Wolkenschieben 11.12.202208.01.2024 Unser Wohlstand ist vor allem eins: Selbstbetrug. Als Selbstständiger kommt man nicht nur beruflich und thematisch viel „rum“, man erlebt auch viele Anpassungsstrategien von Menschen oder Organisationen, mit den Gegebenheiten im Alltag umzugehen. Dabei empfinden viele Menschen den Alltag zunehmend als belastend und „fluide“: was vor einem oder zwei Jahren noch „normal“ war (zumindest in der persönlichen Lebenswirklichkeit), ist heute bereits obsolet oder fraglich. Gewohnheiten und Weltanschauungen werden seit einigen Jahren auch in gesellschaftlichen Gruppen in Frage gestellt, die die bislang als relativ unempfindlich wähnten. Und sie betreffen nicht mehr ferne Phänomene in Ländern, die man höchstens aus Reiseprospekten kennt. Ob im Umgang miteinander oder mit unserer Umwelt: in komplexen Gesellschaften haben unsere Handlungen (oder Unterlassungen) mittlerweile Konsequenzen, die das Vorstellungsvermögen des Einzelnen weit übersteigen. Gleichzeitig sind wir in einer solchen Gesellschaft ständig gezwungen, unseren eigenen Standpunkt und unsere Handlungen zu überdenken, zu hinterfragen und immer wieder neu zu bewerten. Dafür sind wir nicht erzogen: unsere Geschichte und unsere Gesellschaftsvorstellungen beruhen darauf, dass sich die grundsätzlichen Parameter unseres Gesellschaftssystems kaum verändern: Leistungsbereitschaft, Durchsetzungsfähigkeit, Effizienzsteigerungen und hoher Einsatz bestimmen über die Anerkennung in der Gesellschaft. Ob in Wirtschaft, Sport oder im Job – wir werden danach bewertet, ob wir besser sind als andere oder wir selbst. Der mitteleuropäische Homo oeconomicus steht unter einem konstanten Druck, keine Fehler zu machen und sich täglich gegen Widrigkeiten zu beweisen, um nicht im Wettbewerb um soziale Anerkennung zurückzufallen. Jede Entscheidung, die wir im Alltag treffen, jede Entscheidung, die wir nicht treffen, kann auf uns zurückfallen als Individuum, kann unsere erlernten Rechtfertigungen und Begründungen in Frage stellen. Das hinterlässt Spuren nicht nur in unserem Selbstverständnis, sondern auch in unserem Sozialverhalten. Abzweigung Gesellschaftlich haben wir uns in Europa in den letzten zweihundertfünfzig Jahren mit der Industrialisierung von einer feudal geprägten Gesellschaft hin zu einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft entwickelt: nicht mehr der Besitz von Grund und Boden (und den dazu gehörenden Leibeigenen) bestimmen Macht und Einfluss der Herrschaft, sondern Vermögen und Einkommen. Das hat Vorteile: Grund und Boden lässt sich ebensowenig beliebig vermehren wie Leibeigene – Kapital dagegen schon. Und im Gegensatz zu Land kann man Kapital einfach verschieben und mit einer imaginierten Zukunft verrechnen. Wenn man an den beständigen Wertzuwachs des Kapitals glaubt und allen anderen Teilnehmern auch glaubwürdig vermitteln kann, lässt sich das Kapital auch vollkommen von realen Gegenwerten trennen und als reines Symbol der gesellschaftlichen Potenz einsetzen. Dabei geht es aber nicht mehr nur um den unbegrenzten Zugriff auf die Ressource Geld (und alles, was sich damit verrechnen lässt), sondern auch darum, dass sichtbar wird, diesen Zugriff zu besitzen. Auf diesen symbolischen Zugriff sind wir angewiesen für den gesellschaftlichen Status und die Zugehörigkeit zu unserer Peergroup. Nun hat Geld zwar den Vorteil, im Gegensatz zu anderen materiellen Gütern eine unglaublich flexible Einheit für den Zugriff auf materialle Ressourcen zu sein – schließlich lässt sich in einer kapitalistischen Welt alles irgendwie in Geld umrechnen -, es hat aber genau diese Schwäche: Geld ist nur eine materielle Verrechnungseinheit, die sich nicht einfach auf die Abbildung nicht-materieller „Güter“ anwenden lässt. Anerkennung, Respekt, Verantwortung und Empathie kann man nicht kaufen. Auch Geld ist nur eine weitere materielle Ressource. Damit kommt ein System, das auf den Zugriff auf materielle Güter aufbaut, an einen Scheideweg. Umso mehr, als dass dieser Zugriff auf Ressourcen gleichzeitig voraussetzt, dass die Ressourcen unendlich vorhanden sind, was nicht den Tatsachen entspricht: Alle Ressourcen, auf denen wir unseren Alltag aufbauen, sind endlich. Sie können nur neu verteilt werden. So kommt das System in eine Rückkopplungsschleife: Je mehr Ressourcen beansprucht werden, desto knapper werden sie für andere. Dies führt zu Konflikten, in denen zunächst die Gruppen einen Vorsprung haben, die den Wettbewerb um Ressourcen bereits verinnerlicht haben. Sie können sich den Zugriff schneller sichern – und zeigen diese Potenz durch Statussymbole. Dies wiederum ist ein Signal an die Benachteiligten, das sie demotivieren soll. Mit knapper werdenden Ressourcen aber steigt auch der Aufwand, den Zugriff zu sichern – und damit die Konfliktbereitschaft. Diejenigen mit Zugriff müssen ihre Potenz immer deutlicher zur Schau stellen um die Ausgeschlossenen zu beeindrucken. Und die Ausgeschlossenen, die bislang von der stillen Übereinkunft ausgegangen waren, dass im Laufe der Zeit auch sie durch die Umverteilung irgendwann begünstigt werden und Zugriff erhalten, sehen sich vor die Aussicht gestellt, dass dann keine Ressourcen mehr vorhanden sind. Sie nehmen Teil an einem Wettlauf über unzählige Runden, bei dem sie nie mehr eine Runde werden gewinnen können. Die Erkenntnis dieser Aussichtslosigkeit beschränkt sich aber nicht mehr nur auf Gesellschaftsgruppen in fernen Ländern wie Bauern in Lateinamerika oder Indigenes am Amazonas, sie ist mitten in unserer saturierten Gesellschaft angekommen: bei Jugendlichen, die keine Perspektive mehr haben, den ressourcenverschlingenden Wohlstand der eigenen Eltern erreichen zu können – also genau bei denen, für die die älteren Generationen eigentlich meinten, sich am Wettkampf um den Zugriff beteiligen zu müssen. Denn es ist ja nicht so, dass dies den älteren Generationen unbedingt immer Spaß gemacht hat den Ellbogen einzusetzen und es damit zu rechtfertigen, dass es sonst ein anderer gemacht hätte… Was sich aber bislang immer noch dadurch rechtfertigen ließ, dass es die nachfolgenden Generationen „einmal besser haben“ sollten, indem man Arbeitskräfte in Asien ausgebeutet und Afrika als Müllkippe verwendet hat, das fällt jetzt auf uns zurück: Wir können die Konsequenzen unseres Handelns sehen und werden ständig daran erinnert, dass das Schieben von (Wohlstands)Wolken nur unserem Selbstbetrug dient. Das schmerzt. Ob es aber auch dazu führt, daraus etwas zu lernen, was nicht nur dem eigenen Vorteil und Vorsprung dient, ist noch lange nicht ausgemacht. Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … thinkware Gesellschaft
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