis in die heutige Zeit Gemeinschaftsarbeit.2 Jetzt ist es natürlich leicht, hier die asiatischen Dorfstrukturen zu verklären als idiosynkratische Gruppen, die „mit einer Stimme sprechen“ und in der alle das Gleiche denken. Das ist Unsinn. Konflikte und Uneinigkeit sind Teil des Menschen – zu jeder Zeit und überall. Wenn allerdings das Überleben davon abhängt, verschieben sich die Prioritäten … Kanalisationsregeln Entscheidend ist weniger die „Gleichschaltung“ der Gruppe (jeder Projektleiter kann bestätigen, dass heterogene Gruppen wesentlich erfolgreicher sind als homogene Gruppen), als vielmehr die Regeln, mit denen der Erfolg für alle am wahrscheinlichsten ist. Je besser das Gleichgewicht zwischen den Kenntnissen und Ansprüchen des Einzelnen und denen der Gruppe gefunden wird, desto größer sind die Aussichten auf Erfolg – und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Erfolg reproduzierbar ist. Was bedeutet das in der Technischen Dokumentation? An dieser Stelle gehe ich nicht auf die Trivialität ein, dass nicht jeder zu jedem Punkt im Prozess das gleiche Mitspracherecht hat. Umgekehrt heißt das aber auch, dass Festlegungen, die mit den jeweils Verantwortlichen getroffen werden, auch von diesen verantwortet werden müssen: Der Technikredakteur muss sich nicht dem Ingenieur gegenüber rechtfertigen dafür, dass die Marketingabteilung ein zweispaltiges Layout möchte. Und der Produktverantwortliche ist auch nicht dafür da Texte zu übersetzen. Diese Festlegungen müssen aber bereits zu Beginn einer Dokumentationsaufgabe feststehen. Später, wenn Termindruck hinzukommt, sind Änderungen nicht nur sehr aufwändig, sondern auch fehleranfällig. – Und wenn während des Dokumentationsprozesses durch Urlaub und Krankheit plötzlich weitere Informationslücken entstehen, kann der gesamte Dokumentationsprozess ins Stocken geraten. Kalter Kaffee, das weiß jeder. Ein genauso wichtiger Schritt zu Beginn des Prozesses ist die Festlegung der Kommunikationskanäle. Oft wird nämlich (zumindest in Deutschland und dem klassischen Maschinenbau) davon ausgegangen, dass der gesamte Informationsaustausch per E‑Mail und Telefon erfolgt. Das ist erfahrungsgemäß oft nicht angemessen. Stellenweise geht es zwar wirklich nicht anders, da in manchen Unternehmen der E‑Mail-Verkehr eigentlich nur eine Verschriftlichung des „Flurfunks“ darstellt („Gabi aus dem dritten Stock hatte Geburtstag und Kuchen mitgebracht…“), aber zwangsläufig ist das nicht. Über das E‑Mail-System laufen nämlich alle Gespräche, Kommentare und mehr oder weniger hellen Gedankenblitze und drohen dadurch, die wesentlichen Informationen zum Produkt oder zur Terminierung zu erdrücken. Hier helfen nicht E‑Mail-Regeln, sondern zunächst die Frage, ob sich die Kommunikationskanäle trennen lassen: beispielsweise, indem der Flurfunk über ein Chatsystem läuft (Skype, Slack, Yammer, …), der Datenaustausch über einen virtuellen Gruppenraum, in dem der Zugriff gesteuert werden kann, die Produktkommunikation („Wie wird die Ablage befestigt?“) über E‑Mail und die schnelle Terminabsprache („Können sie am Montag vorbeikommen? Ich schicke Ihnen dann eine Kalendereinladung!“) per Telefon. Worauf man sich einigt, hängt von zahlreichen Faktoren ab (wie auch von den Kenntnissen im Umgang mit dem entsprechenden Programm oder der Einwilligung der IT-Abteilung), auf jeden Fall einigt man sich aber bevor man mit der redaktionellen Arbeit beginnt. Sonst versumpft nämlich ein Reisfeld, während das andere austrocknet … Das folgende Statement dazu sollte eigentlich jeden Redakteur zum Überdenken der Kommunikationsstrategie und ‑kanäle führen: (K15t) Bildquelle: Rice production in Indonesia /Wikipedia Niemand unterstellt einem Produktverantwortlichen, dass er die Unwahrheit sagt, aber auch er kann nicht beurteilen, welche Informationen in der geforderten Dokumentation wichtig sind, welche Informationen der Redakteur benötigt und welche er überhaupt verarbeiten kann. ↩Diese Notwendigkeit hatte auch Folgen für das Sozialverhalten: man war als Gruppe immer auf den gemeinsamen Erfolg angewiesen, Konflikte und persönliche Vorlieben mussten dahinter zurückstehen. „Individualismus“ als Betonung der Ansprüche, Verantwortung und Pflichten eines Einzelnen waren bis zur Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts in Asien kein Begriff. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailBlueskyMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Gesellschaft thinkware RedaktionTechnische Dokumentation
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