Radreise am Yellowstone Nationalpark 2013: No Country for Old Cyclists 05.09.201301.03.2021 Diesmal klang es nach einem todsicheren Plan. Meine Frau und ich hatten die Route und die Etappen minutiös geplant, rechtzeitig die Flüge gebucht und das Hotel für die erste und die letzte Nacht auf amerikanischem Boden schon Monate im Voraus gebucht und dafür gesorgt, dass unsere Fahrradkoffer dort auch untergebracht würden. Konnte nichts mehr schiefgehen – höchstens das Wetter. Nun, das war der Plan. Aber Planung und Durchführung klafften diesmal extrem weit auseinander. Und das lag nicht am Wetter. Planung Es begann eigentlich schon damit, dass man uns die Flüge einen Monat vorher komplett umbuchte. So sollte jetzt der Hinflug nicht über London und Chicago, sondern über London und Los Angeles nach Salt Lake City führen. Das bedeutete nicht nur zwei Stunden mehr in einer fliegenden Sardinendose, sondern hatte auch zur Folge, dass die Umstiegszeiten kürzer wurden. Und das wiederum hatte erhebliche Folgen. Aber fangen wir von vorne an. Schon letztes Jahr trugen wir uns mit dem Gedanken, 2013 eine größere Reise mit den Kindern und den Tandems zu unternehmen. Zum einen, weil die Kinder zunehmend belastbarer werden im Hinblick auf Strecken, Klima und Reisedauer, zum anderen, weil wir Ihnen „die große weite Welt“ außerhalb Europas zeigen wollten. Die Wahl fiel auf den Yellowstone Nationalpark, da wir schon einmal dort waren und somit die Belastung abschätzen konnten. Und auch, weil wir damals begeistert waren von der beeindruckenden Natur im ältesten Nationalpark der Welt. Diesmal allerdings hatten wir unsere Tandems dabei, die wir zerlegt mitnehmen würden, um all unsere Habseligkeiten einschließlich zwei Zelten, Kocher und Schlafsäcken darauf zu transportieren. Jeder Erwachsene hatte also ein Kind als „Heizer“ dabei, was die Kinder immer sehr genießen, denn sie müssen sich nicht um den Verkehr oder das Handling des Rades kümmern. Der Nachteil des geringeren Stauraums (jeweils zwei Taschen vorne und hinten und ein wasserdichter Seesack hinten quer) wird bei einem Tandem dadurch ausgeglichen, dass man mit weniger Roll- und Windwiderstand rechnen kann und daher sich nicht nur mit seinem Partner unterhalten, sondern auch flott dahinrollen kann. Tipps zum Gepäck Um mit dem geringen Stauraum auf einer Radreise zurecht zu kommen, sollte man vorgehen wie ein Schiffsreisender, der auf einer einsamen Insel ausgesetzt wird: Man fertigt sich eine Liste das Dinge an, die man mitnehmen würde und streicht alles weg, was nicht dem unmittelbaren Überleben dient („4 Messer? – eines reicht!“, „Teller? – Wozu hat man Hände? Alles andere kommt in eine Schüssel!“ etc.). Dabei entstehen naturgemäß Zielkonflikte, die sich meist mit Verweis auf das Reiseziel lösen lassen. So braucht kein Mensch im Nationalpark einen Fön oder Schminke, allerdings Sonnencreme und Insektenschutzmittel. Auch die Frage nach dem wirklich Wichtigen ist leicht geklärt, denn jede Reise ist schnell zu Ende, wenn man nicht gut schlafen kann. Eine leichte aber bequeme Isomatte (Typ Thermarest), ein leichtes, aber stabiles und vor allem schnell aufzubauendes Zelt (Empfehlung: Typ VauDe Mark 2 oder 3 mit außenliegendem Gestänge. Das lässt sich auch bei Regen aufbauen ohne dass das Zelt nass wird.) und gute Schlafsäcke, die auch bei Frost noch wärmen. Danach kommt das Kochen, denn im Nationalpark gibt’s keinen Würger King um die Ecke. Aus Erfahrung wussten wir, dass wir mit einem Benzinkocher weiter kommen als mit Spiritus, denn er hat bessere Heizwerte und lässt sich an jeder Tankstelle problemlos nachfüllen. Um die Wäsche muss man sich die wenigsten Gedanken machen, denn Körperhygiene ist schon deswegen eingeschränkt, weil es im Nationalpark kaum Waschgelegenheiten gibt und das Einseifen in freier Natur nicht nur verpönt ist, sondern sogar gefährlich. Bären riechen die Duftstoffe meilenweit und denken nur noch ans Fressen. Stauraum ist nur eine Frage der guten Vorbereitung (siehe auch rechts). Trotzdem aber wird es sehr eng, denn die Sachen müssen ja zunächst als Fluggepäck transportiert werden. Alle Fahrradtaschen kommen deshalb entweder geleert in einen Seesack oder werden als „Handgepäck“ mit ins Flugzeug genommen. Und dann ging’s los Alles am Vorabend sauber verpackt, die Wäsche für den Flug rausgelegt, die Tandems zerlegt und in ihre Koffer verpackt fuhren wir zum Flughafen. Glücklicherweise zeitig, denn die Fahrradkoffer waren auf einmal zu schwer. Zwar hatte es bislang immer anstandslos funktioniert, aber die Dame am Schalter erklärte uns, dass es 580 Gramm zuviel seien und sich der Mensch im Laderaum damit wohl den Rücken beschädige. Also gingen zwei Fahrradsättel ins normale Gepäck, wobei die Seesäcke trotz ihre recht niedrigen Gewichts plötzlich Sperrgepäck sein sollten. Wir lernten daraus, dass wir das nächste Mal schwere Koffer, aber keine leichten Säcke aufgeben werden. Dann saßen wir im Flugzeug und kamen auch ohne große Verspätung in London endlich in Los Angeles an, wo die knapp bemessene Umstiegszeit auf die schlechte Organisation eines US-amerikanischen Flughafens stieß. Seit der Einführung der zahlreichen zusätzlichen Sicherheitskontrollen funktioniert bei internationalen Flügen eigentlich gar nichts mehr. Da stehe hilflos winkende Angestellte ganzen Flugzeugladungen asiatischer Touristen gegenüber, die mit Dutyfree-Tüten bestückt gar nicht einsehen wollen, warum der Pass nun schon zum dreiundzwölfzigsten Mal angeschaut werden soll, wo sie ihn doch gerade ganz tief verstaut haben. Und dann versuchen, mit den Menschen vom Zoll darüber diskutieren … Mit einem „Express-Ticket“ wedelnd, das uns die Stewardess in die Handgedrückt hatte, schafften wir es aber durch die Schlange für Rollstuhlfahrer, Körperbehinderter und Kartontransporteure, die es auch sehr eilig hatten. Das heißt, wir kamen um 22 Uhr erschöpft und gerädert wohlbehalten in Salt Lake City an. Alles war da – alles. Außer unseren beiden Fahrradkoffern. Und damit begann das Abenteuer. Plan „B“ war gefragt Auf die Nachfrage, wo denn unsere Koffer seien, konnte uns der komplett inkompetente Subalterne am Flughafen in Salt Lake City keine Antwort geben, da sein Computer abgestürzt sei (eine beliebte Ausrede, immer noch). Wir waren müde, holten uns den bestellten Leihwagen und fuhren ins Hotel, denn in dieser Nacht würde kein Flug mehr kommen. Die Planung sah vor, dass wir am folgenden Tag die Tandems auspacken, aber nicht zusammenbauen würden und die Koffer im Hotel bis zum Abflug deponieren. Mit den ausgepackten Rädern wollten wir dann nach Jackson in Wyoming fahren, dort das Auto abgeben, die Räder zusammenbauen und durch den Yellowstone Nationalpark fahren. Von dort dann durch die Badlands zurück mit den Rädern nach Salt Lake City. Das war Plan A. Der aber war durch die Verzögerung um mindestens einen Tag bereits gefährdet. Dennoch waren wir optimistisch und schauten uns Salt Lake City an, auch um den Jetlag zu bekämpfen. Als aber auch Telefonate mit der Zentrale von American Airlines in Los Angeles nur zu Tage brachten, dass man von einem Koffer nichts wusste und der andere vermutlich in London stehen geblieben war, begann die Planung der Alternative. Als erstes kürzten wir die Route durch die Badlands, was uns zwei Tage einbrachte. Dann gaben wir den zu großen Leihwagen zurück und beschlossen einen Abstecher zum Arches Nationalpark. Den kannten wir von einer anderen Reise, außerdem war er mit dem Auto schneller zu erreichen. Also Plan B in der Hoffnung, dass man uns vielleicht in den nächsten Tagen mitteilen könnte, wann denn die Fahrradkoffer kämen. Mit dieser Ungewissheit fuhren wir südöstlich zum Arches Nationalpark. Arches National Park Utah ist nicht nur ein recht wohlhabendes Land der USA. sondern auch besonders reich an Nationalparks. Vor allem im Osten des Landes sind die Rocky Mountains eine einzige Kette aus National Parks, National Monuments und National Forests, die nicht nur den Touristen, sondern auch Einheimischen reichlich Gelegenheit bieten, die Natur und die landschaftliche Schönheit des Landes zu genießen. Das Paradoxe dieser Naturschönheiten ist ja, dass sie selbst es gar nicht darauf anlegen, dem Auge des Betrachters zu gefallen. Wir Menschen verbinden damit positiv besetzte Erwartungen und Erlebnisse wie Entspannung, Ablenkung, Gemeinschaft und möglicherweise sogar metaphysische Erfahrungen. Das aber ist eine Assoziation unserer derzeitigen wohlhabenden und friedlichen Zivilisation. Für die ersten Siedler, die Pioniere und Trapper waren die monumentalen Naturphänomene eher bedrohlich und lästig. Außer für die ersten Menschen, die indianischen Ureinwohner des Landes, hatten diese Wälder und Felsen, die Quellen und Gipfel ausschließlich praktische oder unpraktische Bedeutung. Sie hatten schon aufgrund ihres mühsamen Alltags für Überlegungen zur Schönheit keine Zeit und Gelegenheit. Dass überhaupt 1871 die Überlegung aufkam, einen Teil des Landes nicht der wirtschaftlichen Nutzung und den Profitinteressen zu unterwerfen, kam einer Revolution gleich. In vielen Teilen der Welt ist diese Überlegung ja selbst heute noch absolut unverständlich. Dass wir dies als schützenswerte Nationalparks deklarieren würden, hätte auch bei diesen Menschen nur ein ungläubiges Kopfschütteln hervorgerufen. Nun aber werden diese Parks systematisch touristisch erschlossen. Es werden Übernachtungsgelegenheiten im Umkreis aus dem Boden gestampft, es gibt überall Andenken und Erbaulichkeiten zu kaufen, die die Anwesenheit des Besuchers dokumentieren und der Nachwelt erhalten sollen. Der Nationalpark als Kirmesattraktion. Das war auch auf der Fahrt nach Moab, dem Eingangstor zum Arches Nationalpark nicht anders: Wir fuhren mehr als 500 km ab Salt Lake City zunächst auf einem entsetzlich kaputten Interstate 80 (gespickt mit herumliegenden Fahrzeugteilen) und dann auf gut befahrenen Highways und kamen dabei durch die „echten“ USA. Landwirtschaft und trockene Steppen, Kohleabbau direkt am Straßenrand (Carbon County) und halbleere Städtchen mit einem fast schon geisterhaften Charme. Auch das gehört dazu. Wir erreichten am Nachmittag den Arches Nationalpark und steuerten wie so viele andere Besucher die touristischen Highlights an, die fein säuberlich auf der Karte vermerkt und mit Parkplätzen versehen sind. Leider scheint aber bei vielen Besuchern noch kein Bewusstsein dafür vorhanden zu sein, dass es sich hier um eine selten anzutreffende geologische Besonderheit handelt – und nicht um ein paar Steine, die man mit Graffiti vollschmieren darf. Es waren viele Park Ranger damit beschäftigt, die gröbsten Verunstaltungen zu entfernen um das empfindliche Gleichgewicht der Natur zu erhalten. Ein bisschen Geografie Kommunikationstechnik Vor vierzehn Jahren noch kein Thema, ist die Kommunikationstechnik mittlerweile auch bei uns in der Prioritätenliste nach oben gerückt: Smartphones verfügen nicht nur über ein Telefon, sondern auch über ein GPS und eine Kamera. Um diese Hightech auch unterwegs nutzen zu können, sollte man sich mit der Lage vor Ort auseinandersetzen: Wie sieht es mit Ladestrom aus? Wie ist das Netz? Um das Smartphone aufgrund seines relativ hohen Stromverbrauchs unterwegs jederzeit nutzen zu können, habe ich mir daher ein spezielles Beleuchtungssystem von Busch&Müller zugelegt, dass den Nabendynamo nicht nur für Lichtstrom anzapft, sondern über einen Pufferspeicher auch einen USB-Anschluss mit Strom versorgt. An diesen abgedichteten USB-Anschluss habe ich dann mein Smartphone in einer Halterung mit dem Ladekabel angeschlossen. Das hat bis auf steile Anstiege auch zuverlässig funktioniert (bei steilen Anstiegen über mehrere Stunden bringt das Vorderrad nicht genügend Umdrehungen zusammen, um den Pufferspeicher zu laden. Dann wird das Smartphone nicht versorgt, weil die Beleuchtung Vorrang hat.) Auf vielen Zeltplätzen auch in den Nationalparks gibt es mittlerweile Stromanschluss in den Toiletten, aber nicht jeder will sein teures Gerät dort unbeaufsichtigt liegen und vor sich hin laden lassen. Im Auto erübrigen sich diese Überlegungen: alle Leihfahrzeuge verfügten über einen USB-Anschluss über den sich das Smartphone nicht nur laden, sondern auch die darauf gespeicherte Musik abspielen ließ. Auch wenn das Telefonnetz in den USA große Fortschritte gemacht hat (UMTS, also 3G, ist fast überall zu bekommen): Nationalparks haben keine Masten. Sobald der Park also etwas größer ist, gibt es kein Netz. Gar. Kein. Netz. Um mit der Außenwelt zu kommunizieren, bleiben dann nur die Telefonzellen an den Campingplätzen. Der Arches Nationalpark liegt an einer geologischen Verwerfung, bei der sich erst der Meeresboden angehoben hatte und dann auseinander gebrochen war. Dabei entstand eine bis zu 300 Meter hohe Abbruchkante, die die unterschiedlich gefärbten Sandsteinschichten freilegte. Wasser und Wind hatten dann über Millionen Jahre ein leichtes Spiel, die weicheren Sandsteinschichten abzutragen, wodurch die bizarren Formen entstanden, die sich auch im weiten Umfeld des Nationalparks finden lassen. Man darf sich nicht täuschen lassen: der Nationalpark lebt. Nicht nur die vielfältige und an die harten Bedingungen angepasste Flora und Fauna, auch der Fels lebt. Freilich nur im übertragenen Sinn, denn Wetter und Wasser setzen natürlich ihren Umformungsprozess ständig fort: Wasser dringt in die Ritzen, friert im Winter und sprengt Löcher in den Fels, der Wind – auf dieser Höhe ohne Baumbewuchs ungebremst – wirkt wie eine gigantische Sandstrahlvorrichtung, die die Kanten abträgt und als feinen Sand neben den Felsen ablagert. Dieser Sand hält freilich kein Wasser, und so haben die Pflanzen und Tiere ihre eigenen Mechanismen, mit der Wasserknappheit zurecht zu kommen. Wie beispielsweise die Kängururatte, die mit ihrem Namensvetter ihre springende Fortbewegung gemein hat. Sie entkommt der Hitze während der heißen Tageszeit in ausgedehnten Höhlen im Fels und hat ein extrem wirksames Wasserwiedergewinnungssystem in ihrem Körper, indem sie ihrem Urin Feuchtigkeit entzieht und dadurch Wasser im Körper halten kann. Der allenthalben anzutreffende Sagebrush dagegen schützt sich gegen Fraß durch einen bitteren Geschmack und ein Gift in den Blättern, dass die zur Verdauung notwendigen Bakterien im Darm tötet, wenn man es isst – außer bei der Pronghorn-Antilope und der Sagegrouse, deren Leber das Gift neutralisiert. Von diesen Anpassungen sind wir Menschen noch weit entfernt: man wird auf jedem Parkplatz dazu aufgefordert, eine Flasche mit Wasser mitzunehmen, selbst wenn der Rundweg nur eine halbe Stunde dauert. (Vermutlich eine gelungene Werbeaktion der Getränkeindustrie, denn der gesunde Mensch kommt tatsächlich auch bei Temperaturen um die 30 °C problemlos zwei Stunden ohne Flüssigkeitszufuhr aus.) Wir ignorierten daher diese Hinweise bewusst und pilgerten von einer Sehenswürdigkeit zur Nächsten. Was wir damals mit dem Fahrrad überbrückten, war diesmal mit dem Auto ein Klacks, so dass es fast schon einer körperlichen Strafe gleichkam, nach jedem Spaziergang von einer Stunde wieder ins Auto steigen zu müssen. In der Nacht begann es leicht zu regnen, so dass das Wetter am Morgen eher kühl war und wir den Delicate Arch, den wir uns aufgehoben hatten, bei etwas weniger malerischem Licht besichtigten. Der Stimmung tat das keinen Abbruch, denn wir erhielten beim Frühstück auf dem Zeltplatz einen Anruf, dass unsere Koffer in Salt Lake City stünden. Beide Koffer? Die Dame, die uns vom Flughafen aus anrief, bestätigte, dass es zwei Koffer seien, schwer und groß wie Wickelkommoden. Die Räder waren da! Jetzt konnte es ja losgehen. Und wie. Nach Jackson Hole Zurück nach Salt Lake City war es ein Klacks – fast zumindest, denn wir gerieten in die Rush Hour direkt vor Salt Lake City, was für Menschen, die es gewohnt sind, mit dem Fahrrad überall hinzufahren, ein Grauen ist: Eingesperrt zwischen anderen Blechdosen, die Sonne brennt aufs Autodach, die Klimaanlage läuft auf Hochtouren, kommt man nur im Kriechtempo und sehr stockend voran. Dazwischen immer wieder ganz Autoteile auf der Straße, die für Unfälle sorgen können und zum Ausweichen zwingen. Ich hatte den Eindruck, als ob in den USA der Fuhrpark direkt auf der Straße entsorgt wird, denn bei jedem der zahlreichen Schlaglöcher löst sich etwas vom Fahrzeug, bis es dann zum Schluss in einer Ecke vor sich hinrostet. Diesmal aber übernachteten wir regelkonform auf dem Zeltplatz in Salt Lake City, nachdem wir die Koffer im Hotel abgeliefert hatten. Der Zeltplatz ist zwar gut gepflegt (er ist Teil der KOA-Kette), aber ziemlich laut. Dafür liegt er sehr zentral an der North Temple Road zwischen Stadtzentrum und Flughafen – mit guten Einkaufsmöglichkeiten ringsum. Letzteres war für uns besonders wichtig, denn wir wollten ja am nächsten Tag in die Nationalparks aufbrechen. Und diese zeichnen sich auch durch eine unterdurchschnittliche Nahrungsmittelversorgung aus (siehe auch Kasten rechts). Nahrungsversorgung Vielleicht sollte man diesen Aspekt des Reisens in zwei Teile gliedern: Angebot und Verfügbarkeit. Fangen wir hinten an: Verfügbarkeit Außerhalb der größeren Städte gibt es in diesem Bereich der USA keine Supermärkte, sondern nur Stores. Zwar sind die Supermärkte gigantisch und habe auch ein breites Angebot, dieses aber reduziert sich drastisch in den Stores. Während also die Supermärkte zur Deckung des größeren Bedarfs an Grundnahrungsmitteln wir Nudeln (und auch Gemüse) sowie Marmelade oder Ähnlichem dienen, kann man sich in den Stores nur notdürftig mit Saft und Brot versorgen. Dafür gibt es dort auch immer einen frischen Kaffee – in durchaus unterschiedlicher Qualität. Angebot Das Angebot, also die Produktpalette, entspricht dem Klischee: es gibt 15 Regalmeter Kartoffelchips, aber kein Brot, das den Namen verdient. Wer sich wie wir an ein gutes Brot gewöhnt hat, wird umdenken müssen, denn dort steht nur der übliche Labbertoast im Regal, mal mit ein paar Alibikörnchen und mal ohne. Da dort das Brot aus einer Mischung aus Backtriebmittel, Wasser, Zucker und Mehl sowie einer beachtlichen Kette an lebensmittelfernen Zutaten besteht (in dieser Reihenfolge), hält es wegen des hohen Feuchtigkeitsgehalts nicht lange. Obst gibt es wenig, Gemüse auch kaum, da alles aus Kalifornien und Montana importiert wird und auch – im Gegensatz zu dem von uns verschmähten „Convenience Food“ – seltener gekauft zu werden scheint, waren wir mit dem Einkauf schnell fertig. Dazu kommt natürlich auch, dass Lebensmittel, die man ja nicht mehr in die USA bringen darf, auf dem Fahrrad sehr viel Gewicht ausmachen und man deshalb sehr sparsam einkaufen muss. Das aber ist angesichts der Versorgungssituation (siehe oben) wiederum in den Nationalparks schwierig, denn dort gibt es nichts Frisches mehr. Abgesehen davon, ist Essen in den USA sehr teuer. So kostet beispielsweise die Milch das Doppelte und auch der ubiquitäre Labbertoast geht für umgerechnet mindestens 5 USD fürs Kilo über den Tisch. Zusammengefasst: Einkaufen ist eine Wissenschaft für sich, die genaue Planung und ein belastbares Konto verlangt. Nichtsdestotrotz war am Morgen wieder alles im Auto verpackt und es ging endlich los nach Jackson in Wyoming. Wir hatten Jackson als Ausgangspunkt gewählt, denn das Städtchen ist in dieser Gegend von Wyoming der größte und auch einzige Zivilisationsanker. Dort konnten wir den Wagen zurückgeben und dort konnten wir uns auch verproviantieren. Über Jackson ist nicht viel zu sagen, es hatte sich kaum verändert seit unserem letzten Besuch vor 14 Jahren. Immer noch lebt man dort von der Nähe zu den Nationalparks, dort stehen Hotels aller Preisklassen und werden die Touren organisiert. Wenn der Nationalpark ein Bierzelt wäre, stellte Jackson die Schänke dar. Und entsprechend geht es dort auch zu … Die Fahrt selbst führte uns über Idaho und die dortigen Highways zunächst entlang des Salzsees und dann recht bald in das berühmte „Potato Country“, bis wir dann in die Rocky Mountains abbogen und den Snake River aufwärts an der Hoback Junction nach Jackson kamen. Dort lieferten wir den Wagen ab und bauten die Räder zusammen. Voll aufgepackt ging es dann los zum Campingplatz „Jackson Hole Campground“, dem wohl schlechtesten unsere Reise. Ich empfehle dringend, diesen zu meiden, denn er war nicht nur völlig überteuert, sondern auch eine Baustelle, die noch nicht einmal über eine Möglichkeit zum Geschirrspülen verfügt. Ich hatte den Eindruck, dass Camper dort nur geduldet werden, weil man sie melken kann. Am nächsten Morgen ging es dann morgens auf die Moose-Wilson Road in den Teton Nationalpark, den wir allerdings nur durchqueren wollten. Wir hoben ihn uns für den Rückweg auf. Die Moose-Wilson Road ist landschaftlich sehr schön, aber wird zur Zeit straßenbautechnisch komplett überarbeitet, so dass wir zunächst auf einem wunderbaren Radweg, aber dann nur noch über Piste fuhren. Am Südeingang des Teton Nationalparks war das dann aber glücklicherweise vorbei. Durch die Tetons Zur Geografie der Tetons wird später bei der Beschreibung der Rückreise noch zu berichten sein, ich lasse dies mal hier aus. Am Eingang des Nationalparks lösten das Eintrittsrecht für eine Woche für 12 USD pro Fahrrad, also 24 USD für uns alle vier, da wir ja auf zwei Tandems unterwegs waren. Wären wir als Familie mit vier Rädern gefahren, hätte uns die Woche 48 USD gekostet. In einem Auto mit maximal 6 Personen muss man jedoch nur 23 USD hinlegen. Ein merkwürdiges Preisverhältnis, wenn man bedenkt, dass die Autos einen wesentlich größeren Landschaftsverbrauch nach sich ziehen – vom Lärm und Dreck mal ganz zu schweigen. Man fährt dort Fahrrad als Sport, nicht als Transport und normales Verkehrsmittel. Diese Einstellung ist nach meiner Erfahrung weltweit weit verbreitet bis auf einige wenige Länder in Mitteleuropa, die dafür auch neidisch betrachtet werden (ohne dass sich an der Einstellung aber etwas ändert). Erstaunlich ist auch, dass wir als Deutsche und verständlicherweise auch sehr exotisch Reisende immer wieder angesprochen wurden auf unsere Räder und die Art des Reisens. Da eine Familie auf Tandems mit Gepäck noch wesentlich seltener ist als eine Horde Grizzlies, waren wir natürlich auch häufiges Fotomotiv. Auffällig war allerdings das häufige Unverständnis, wie man denn überhaupt so lange auf Fahrrädern sitzen könne und solche Touren fahre, wie lange man denn so brauche und was die Kinder dabei sehen würden. Unsere Versicherung, dass dies alles eine Frage der Übung und guten Organisation sei, verhallte jedoch meist unverstanden. In dieser Gegend der USA wird die Welt aus der Sicht der Autoverglasung wahrgenommen (das ist auch in Deutschland häufig der Fall), was allerdings dort nur bedingt den großen Entfernungen geschuldet ist, sondern zunehmend einer fatalistischen Einstellung: man könne ja doch nichts ändern, weder bei sich, noch in der Gesellschaft. Durch die Tetons geht es nach dem Jackson Lake nordwärts stetig aufwärts bis auf eine kurze Senke (und der letzen Tankstelle) am „John D. Rockefeller, Jr. Memorial Parkway“. Der Milliardär war über die Zerstörung und landwirtschaftliche Nutzung des Geländes zwischen den Tetons und dem Yellowstone Nationalpark so erzürnt, dass er in den zwanziger Jahren die Gegend zwischen beiden Nationalparks aufkaufen ließ und der Nationalparkverwaltung vermachte. Das war in der lokalen Bevölkerung allerdings nicht unumstritten und dauert schließlich doch 20 Jahre, bis der letzte Farmer verkaufte (die meisten waren in den dreißiger Jahren aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht unglücklich, ihr Land verkaufen zu können). Inzwischen wird das Gelände von Tier und Mensch als natürliche Verbindung zwischen den Nationalparks gesehen. Ich füllte an der Flagg Ranch meine Achtel Gallone Normalbenzin ab (Benzin ist das wohl billigste „Lebensmittel“ der USA) und weiter ging es zur großen Wasserscheide hinter dem Eingang zum Nationalpark. Zum Lewis Lake Die Hauptroute durch den Yellowstone Nationalpark ähnelt einem großen griechischen Theta (θ), das durch Verbbindungen in die Zivilisation ergänzt wird. Es gibt einen südlichen Eingang, durch den wir kamen (und den Park auch wieder verlassen wollten), einen westlichen Eingang, der von West Yellowstone nach Madison Campground führt, einen nördlichen Eingang nach Mammoth Hot Springs und zwei Eingänge auf der Ostseite des Parks. Die Hauptroute führt dabei an den markantesten Touristenpunkten wie den Geysirbecken und dem „Old Faithful“ vorbei und beschreibt eine Rundroute von etwa 230 km vorbei am nördlichen Eingang und dem Yellowstone Lake. Der südwestliche Teil ist davon der touristisch bekannteste und fototechnisch attraktivste, denn die Motive laufen nicht weg. Während sich diese Route mit dem Bus bequem in einem halben Tag erledigen lässt, bedeuten die häufigen Steigungen eine große Herausforderung. Außerdem wollten wir ja nicht einfach Asphalt fressen, sondern möglichst viel sehen. Demzufolge planten wir die Etappen auch kürzer. Allerdings nicht kurz genug, denn die Strecke von Jackson Hole zu unserem ersten Zeltplatz am Lewis Lake kostete nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Kraft. Immerhin ging es bergan über eine Gesamtdistanz von über 100km. Selbst für uns Erwachsene war diese Strecke mit Gepäck recht anstrengend – für die Kinder aber war es grenzwertig. Sie hielten durch, es kostete uns jedoch viel Motivation, sie am nächsten Morgen zur Weiterfahrt zu bewegen. Der Zeltplatz am Lewis Lake ist nicht nur sehr klein, sondern wie alle Zeltplätze im Yellowstone schon morgens ab 9 Uhr besetzt. Das sieht dann so aus, dass es für jeden Camper einen Stellplatz gibt (nicht immer auch für die riesigen Wohnmobile), eine Feuerstelle und einen mehr oder weniger ebenen Fleck Erde, auf den man ein Zelt stecken kann. Lewis Lake gehört dabei zur spartanischen Sorte, denn außer einem Wasserhahn in der Nähe des Plumpsklos gibt es keine sanitären Einrichtungen. Man kommt, sucht sich einen Zeltplatz, füllt einen Zettel aus und hängt ihn an den Pflock am Zeltplatz. Irgendwann kommt dann ein Ranger vorbei und schaut nach, ob auch alles richtig eingetragen ist. Das Geld wirft man in eine Box am Eingang. Theoretisch. Praktisch ist das Land für Radler aber nicht geeignet, denn die Zeltplätze sind ja schon um 9 Uhr morgens vergeben. Wer als Radler erst am Abend kommt (und die wenigsten fahren durch die Nacht, was auch nicht empfehlenswert ist), hat das Nachsehen. Zwar gibt es meist speziell für „Hikers & Bikers“ eigene Zeltplätze ohne Stellplatz für Fahrzeuge, dort aber finden sich dann die sportlicheren Auto- und Motorradfahrer, die ihr Gefährt einfach 10 Meter weiter weg abstellen. So ist man denn meist auf die Gutmütigkeit und die Freundlichkeit der Zeltplatzbesetzer angewiesen. Für uns mit den Tandems und zwei Kindern war das allerdings keine Hürde, denn Fahrräder (und erst recht Tandems) im Yellowstone haben in etwa den gleichen Seltenheitswert wie ein Yeti im Himalaya oder ein Nüchterner auf dem Oktoberfest. Kurz: ein Familie mit Wohnmobil und kleinem Kind machte uns Platz, da der Kurze nicht unter freiem Himmel übernachten wollte, sondern den Schutz des Wohnmobils vorzog. Der See liegt auf knapp 2400m über Meereshöhe und ist entsprechend frisch. Dennoch zogen wir Abends alle auf dem schmalen Bootsweg bei einbrechender Dunkelheit noch kurz ans Ufer, um uns wenigstens notdürftig den Schweiß und Staub abzuwaschen. Denn davon trugen wir reichlich mit uns herum. Geysire! Geysire Es ist ja keineswegs so, dass die Geysire ununterbrochen Wasser speien – ganz im Gegenteil. Die meisten der Geysire blubbern als Wasserlöcher still vor sich hin. Erst wenn sich im Quellschacht eine Wasserblase sammelt, die den darunter entstehenden Dampfaustritt blockiert, passiert das Spektakuläre: Abhängig vom Wasserdruck des zulaufenden Wassers heizt sich der Dampf weit über den Siedepunkt auf und der Druck steigt. Sobald der Dampfdruck größer ist als das darüber liegende Wassergewicht, kommt es zum Ausbruch. Das kann sich in schöner Regelmäßigkeit wiederholen wie beim „Old Faithful“, das kann aber auch zwischen wenigen Minuten und mehreren Tagen schwanken – je nach Jahreszeit, Wetter und damit Wasserzulauf. Die meisten Wasserquellen sind daher entweder offene Kochtöpfe, die aufgrund des Bakterienbewuchses in den unglaublichsten Farben leuchten, oder aber „Fumarolen“, also Dampflöcher, aus denen es einfach nur zischt. Auf dem Weg nach oben transportiert das Wasser einen nicht unbeträchtlichen Teil an Mineralien und gelöstem Schwefel. Für die menschlichen Sinne stellen die heißen Quellen daher eine zwiespältige Erscheinung dar: Die Schönheit der Quellen, ihr Farbenspiel, das durch ein reiches Bakterienwachstum erzeugt wird, wird überlagert von einem penetranten Geruch nach viel zu lange gekochten Eiern. Diese Mineralien haben aber noch eine unangenehme Eigenschaft: sie verstopfen nicht nur die Wasserläufe, sondern bilden an der Oberfläche auch eine dünne Kruste, die trügerisch mit Flechten und harten Gräsern bewachsen ist. Des Unachtsamen Fuß kann da ganz schnell einbrechen und in einem Loch mit kochendem Wasser versinken. Daher ist es nicht nur aus Gründen des Umweltschutzes dringend geboten, immer auf den befestigen Stegen zu bleiben, die dieses Gelände durchziehen. Das Schöne an einem Campingurlaub in der Wildnis ist die völlige Abwesenheit zivilisatorischer Quälgeister, vor allem nach Sonnenuntergang: kein Fernsehen, kein Computer, kein Straßenverkehr, kein Telefon – nichts, was das Zirpen der Grillen und das Prasseln der Holzscheiten (wir saßen noch kurz am erlöschenden Feuer, das uns die Familie überlassen hatte) stören könnte. Und auch keine laute Unterhaltung, denn nicht nur wir waren zum Umfallen müde. Im Nationalpark endet der Tag recht früh am Abend – er beginnt aber auch kurz vor Sonnenaufgang. Dann hört man das „Ssssupp“ der Reißverschlüsse und das erste Brummeln. Die Nächte sind kalt und der Schlafsack warm. Daher gibt es als Aufstehhilfe zunächst einen heißen Tee vom Kocher. Dazu muss aber Jemand erst Wasser holen und den Kocher anzünden. Der Arme (wieso eigentlich immer die Väter?) schleicht dann von Sonnenstrahl zu Sonnenstrahl zum Wasserhahn und versucht sich mit klammen Händen am Kocher, dessen Bedienung etwas Übung verlangt. Das aber ist Urlaub. Den Becher mit Tee dann mit den Händen umklammernd sich in der Sonne aufzuwärmen – purer Luxus. Bis dann nach dem Aufstehen und dem Frühstück alles auf den Rädern verpackt ist, vergehen gut zwei bis drei Stunden. Die muss man einplanen. In der Zwischenzeit ist aber auch der Tagesplan besprochen und die Etappe eingeteilt („Wir sollten heute Mittag noch Brot besorgen, weil es sonst übermorgen knapp wird.“ – „Heute Abend sollte es nicht zu spät werden.“). Unser Ziel war der Madison Campground, etwa 70 km und zwei Wasserscheiden entfernt, also wieder ein etwas anstrengender Abschnitt. Allerdings wollten wir am darauffolgenden Tag Pause machen und uns die zahlreichen Geysirbecken ansehen, an denen wir heute vorbeifahren würden. Das bedeutete, dass wir nur den Old Faithful mitnehmen würden, der auf dem Weg lag, und dann am folgenden Tag mit unbepackten Rädern die Strecke wieder zurückfahren konnten. Am frühen Nachmittag erreichten wir den bekanntesten Geysir des Parks, den „Alten Getreuen“. Leider hatten wir gerade einen Ausbruch verpasst, so nutzten wir die Zeit, die zahlreichen umliegenden heißen Quellen zu betrachten, die uns auch teilweise den Gefallen taten, direkt vor unserer Nase auszubrechen. Leider ist auch der „Old Faithful“ nicht mehr ganz so imposant, wie er vor vielen Jahren noch war, denn der Zulauf versiegt. Die Wasserfontäne, die einst wohl an die 90 Meter hoch aufschoss, erreicht im Sommer zur Zeit nicht mehr als 25 Meter. Dennoch ist es immer noch ein beeindruckendes Schauspiel, wenn fast pünktlich nach knapp 90 Minuten plötzlich ein dumpfes Grummeln zu hören ist und wenige Sekunden später eine weiße Wasserfontäne in den Himmel steigt. Um das Schauspiel zu beobachten, hat man in einem weiten Umkreis eine Bühne gebaut, von der aus sich das Spektakel sehr gut betrachten lässt. Die Show ist allerdings genauso schnell vorbei, wie sie beginnt. Daher schnappten wir unsere Räder und kreuzten die pazifische Wasserscheide gleich zweimal, um die Fahrt am Abend mit einer rasanten Abfahrt zum Madison Campground zu beschließen. Bis hier war die Tour nach Plan verlaufen. Bis hier. Immerhin zwei Tage. Aber an diesem Abend warfen wir alle Pläne über den Haufen und begannen komplett neu zu planen. Wir hatten die Belastung unterschätzt, vor allem für die Kinder. Bei unserer Streckenplanung waren wir von den Erfahrungswerten des letzten Urlaubs im Yellowstone ausgegangen, bei dem wir allerdings weder Tandems noch Kinder dabei hatten. Als trainierter Erwachsener ist es eigentlich kein Problem, mit Reiserädern auch mal 150 km am Stück abzureißen, wenn es denn sein muss – weder körperlich noch mental, denn die Belastungsfähigkeit des Körpers hängt entscheidend von der Motivation ab. (Den meisten Zeitgenossen ist in unserer zivilisierten und saturierten Gesellschaft gar nicht mehr bewusst, wie belastungsfähig unser Körper eigentlich ist.) Aber die Tandems und ihr Gewicht und vor allem die Belastungsfähigkeit der Kinder sind eine andere Größenordnung, die wir deutlich überschätzt hatten. Selbst unsere mittlerweile gut angepassten Kinder hatten am Abend des zweiten Tages ihre Grenzen erreicht und benötigten dringend eine Pause von mindestens einem Tag. Als Erwachsene können wir besser fokussieren auf ein Ziel, können Informationen, die wir nicht benötigen, einfach ausblenden. Kinder sind da – glücklicherweise – wesentlich aufgeschlossener: Für sie ist alles neu, es beschäftigt sie, warum in den Supermärkten Rentner an der Kasse sitzen, warum das Benzin billig und die Milch teuer ist, warum man Entfernungen in Meilen misst statt in Kilometern – solche Fragen kommen auf und beschäftigen sie. Sie zu bewältigen und zu beantworten braucht Zeit und Geduld, die jedoch fehlt, wenn man beginnt zu hetzen. Für uns Erwachsene war dies eine Belastung, denn es bedeutete, dass wir gegebenenfalls die Kinder mitziehen mussten – bergauf und bergab. Das merkten wir deutlich bei der Ankunft am Madison Campground. Der Westen des Yellowstone Streckenplanung Aufstiege und Abfahrten in den USA allgemein darf man sich nicht vorstellen wie in den Alpen oder den Mittelgebirgen Europas, dazu sind die Entfernungen zu groß. Es geht eigentlich viele Stunden bergauf oder auch bergab, immer gemächlich und so, dass die Steigung auch mit einem Wohnmobil (RV) leicht zu fahren ist. Was im Auto jedoch kaum zu bemerken ist, geht beim Fahrradfahren nach einiger Zeit nicht nur in die Beine, sondern auch aufs Gemüt, denn hinter jeder Kurve kann eine neue Steigung folgen. Und hier dieser eine weitere … Das bedeutet, dass man bei der Streckenplanung andere Zeiträume und Geschwindigkeiten einplanen muss, denn mit einer kurzen heftigen Belastungsspitze ist es nicht getan. Auch die Steigungen werden immer wieder von Mulden und kurzen Abfahrten unterbrochen, die dann beim nächsten Anstieg wieder teuer erkauft werden wollen. Dieses ständige Auf und Ab führt dazu, dass man den Eindruck hat, kaum vorwärts zu kommen und auch keine vernünftige Tagesetappe von mehr als 50 km einplanen sollte – zumal mit Kindern –, um gegebenenfalls noch Reserven zu haben, wenn unvorhergesehene Zwischenfälle eintreten wie Reifenplatten oder interessante Sehenswürdigkeiten am Wegrand. Von diesen gibt es nämlich im Yellowstone viele. Madison Campground liegt am Zusammenfluss des Gibbon River, der von Nordosten kommt, und dem Firehole River aus Süden. Auch wenn man das heutzutage kaum noch bemerkt, handelt es sich um einen geschichtlichen Ort, denn dort trafen sich 1871 die beiden Expeditionen, die im Auftrag der Bundesregierung den weitgehend unbekannten Nordwesten der USA erkunden sollten, und beschlossen angesichts der Naturwunder, die sie gesehen hatten, einen „Park“ zu beantragen, der nicht industriell erschlossen werden durfte, sondern für die Erbauung und Bildung des Volkes unangetastet bleiben sollte. Dem Antrag wurde durch den damaligen Präsidenten Ulysses Grant, dem Nachfolger Lincolns, stattgegeben und der Yellowstone Nationalpark 1872 als weltweit erster Nationalpark eröffnet. Die dort siedelnden Indianer wurden des Gebiets verwiesen und die Armee übernahm in der ersten Zeit die Verwaltung – eine im Wilden Westen der USA damals übliche Prozedur. Wilderei wurde streng bestraft und nur die Parkverwaltung unter Aufsicht der Bundesregierung durfte Infrastrukturmaßnahmen durchführen. Touristisch liegt der Madison Campground günstig, weil es nur ca. 16 Meilen bis zum Westeingang des Parks in Idaho sind. Dort, in West Yellowstone, winkte die Zivilisation und damit der Nachschub. Wir beschlossen daher am Abend des ersten Tages in Madison, die Etappen zu kürzen und zwei Tage auf dem Campingplatz zu bleiben, um die neue Planung auch zu organisieren. Denn durch das Verkürzen der Etappen hatten wir mehr Zeit gewonnen, die Landschaft zu genießen, unsere geplante Rückfahrt mit den Rädern war damit aber unmöglich: Wir benötigten einen Leihwagen ab Jackson Hole. Angesichts der Tatsache, dass fast im gesamten Nationalpark das eigene Telefon wegen fehlender Netzanbindung unbrauchbar ist, versuchten wir mit dem einzigen Münzfernsprecher des Campingplatzes, in Jackson anzurufen und eine Autovermietung aufzutreiben, die ein ausreichend großes Auto für eine Einwegfahrt bereit stellen konnte. Obwohl in den USA alles auf den Autoverkehr abgestellt ist, war es gar nicht einfach, einen Mietwagen zu bekommen. So standen wir alle daumendrückend um die Telefonzelle herum während meine Frau das Unmögliche wahr machte. Falls wir keinen Wagen bekommen hätten, hätten wir die Strecke zurückfahren müssen, was aber wegen der Etappenverkürzung dazu geführt hätte, dass wir den Yellowstone vorzeitig verlassen hätten müssen. So aber griff dann Plan C: den Yellowstone mit weniger Hetze zu durchfahren und dann ab Jackson mit dem Leihwagen zurück nach Salt Lake City zu fahren. Dies bedeutete eine Ersparnis von etwa 5 Tagen. Die Kinder tanzten vor Freude, als sie merkten, dass auch unsere Anspannung nachließ. Damit aber ließ auch der Druck nach, möglichst alles an einem Tag mitzunehmen, und wir beschlossen, gemeinsam nach West Yellowstone zu fahren, um dort die Vorräte aufzufüllen und einen Ruhetag ohne weitere Aufregungen einzulegen. Erst am Tag danach fuhren wir mit den unbepackten Rädern die Strecke bis zum Old Faithful zurück und sahen uns unterwegs die zahlreichen Geysire und heißen Quellen an. Eines der faszinierendsten Phänomene der heißen Quellen sind die thermophilen Bakterien. Im Gegensatz zur landläufigen Erfahrung, dass alles Leben oberhalb einer Temperatur von 42 °C durch den Zerfall der Eiweißketten unmöglich ist, gibt es Lebewesen, die nicht nur wesentlich höhere Temperaturen aushalten, sondern sogar benötigen. Solche Bakterien hat man in der Tiefsee gefunden, wo sie dem enormen Wasserdruck trotzen und in der Nähe der untermeerischen Vulkane gedeihen – und auch an den Rändern der heißen Quellen haben sie eine Nische gefunden. Je nach Temperatur besitzen sie zudem eine andere Farbe und bilden an den Rändern der Quellen dadurch einen charakteristischen farbigen Bakterienrasen, dessen Farbgebung die jeweilige Wassertemperatur anzeigt. Über den Rand Der Yellowstone ist ein alter Krater. Was man mit dem Auto kaum merkt, erlebt man mit dem Fahrrad umso intensiver, denn um aus dem Krater herauszukommen, muss man aufwärts. Angesichts der Größe des Kraters ist das ein Aufstieg über zwei Tage bis zum Nordausgang bei Mammoth Hot Springs. Die Strecke führt vorbei am Norris Geysirbecken, wo uns im August der Nachtfrost daran erinnerte, dass wir uns auf knapp 2300 über dem Meeresspiegel befanden. Nördlich der Norris Junction wird die Straße schmaler, denn hier zweigt die kleine Schleife durch den Park ab, die direkt hinüber zum Yellowstone River führt. Dorthin donnerten glücklicherweise auch die zahlreichen Motorräder. Unser Ziel war der Nordeingang. Und hier begann auch der stillere Teil des Nationalparks, was sich an den häufigeren Tierbeobachtungen erkennen ließ: Die Bisons standen direkt am Straßenrand und beäugten uns misstrauisch. Ich sie allerdings auch, denn diese Kolosse gehören zu den gefährlichsten Spezies des Parks. Sie erreichen Höchstgeschwindigkeiten von 50 km/h und ein Gewicht von 900 kg. Für normale Fahrräder sind sie damit zu schnell und weit über unserem zulässigen Transportgewicht. Ein Zusammenstoß mit einem solchen Tier endet damit immer recht einseitig zuungunsten des Radlers. Eine Erfahrung, die ich beinahe machte, als ich auf einer kleinen Abfahrt in die Kurve ging und plötzlich ein Koloss aus dem Gebüsch auf die Straße schritt. Mit vollem Gepäck und zwei Personen erreichte das Tandem etwa 140 kg und etwa 40 km/h – zu wenig für den Bison. Da der Büffel aber stehen blieb, konnte ich ihm gerade noch ausweichen und verfehlte ihn um etwa 70 cm. Was mir den Schreck in die Glieder trieb, schien ihn nicht im Mindesten zu beeindrucken. Dennoch zog ich es vor, langsam weiter zu rollen, um nicht den Eindruck hervorzurufen, ich wollte mit ihm spielen. Mit solchen Situationen muss man allerdings in den Nationalparks immer rechnen und so verhielten wir uns ruhig in gebührendem Abstand, bis er die Straße hinter uns geräumt hatte und wir die Fahrt nach Mammoth Hot Springs fortsetzen konnten. Dort warteten die Sinterterrassen auf uns. Die stundenlange Fahrt mit einem Fahrrad ist keineswegs eine eintönige und einfach nur anstrengende Tätigkeit, auch wenn zahlreiche Nicht-Radler oft davon ausgehen. Radfahren macht den Kopf frei: Es setzt gerade aufgrund der eintönigen Bewegung Gedanken in Gang, die um die unterschiedlichsten Themen kreisen können und im Alltag kaum Zeit haben, an die Oberfläche zu kommen. Zumal auf einem Tandem hatten wir dabei die Möglichkeit, diesen Gedanken nachzuhängen und ihnen eine Form zu geben. Anlass dazu waren natürlich die Ereignisse und Phänomene, denen wir auf der Fahrt begegneten, beispielsweise der Untergrund, auf dem wir fuhren. Denn der Yellowstone ist der größte Vulkan der Erde. Man kann sich den Yellowstone als eine große Beule vorstellen, die schon viele Jahrmillionen existierte, bevor eben jener große Ausbruch geschah (und auf dessen erneute Eruption die Geologen schon länger warten). Demzufolge hatte der Yellowstone bereits einen Kragen, als er noch um einigen hundert Meter höher war und vermutlich eher den isländischen Vulkanen ähnelte – jenen riesigen flachen Beulen mit zahlreichen Schloten in Gipfelnähe, die mit unserer klassizistisch geprägten Kegelform eines Ätna oder Fuji wenig gemein haben. Seine heutige Schüsselform erhielt er erst mit jener großen Eruption, die die gewaltige Magmablase auf einen Schlag leerte. Als er vor über 600.000 Jahren ausbrach, müssen riesige Mengen Staub und Asche in die Erdatmosphäre freigesetzt worden sein – mit gewaltigen Folgen für das globale Klima. Es wäre für unsere Zivilisation vermutlich das sichere Ende, würde ein solcher Ausbruch wie der des Yellowstone noch einmal geschehen: Wir hätten einen jahrhundertelangen Winter zu überstehen, der uns in die Steinzeit zurückwerfen würde. Und doch war der Ausbruch des Yellowstone nur eine der zahlreichen geologischen Katastrophen, die das Leben auf unserem Planeten in unregelmäßigen Abständen bedrohten und immer noch bedrohen. Bislang hat sich das Leben jedoch als äußerst zäh und anpassungsfähig erwiesen. Gerade Letzteres, die Anpassungsfähigkeit, dürfte auch der entscheidende Vorteil mancher Spezies gewesen sein, als sich in der Folge solcher geologischer Katastrophen das Klima innerhalb kurzer Zeit dramatisch änderte. Erstaunlicherweise beruhte das Überleben immer auf den gleichen wenigen Faktoren: Hohe Reproduktionsfähigkeit und Diversifikation. Je gleichförmiger die Spezies war (und ist), desto geringer waren ihre Überlebenschancen – trotz der hohen Verbreitung. (Ein Phänomen, die sich mitunter auch auf unsere Zivilisation recht gut übertragen lässt…) Die Sinterterrassen von Mammoth Hot Springs Schon lange vor dem bislang letzten großen Ausbruch hatte die Lava des Yellowstone die umliegenden Täler und Niederungen gefüllt. Das gelblich bis ockerfarbene Gestein, das vor allem den Nordrand des Yellowstone auszeichnet, ist Rhyolith. Dieses Gestein ist es auch, das dem Yellowstone seinen Namen gibt. Durch die Spalten im Gestein dringt auch auf der Nordseite des Kraters heißes Wasser an die Oberfläche und spült dabei Mineralien aus dem Gestein. Während es im Krater selbst jedoch hauptsächlich eine basische Lösung ist, sind die Quellen im Norris Geysirbecken und nördlich davon sehr sauer, so dass es dort penetrant nach Essig riecht. Säure aber löst Kalk, der am Nordrand als Überrest eines urzeitlichen Meeres noch vorhanden ist. Kalkhaltiges Wasser, das eintrocknet, hinterlässt einen leichten Kalküberzug auf dem Untergrund, der sich über viele Jahre veritablen schneeweißen Schichten aufbauen kann solange genügend kalkhaltiges Wasser zugeführt wird. Die Kalkschichten bilden in flachen Mulden kleinen Pfützen, an deren Rand durch die höhere Verdunstung eine dickere Kalkschicht entsteht und das Wasser zusätzlich verlangsamt. Läuft diese kleine Wanne über, bildet sich dahinter eine neue, so dass im Laufe der Jahrtausende ein riesiges Areal aus nebeneinanderliegenden Wannen entsteht, das der Steigung des Geländes folgt: die Wannen wachsen als Sinterterrassen sozusagen den Hügel hinunter, sofern genügend kalkhaltiges Wasser nachströmt. Da das Wasser des nördlichen Yellowstone nicht nur aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung den Kalk aus dem Gestein löst und ihn an der Oberfläche ablagert, sondern auch noch warm ist, wachsen die Terrassen vergleichsweise schnell aufgrund der Verdunstung. (Kleine Randbemerkung: „schnell“ ist hier geologisch gemeint, denn für die prachtvollen Terrassen muss sich man schon mal 1000 Jahre gedulden können…) Heftige Sinterbildung Als wir am Nachmittag Mammoth Hot Springs, quasi neben dem Yellowstone Lake das touristische Zentrum des Nationalparks, nach einer rasenden Abfahrt den Kraterrand hinab ankamen, beschlossen wir zunächst die Zelte aufzubauen, bevor wir den Terrassen einen Besuch abstatten würden. Der Campingplatz liegt noch ein kleines Stückchen unterhalb der Hotels und wird von der Straße zum Nordausgang nach Gardiner umschlossen. Wir ließen daher die Tandems auf dem Zeltplatz zurück und gingen zu Fuß zu den Sinterterrassen. Diese sind zwar auch teilweise mit dem Auto durchfahrbar, der Erlebniswert hält sich dabei aber stark in Grenzen: Man sieht nüscht. Wir hatten jedoch Glück mit dem Licht, denn die leichte abendliche Eintrübung vor Sonnenuntergang verlieh dem glitzerndem Wasser eine fast goldähnliche Anmutung. Veranstaltungen der Nationalparkverwaltung Es ist beileibe nicht so, dass die Angestellten der staatlichen Nationalparkverwaltung nur am Eingang der Nationalparks sitzen und Eintrittskarten verkaufen oder sich um den Erhalt der Straßen und Übernachtungsplätze kümmern. Sie haben auch einen Bildungsauftrag, dem sie mit oft interessanten Vorträgen und Führungen nachkommen. So gibt es im Yellowstone Nationalpark an fast jedem Campground ein kleines „Amphitheater“ mit Leinwand, in dem regelmäßig von den „Rangers“ Vorträge gehalten werden – inklusive Diashow. Sehr empfehlenswert. Allerdings nur bei gutem Wetter … Die Themen und Zeiten findet man auf dem Anschlagbrett am Eingang der Campgrounds und kann sie auch dort erfragen. Am Abend nahmen wir an einem interessanten und sehr anschaulichen Vortrag zu den Greifvögeln Nordamerikas und des Yellowstone teil (siehe auch Kasten rechts). Ein Experiment für die Sinne Angespornt von der Tatsache, dass hier schon Menschen lebten, bevor sie von der westlichen Zivilisation vertrieben wurden, fühlte ich mich zu dem Experiment ermutigt, den Brennwert und das Brennverhalten von Bison-Dung zu testen. Das Experiment an sich war ein großer Erfolg, denn der Dung qualmt zwar entsetzlich und stinkt wie ein brennender Aschenbecher, ist aber fast nicht löschbar. Er glimmt ganz langsam durch und setzt dabei erstaunlich viel Hitze frei. Das Experiment musste ich leider um Mitternacht beenden, als mich die Ranger darauf aufmerksam machten, dass die zehn Liter Wasser, die ich über die Feuerstelle gegossen hatte, bei Weitem nicht ausreichten … Fazit: Trockener Bison-Dung ist hervorragend zum Wärmen der Hütte in kalten Winternächten geeignet. Man sollte allerdings eine völlig verstopfte Nase haben. -x-x-x-x-x- Was aber abwärts führt, geht auch wieder hinauf, zumindest beim Radfahren. Wir mussten am nächsten Tag die Rückreise antreten, was bedeutete, dass wir auf dem Rückweg zum Yellowstone Lake den Dunraven-Pass auf etwa 2700 m überqueren mussten, immerhin mehr als 800 Meter über uns. Das bedeutete aber auch, wieder über den Kraterrand hinein in die Caldera zu gelangen – und zwar auf einer steileren Tour als der Weg hinaus. Nein, nicht steiler, da sonst die überdimensionierten rollenden Wohnzimmer die Steigung nicht schaffen könnten, sondern länger. Mit unserer neuen Planung bedeutete das, dass wir zwei Tage fahren müssten, um zum Canyon-Village Campground zu gelangen – dem mit den Duschen. Das war natürlich schon Motivation, auch wenn ich mich mittlerweile daran gewöhnt hatte, wie ein alter Trapper zu riechen. Dazwischen lag der Dunraven-Pass, der nur deshalb von der Straße überquert wird, weil westlich und östlich tiefe Schluchten liegen, die den Mount Washburn (3122m) umgeben. Um dorthin zu gelangen, mussten wir nach Tower Falls, was ein ständiges Auf und Ab entlang des nördlichen Kraterrands bedeutete. Hier gibt es keine heißen Quellen, hier gibt es nur reichlich Landschaft. Tower Falls Hygiene Ein heikles Thema ist das der persönlichen Körperhygiene in der Natur. Während sich auf einem Zeltplatz eine Besucherin darüber beschwerte, dass es keine Duschen gäbe, verfügen nur die wenigsten Zeltplätze über mehr als ein Plumpsklo und einen Wasserhahn. Dies führt natürlich angesichts der steigenden Besucherzahlen zu einer steigenden Gefahr von Darminfektionen. Andererseits aber kann schon aufgrund der Größe des Parks keine durchgängige Kanalisation eingerichtet werden. Dazu wäre nicht nur ein Frischwasseranschluss, sondern vor allem auch eine gigantische Kläranlage notwendig, die dem Sinn eines Nationalparks widersprechen würde. Wir haben allerdings die Erfahrung gemacht, dass das Trinkwasser aus den Leitungen im Yellowstone zwar entsetzlich schmeckt (wegen der starken Chlorung), aber einwandfrei verträglich ist. Als Radler verzichtet man sowieso auf allen unnötigen Schnickschnack wie Haartrockner und elektrische Zahnbürste. Daher hatten wir auch mit den einfachen sanitären Anlagen keine Probleme, denn diese sind durchweg sauber. Man muss sich darauf einstellen, dass man eben draußen ist. Abgesehen davon reagieren auch die Tiere sehr empfindlich auf jene „Duftstoffe“, die wir benutzen, um von unserem Körpergeruch abzulenken. Für die Nasen der Tiere riecht das nämlich meist nicht angenehm, sondern bedrohlich. Mit anderen Worten: Es ist in einem Nationalpark überhaupt kein Problem, sich an die olfaktorischen Gepflogenheiten der ortsansässigen Tiere anzupassen. Das tun eigentlich alle menschlichen Besucher nach ein paar Tagen … Tower Falls ist ein Rastplatz am Wasserfall des Tower Creek, der sich dort aus 40m Höhe todesmutig in den Yellowstone stürzt. Für uns war es das erste Ziel am Abend nach der langen Anfahrt aus Mammoth – und eine kleine Motivationshilfe: Denn wenn es in den USA einen Rastplatz gibt, dann gibt es dort auch einen Store. Und wenn es einen Store gibt, gibt es auch Kaffee und Eis. Der erste, der jetzt an die Kalorien denkt, die so ein stabiles amerikanisches Eis („Cookies & Cream anyone?“) in sich trägt: Keine Angst, jede Kalorie ist hart erarbeitet und wird vom Körper dringend benötigt. Nicht nur, dass man auf solchen Touren immer im roten Bereich der Energieversorgung fährt, auch der Zuckermangel macht sich auf Dauer bemerkbar. Neben dem Wasserfall hat Tower Falls auch einen etwas abseits gelegenen Campingplatz zu bieten, der wie bereits in Lewis Lake keine zivilisatorischen Annehmlichkeiten zu bieten hat, also auch kein WC. Allerdings wird dort fleißig gebaut und die Parkverwaltung ist sehr darum bemüht, alle Campingplätze des Parks mit fließendem Wasser auszustatten, da die Gefahr einer Norovirus-Epidemie sehr hoch ist. Wachsende Besucherströme und unzureichende Waschmöglichkeiten bieten den Bakterien nämlich einen hervorragenden Nährboden (siehe auch rechts). Dunraven Wir waren sehr früh in die Schlafsäcke gekrochen, denn der kommende Tag sollte das Meisterstück der Radtour werden. Wegen des dauernden Auf und Ab zwischen Mammoth und Tower Falls hatten wir keine Höhenmeter gutgemacht. Diese kamen jetzt auf uns zu. Wir hatten die Kinder schon in Mammoth darauf eingestellt und mit ihnen mehrmals die Karten studiert, so dass jetzt der entscheidende Tag vor uns lag. Wir Erwachsenen hatten keine Zweifel, die eigentlich flachen Anstiege eben einen ganzen Tag lang zu fahren – die Sorge galt eher der Motivation der Kinder, die ja mittreten sollten, um aus der Tour eine Gemeinschaftsaktion zu machen und keinen Eltern-Kind-Ausflug. Und es zog sich. Immer wieder machten wir Pause, um einen Schluck Wasser zu trinken und die Aussicht zu genießen. Nach jeder Kurve freute ich mich auf einen kühlenden Windhauch und zunehmend auch auf die Aussicht, in Salt Lake City in das beste mexikanische Restaurant des Ortes zu gehen. Vor allem das kühle Bier dort schwebte mir vor Augen… Mittlerweile war das Tief abgezogen, das uns noch in Madison gestört hatte (ernsthaft nass war es nicht), und die Sonne brannte recht warm auf den Rücken. Da wir recht gemächlich fuhren, boten unsere verschwitzten Körper auch den Insekten ein willkommenes Ziel – sei es zum Mitfahren oder zum Abpumpen. Unter den Insekten, die sich auf Letzteres verlegen, ist besonders die Bremse ein Quälgeist, da sie über eine hohe Lernresistenz verfügt und meist umstandslos zur Sache kommt. Zwar verschwinden die Stiche recht bald, schmerzen aber anfangs ziemlich und beeinträchtigen dabei das Lenken. Ich war daher ganz froh, dass mit zunehmender Höhe in der Nähe des Mount Washburn auch der Wind stärker wurde – selbst wenn er von vorne kam. Die Straße über den Dunraven Pass erreicht kurz hinter dem Wanderweg zum Mount Washburn ihre endgültige Höhe und führt dann nur noch wenig ansteigend um den halben Gipfel herum, bevor sie in eine zünftigen Abfahrt zum Yellowstone River übergeht. Jetzt ließen wir die Räder laufen. Das ist der Moment, in dem das Herz zu singen anfängt. Da wir nach der kurzen aber heftigen Tour über den Pass noch recht früh am Campingplatz ankamen und uns das gesammelte Lob der Ranger abholten, machten wir uns zu Fuß auf den Weg zum Yellowstone Canyon. Eine willkommene Abwechslung – und eine interessante noch dazu, denn so bekamen wir Gelegenheit, auch die heimische Vogelwelt zu Gesicht zu bekommen. Durch die schroffen Felswände und die Vorsprünge hoch über dem Flussbett bieten sich dem Fischadler („Osprey“) zahllose Nistmöglichkeiten, die er auch weidlich nutzt. Wir sahen sogar einen Horst mit zwei fast flüggen Jungadlern, die gerade von einem Elternteil versorgt wurden. Den Tag beschlossen wir mit einer fulminanten Dusche. Endlich. Beinahe wäre ich Gefahr gelaufen, in der Dusche zu ertrinken – wenn nicht noch das Abendessen auf mich gewartet hätte, zu dem es diesmal spät geworden war, denn die Duschen liegen zentral am Eingang des Campingplatzes und der Zeltplatz ist sehr weitläufig. Wir aßen beim Licht der Taschenlampe und freuten uns auf die nun folgende flache Strecke am Yellowstone Lake entlang. Zwar liegt der Canyon Village Campground am Fluss und bis zum See sind es noch etwa 25 km, aber diese Strecke führt bis zum See ohne nennenswerte Steigungen. Zumindest keine vergleichbaren zum Vortag. Dafür aber wurde es plötzlich neblig – dachte ich zunächst, bis ich das Schild „Managed Wildfire“ sah und den beißenden Geruch von brennendem Gras in der Nase hatte. Verwaltete Waldbrände sind eine hohe Kunst in trockenen Ländern und die Ranger des Yellowstone haben es darin zur Meisterschaft gebracht, wie wir bald erfuhren. Im Grund geht es darum, die immer wieder ausbrechenden Buschbrände (das Gras zwischen den Bäumen ist zwar schütter, aber sehr brennbar) unter Kontrolle zu halten statt sie zu löschen (siehe auch Kasten rechts). Der Wilde Westen ist vornehmlich bewachsen von Nadelbäumen. Dies sind besonders gut angepasst und trotzen den extremen klimatischen Bedingungen von klirrendem Frost im Winter und sengender Hitze im Sommer mit nur wenigen Niederschlägen. Die Bäume wachsen nur langsam und haben sehr harte Nadeln mit einer festen Außenhaut, die nur wenig Wasser entkommen lässt. Die Besonderheit liegt jedoch in den Zapfen, die nach dem Abwurf gar nicht keimen. Sie öffnen sich erst nach einem kurzen Grasbrand und lassen sie Keime auf die Asche fallen. Dadurch nutzen die Keime die Nährstoffe besser und werden ausreichend von Regen befeuchtet, denn die großen Bäume bestehen nur noch aus verkohlten Stämmen, die keinen Regen mehr abschirmen können. Mit anderen Worten: erst wenn die alten Bäume durch einen Brand absterben, können die neuen Bäume wachsen. Der Park braucht also das Feuer. Und das ist auch der Grund, warum man die Brände nur einzudämmen versucht, statt sie zu löschen. Wildfire Der Westen der USA ist ein Buschbrandgelände: Oft genügt ein Funke, um Flächen von der Größe eines deutschen Bundeslandes in Asche zu verwandeln. Um dieser ständigen Gefahr zu begegnen, schlagen die Ranger in den Nationalparks keine Schneisen in den Wald, sondern brennen gezielt gegen die Feuerwalze, die der Windrichtung folgt. Die Wetterdaten zu Windrichtung und Windstärke sind daher das wichtigste Werkzeug bei der Eindämmung der Brände. Die Brände, sofern sie nicht zu groß werden, verbreiten sich hauptsächlich im trockenen Gras, das zwar schnell, aber auch nur kurz brennt. Die meisten Bäume besitzen eine recht feuerfeste Borke, so dass ihnen ein kurzer Grasbrand wenig anhaben kann und nur die unteren Zweige versengt. Dies wird bei der Brandbekämpfung genutzt, indem die Grasbrände auf nicht brennbare Flächen zugetrieben werden. Flüsse beispielsweise, Seen – aber auch Straßen. Letzteres ist für Besucher recht unangenehm, denn die Rauchentwicklung ist enorm, auch wenn es „nur“ Gras ist, das brennt. In der Nähe der Brände wird die Straße daher gesperrt, um die Unfallgefahr durch schlechte Sicht zu verringern. Für uns Radfahrer ist das aber noch weitaus unangenehmer, denn die Rauchschwaden trüben nicht nur die Sicht und reizen die Atemwege, eine gesperrte Straße kann auch das Ende der Fahrt und einen riesigen Umweg von mehreren Tagen bedeuten. Wir hatten jedoch mal wieder Glück, denn die Straße zum Yellowstone Lake wurde durch den leichten Westwind zwar als Brandsperre auserkoren, jedoch erst etwa zwei Stunden nach unserer Durchfahrt für unbestimmte Zeit gesperrt. Eine Sperrung nur wenige Stunden vorher hätte das Ende der Tour bedeutet, denn dann hätten wir über Norris wieder zur Madison Junction zurückfahren müssen – mindestens zwei Tage zusätzlich, die wir nicht mehr hatten. Von diesem Glück erfuhren wir allerdings erst, als wir Mittagspause am Bridge Bay Campground machten. Materialverschleiß Allerdings ereilte uns dort der nächste Schrecken: Meine Kette hatte bereits seit ein paar Stunden ein merkwürdiges Knacken von sich gegeben und die Schaltung funktionierte nicht mehr richtig. Am Rastplatz stellte ich dann fest, dass ein Kettenglied gerissen war und nur noch mit einer Hälfte die Kette zusammenhielt. Dadurch konnte die Kette nicht mehr der Schaltung folgen und wurde natürlich an dieser Stelle extrem belastet. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie riss. Ich hatte zwar alle möglichen Ersatzteile dabei, aber eine Kette gehörte nicht dazu. Nun war guter Rat teuer, denn im Nationalpark gibt es natürlich keine Fahrradhändler. Wir beschlossen daher, es darauf ankommen zu lassen und vorsichtig ohne zu schalten (das belastet die Kette am meisten) bis zum Campground am West Thumb zu fahren – dort wo die Rundfahrt durch den Yellowstone sich schließt und wir auch an diesem Tag wollten. Das original Bikers‘ Sandwich Ein echtes Sandwich für Radfahrer, die wenig transportieren, aber viel vertragen können, lässt sich folgendermaßen herstellen: Amerikanisches Toastbrot (deutsches ist zu trocken), am besten wholewheat Peanutbutter (smooth oder crunchy, ich bevorzuge Letzteres) Jam (Geschmacksrichtung Erdbeere oder Aprikose) Käse (der Cheddar oder Marbled Cheese aus dem Kühlregal) Apfel Zubereitung: Eine Brotscheibe (ungetoastet, wir sind in der Wildnis) vorsichtig mit Peanutbutter bestreichen, darauf dünn Käsescheiben legen. Eine zweite Scheibe Toast mit Marmelade („Jam“) bestreichen und mit der bestrichenen Seite nach unten darauf legen. Dann gleichmäßig zusammendrücken. Den Apfel gibt es dazu, damit auch die Zähne beschäftigt sind. Dazu empfiehlt der Chef Leitungswasser, das gegen den durchdringenden Chlorgeschmack mit etwas Orangensaft verdünnt wird. Als Nachtisch gibt es außerdem die unnachahmlichen Chocolate Chip Cookies. Am folgenden Tag wollte ich dann nach Jackson trampen, um dort eine neue Kette zu besorgen. Als wir jedoch in den Campingplatz hineinfuhren, hatten wir Glück: Corinna fand einen netten Angestellten einer Eventagentur, der gerade unterwegs war, eine Gruppe von Freizeitradlern einzusammeln und in seinem Transporter ein paar Werkzeuge an Bord hatte. Er schenkte uns einen Nietdrücker zur Demontage. Leider aber ließ sich die Kette mit diesem Werkzeug ohne eine Zange als Hebel nicht öffnen, der Niet steckte zu fest. Zufällig (manchmal zweifle ich an diesem Wort) standen an der Kasse auch „echte“ Radler, erkennbar an den Fahrradtaschen und der vollständigen Reiseausrüstung. Vielleicht hatten sie eine Zange? Wieder hatten wir Glück: Ein freundlicher junger Mann lieh uns erst sein Werkzeug – mit dem ich allerdings auch nicht weiter kam – und vermachte uns dann eine nagelneue Kette, die er als Ersatz mit sich führte. Da war er wieder, der American spirit. Mit dieser Tat rettete uns der gute Mann den Tag und die Fahrt. Möge er lange und unfallfrei radeln! (Und ich nehme in Zukunft eine ordentliche Ersatzkette mit …) – + - Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen …Pages: 1 2 Radreise unterwegs RadreiseUSAYellowstone
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