Elberadweg und Co.: Kopfstein, Kunst und Cappuccino 20.09.201401.02.2022 Nach der langen (und anstrengenden) Tour vom vergangenen Jahr (siehe Radreise am Yellowstone Nationalpark 2013: No Country for Old Cyclists) beschlossen wir, es in diesem Jahr etwas ruhiger und entspannter angehen zu lassen. Und was bietet sich dafür besser an als der Elberadweg, der zu den beliebtesten Radwegen Deutschlands gehört – nicht nur, weil er kaum Steigungen aufweist, sondern auch weil er mit einer bunten Mischung aus Kulturgeschichte, neuerer Geschichte, Kunst und Kaffeehauskultur aufwarten kann wie kaum ein anderer. Und weil er für Radfahrer gut ausgeschildert und ausgebaut ist – meistens jedenfalls. Da wir aber fast zwei Wochen Zeit hatten, verlängerten wir die Reise um ein paar Schmankerl: Vom Havelradweg über den Elberadweg führte unsere Tour entlang der unteren Moldau nach Prag, dem „Rom des Nordens“. Havelradweg Wir starteten unsere Tour in Fürstenberg an der Havel, wo die Kinder in Brückentin nach einer Woche Feriencamp auf uns warteten. In Fürstenberg, inmitten der schier endlosen Wälder und Sumpflandschaften in der Seenlandschaft am Rand der Uckermark gelegen, kreuzt der Havelradweg, der von der Ostsee bis nach Kleinwittenberg an die Elbe führt. Diesem folgten wir über die Dörfer und die mehr schlecht als recht asphaltierten Straßen, über die die Einheimischen mit ihren Anhängern brettern, als gälte es, für die Rallye Paris – Dakar zu üben. Eigentlich ist die Havel in dieser Gegend kein Fluss, sondern eine mäandernde Sammlung aus Altarmen, Teichen voller Seerosen und halbversumpften Auen, über die sich schon im vorletzten Jahrhundert nur schwer Schiffstransporte durchführen ließen. Hier sieht es heute fast noch so aus wie zu Zeiten des Deutschordens vor 1000 Jahren, hier gibt es (wieder) Wölfe – und hier sagen sich noch Fuchs und Has’ „Gute Nacht!“. Der bislang größte Aufschwung für die Gebiete nördlich Berlins erfolgte Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als in den Sumpfgebieten um Zehdenick die größten Ziegelwerke Europas standen. Die Ziegel wurden für den rasanten Ausbau Berlins benötigt – und mussten aus der Einöde irgendwie in die Hauptstadt gelangen. Da die Havel für jeden Kilometer Luftlinie jedoch fünf Kilometer Flusslauf benötigt, sehr seicht und sumpfig ist, bestand die einzige Möglichkeit darin, parallel zum ungefähren Flusslauf einen Kanal zu bauen, der über Schleusen verfügt, um den Höhenunterschied auszugleichen. Diese Schleusen gibt es immer noch, die Lastkähne jedoch nur noch selten als Ausflugsschiffe. Dafür führt der Radweg immer am Kanal entlang. Schleuse mit Zugbrücke in Zehdenick Das Unangenehme (euphemistisch gesprochen) an den schlechten Straßenbelägen ist nicht so sehr, dass man immer mit Löchern und Durchschlägen rechnen muss, sondern dass sie eine ungeheure Konzentration des Fahrers auf die Straße erfordern, so dass man keine Gelegenheit bekommt, auch nur einen Blick auf die Häuser oder Landschaft zu werfen – und nach kurzer Zeit mit schmerzenden Handgelenken und Schultern auf Bürgersteige ausweicht. Das geht dann zwar auch nicht schneller, aber schmerzfreier. Unsere Route führte uns jedoch nordwestlich an Berlin vorbei über Oranienburg nach Potsdam. Je näher wir allerdings der Großstadt Berlin kamen, desto unangenehmer wurde der Verkehr und auch die Qualität der Straßen nahm rapide ab. Stellenweise führte der Weg über die alten Grenzstreifen der DDR (in Henningsdorf), zunehmend über das charakteristische Straßenpflaster, das mit seinen großen Zwischenräumen und Löchern eine wahre Folter für beladene Tandems darstellt. So hingen wir im Westen Berlins oft zwischen Baum und Borke: Nehmen wir den gut ausgeschilderten aber schlecht befahrbaren Radweg oder lieber die stark befahrene, aber asphaltierte Straße? Potsdam Potsdam ist zwar die Hauptstadt des wohl (neben Mecklenburg-Vorpommern) menschenleersten Bundeslands der Republik, aber in erster Linie für das Schloss „Sanssouci“ bekannt, das sich Friedrich II. – ein ansonsten kauziger und recht sparsamer, um nicht zu sagen: geiziger König – in ein weitläufiges Gelände am Hang des Städtchens bauen ließ. Er hatte zwar ein Faible für die französische Hofbaukunst, besaß aber genug Bodenhaftung, um sich um sein Rokokoschlösschen eine Vielzahl an Obstbäumen pflanzen zu lassen, damit er täglich frisches Obst auf dem Tisch hatte. So nehmen denn auch die Obstbäume und ‑sträucher im Garten des Schlosses, das im Übrigen aus großen Repräsentationsräumen ohne Wohnfunktion besteht, den Großteil der Aussicht ein. Blick auf Sanssouci Die Fahrt durch Brandenburg führte uns auch in kürzester Zeit durch einen lehrreichen Abschnitt deutscher Geschichte: vom Aufstieg der preußischen Könige aus dem Sumpf und Sand Brandenburgs mit Hilfe von Soldaten zu den Kaisern Deutschlands, bis zum Zerfall von Preußens Glanz und Gloria innerhalb von 50 Jahren, der aus einem der reichsten Länder der Erde mit Hilfe von Soldaten zu einem besetzten und zerrissenen Land führte. Nur den Sand und Sumpf der Uckermark, den gibt es immer noch … Hinter Potsdam verzichteten wir teilweise auf den Radweg nach Wittenberg, der zwar immer noch gut ausgeschildert ist, aber es sich zum Ziel gesetzt zu haben scheint, den strebsamen Radler auf alle erdenklichen Weisen vom Weg abzubringen und durch unwegsames Gelände zu führen. Über Bad Belzig fuhren wir Richtung Wittenberg. Bad Belzig war für uns übrigens eine Art Lackmustest für den Anspruch auf „blühende Landschaften“ nach der Wiedervereinigung. Kurz: man bemüht sich, hat sogar eine Burg und Altstadt zu bieten. Aber der Osten der Republik verfällt. Allen Bemühungen zum Trotz, die Bevölkerung an der Landflucht zu hindern und eine funktionierende Infrastruktur aufrecht zu erhalten, sinkt die Bevölkerungszahl außerhalb der großen Städte stetig. Damit steht Bad Belzig nicht allein: außer Touristen, die in gehobenem Alter mit ihren Rädern einen Wochenendausflug machten, war von der Bevölkerung nichts zu sehen. Nun sind Radwege keine Umgehungsstraßen, man fährt vorbei an Gewerbegebieten, durch Nebenstraßen und Marktflecken, also an Arbeitsplätzen. Kinder und jüngere Generationen sahen wir trotzdem vergleichsweise selten. Die trifft man in Potsdam oder Berlin – oder gleich in Westdeutschland, wo die Löhne höher sind und die Erwerbslosigkeit niedriger. Wittenberg Der 31. Oktober 1517 stellt nicht nur für Christen mit protestantischem Hintergrund ein bedeutsames Datum dar, sondern hatte auch weitreichenden Einfluss auf den Verlauf der neuzeitlichen Geschichte. An jenem Tag nagelte ein gewisser Dr. Martin Luther seine 95 Thesen an das Hauptportal der Schlosskirche zu Wittenberg. Darin stellte er die seiner Meinung nach wichtigen Ansätze zur Reformation der katholischen Kirche dar. Wohlgemerkt: Luther war Theologieprofessor der damals wichtigen Universität zu Wittenberg und kritisierte den grassierenden Ablasshandel, der den Gläubigen eine Vergebung ihrer Sünden versprach, sollten sie nur genügend Geld an die Kirche spenden. Nun war Wittenberg nicht irgendeine Stadt an der Elbe, sondern eine der wenigen befestigten Handels- und Universitätsstädte mit eigenem Gerichtssitz, die das Kurfürstentum Sachsen vorweisen konnte. Hier wurde (katholische) Theologie gelehrt und diskutiert. So stand Luther auch nicht alleine, der eher schmächtige, aber wortgewaltige und äußerst begabte Philipp Melanchthon und Martin Bucer aus Straßburg zählten zu seinen durchaus ebenbürtigen Mitstreitern. Allerdings hätte auch diese Aktion kaum Widerhall gefunden, wäre sie nicht eingebettet in eine zunehmende Unzufriedenheit mit der Enge und Kleingeistigkeit der katholischen Kirche jener Zeit und den ihr enteilenden gesellschaftlichen Umwälzungen: 25 Jahre vor Luther hatte ein gewisser Christophorus Columbus auf der Suche nach dem Seeweg nach Indien zufällig den amerikanischen Kontinent entdeckt, Vasco da Gama 1498 die Erde einmal umsegelt und Gutenberg etwa 75 Jahre zuvor den Buchdruck mit beweglichen Lettern revolutioniert. Dies traf auf eine Gesellschaft, die in ständischem Denken stecken geblieben war und den Errungenschaften des Handels und der Kommunikation eher ablehnend gegenüber stand. Mit einem Mal war die Erde keine Scheibe mehr, um die sich alles drehte, und das aufstrebende Bürgertum, das durch den Handel reich geworden war, wollte sich mit seiner ihm zugedachten Rolle nicht mehr zufrieden geben. Dies strahlt auch der renovierte Marktplatz Wittenbergs aus. Das Rathaus ist prächtig, ebenso die umliegenden Bürgerhäuser. Die Stadtkirche dagegen ist auch räumlich in die zweite Reihe verbannt. Heute ziehen dort Scharen von Touristen ihre Runden, schlendern über den Marktplatz hinunter zur Schlosskirche und lassen sich vor dem eher bescheidenen Hauptportal fotografieren. Und den Ablasshandel haben sie durch die Steuererklärung ersetzt… Das Rathaus von Wittenberg Torgau Der Elberadweg ist im Vergleich zum weniger befahrenen Havelradweg sehr gut ausgebaut und nur selten vom „nostalgischen“ und Felgen mordenden Grobpflaster unterbrochen. Er führt jedoch meist im Zickzack entlang der Elbewindungen durch das Schwemmland der Flut- und Flusslandschaft. So gelangten wir fast unbehelligt vom Autoverkehr nach Torgau, einer Stadt, die eigentlich noch etwas größer als Wittenberg ist, aber weniger vom Ruhm ihres bekanntesten „Wutbürgers“ zehrt als Wittenberg. Obwohl Martin Luther häufig zwischen beiden Städten pendelte und auch seine Frau Katharina von Bora hier begraben ist, ist Torgau mehr aus der neueren Geschichte bekannt als der Ort, an dem die US-amerikanischen Truppen den sowjetischen die Hand reichten und damit die vollständige Besetzung und Niederlage Deutschlands im zweiten Weltkrieg besiegelten. Der Marktplatz von Torgau Torgau ist heute eine immer noch mittelalterlich geprägte Stadt mit einem Stadtbild ähnlich dem Wittenbergs. Da es allerdings stark unter den napoleonischen Kriegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelitten hatte und auch weniger stark touristisch besucht wird, sind die Spuren einer vierzigjährigen Vernachlässigung noch deutlicher zu sehen als in der Lutherstadt. Liegen Wittenberg und Torgau noch in einer Elbauenlandschaft, in der der Radweg jeder Flusswindung und jedem Altarm folgt, so wird es kurz vor Meißen hügeliger und das Tal enger. Dementsprechend rücken auch Radweg und Straßenverkehr wieder näher zusammen, bis sie sich in Meißen treffen. Der Radweg nach Meißen Meißen Meißen? Äh, hatte das nicht irgendwas mit Porzellan zu tun? Richtig, ein naher Namensvetter meinerseits hatte im Jahr 1708 nach langen und erfolglosen Versuchen, Gold herzustellen und mit Hilfe der Motivationskünste des Kurfürsten August von Sachsen („Wenn er mir nicht binnen Jahresfrist ein Ergebnis bringt, lasse ich ihn aufhängen!“) herausgefunden, wie Porzellan hergestellt werden kann. Sachsen litt wie viele Fürstentümer unter konstantem Geldmangel (ein funktionierendes Steuersystem gab es ja damals nicht) und die Entdeckung der Herstellung des „weißen Goldes“ führte zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Albrechtsburg in Meißen wurde kurzerhand zur Porzellanmanufaktur umfunktioniert und Böttger überwachte die Produktion. Mit dem Geld aus den im Rokoko sehr nachgefragten Produkten der Meißner Porzellanmanufaktur finanzierte sich der sächsische Kurfürst „August der Starke“ den Ausbau Dresdens zum „Elbflorenz“ und auch die polnische Königskrone. Der Alchimist und Apothekerlehrling Johann Friedrich Böttger, dem die Erfindung zugeschrieben wird, hatte weniger Glück: er durfte das Land nicht verlassen, auf dass er sein Geheimnis nicht außer Landes trage. Er war damit ein Gefangener seines Erfolgs. Blick von der Albrechtsburg über die Elbe Nach einem Besuch und einer Führung durch die Porzellanmanufaktur am Fuß der Albrechtsburg setzten wir uns wieder auf die Räder und legten die letzten Kilometer Richtung Dresden zurück. Kurz vor Dresden befand sich nämlich unser Campingplatz im kleinen Örtchen Radebeul, das für etwas ganz anderes bekannt ist. Oder vielmehr bekannt war, denn dort wohnte Karl May. (Keine Angst, ich quäle Sie jetzt nicht mit Kindheitserinnerungen an Winnetou oder ähnlichen, mittlerweile unerträglichen Lesestoff.) Radebeul ist einfach ein kleiner Ort bei Dresden mit einem Zeltplatz für Kanuten und Wassersportler, die den direkt am Elbufer gelegenen Campingplatz auf der Durchreise nutzen. Dresden Von Radebeul aus ist es auch mit Fahrrädern ein Katzensprung nach Dresden. Da Dresden allerdings sehr viel zu bieten hat und wir auch nicht beabsichtigten, die vollgepackten Räder durch die Stadt zu schieben (fahren kann man nicht, das Kopfsteinpflaster verhindert dies zuverlässig), machten wir in der Stadt einen Stopp, um uns die Semperoper anzuschauen und dann die Räder auf dem Campingplatz in Wostra am gleichnamigen Flüsschen ab- und die Zelte aufzustellen. Wir wollten nämlich zwei Nächte bleiben. Die Semperoper in Dresden Ein Stadtbesuch mit Fahrrädern, die außer den Fahrern keine Last tragen müssen, ist um ein Vielfaches angenehmer als der gleiche Trip mit vollbepackten Tandems. Es war daher am nächsten Morgen eine Freude, an der Elbe entlang in die Innenstadt zu radeln und den Rest des Tages zu Fuß zurück zu legen. Wir hatten uns kein großes Programm vorgenommen, um in aller Ruhe die wesentlichen Sehenswürdigkeiten genießen zu können. So führte uns der Weg in den Zwinger, in die Frauenkirche, am Fürstenzug vorbei und auf die Brühlschen Terrassen – also alles, was einen ordentlichen Touristen ausmacht. Nebenbei genossen wir es, auf dem Neumarkt einen Kaffee zu trinken und dem Treiben zuzuschauen. Sächsische Schweiz Ein Sandsteingebirge ist eine interessante geologische Formation, denn sie besteht aus dem festgebackenen Grund urzeitlicher Meere, das durch die tektonischen Verschiebungen angehoben wurde. Eine ähnliche Gesteinsformation hatten wir bei unserer Reise durch die „Canyonlands“ in Utah beobachtet. Und in der Tat gleichen sich beide Formationen sehr – bis auf den Unterschied, dass es an der Elbe ein feuchteres und milderes Klima gibt und das relativ weiche Gestein durch Wasser und Schnee erodiert ist statt durch Wind. Man muss sich dazu nur die Canyonlands bewaldet vorstellen. Dresden liegt in einer Mulde der Elbe zwischen Meißen und dem Elbsandsteingebirge. Das bedeutet für Radfahrer, dass man von Dresden kommend auf dem Elberadweg zunächst durch flaches ehemaliges Sumpfland fährt, dessen einzige Erhebungen die Deiche darstellen. In Dresden wird man allerorten darauf gestoßen, welche Wassermassen im Katastrophenfall die Elbe abwärts strömen und den Pegel sehr rasch ansteigen lassen. Während flussabwärts aber genug Platz da ist, um Flutbecken anzulegen, die in einem solchen Fall die Hochwassergefahr der nördlichen Städte am Flussufer entschärfen, sieht es bei Dresden ungleich schwieriger aus: für Vorfluter ist kein Platz. Denn südlich von Dresden zwängt sich die Elbe in zahlreichen Schleifen durch ein altes Mittelgebirge, das beiderseits des Ufers malerisch aufragt, bei Flut aber wie eine Düse funktioniert, an deren Austritt Dresden liegt. Politisch und wirtschaftlich war das für Dresden allerdings eine günstige Lage, denn die Elbe ist ein gut schiffbarer Fluss. Demzufolge erstreckte sich im Mittelalter der sächsische Einflussbereich bis weit nach Böhmen hinein, das auf der anderen Seite des Elbsandsteingebirges liegt. Entlang der Elbe ragen daher die schroffen Felszacken und ‑kuppen wie ein Sammlung fauler Zähne am Flussufer auf. Ein malerisches Bild, das durchaus manchmal alpin wirkt und daher den Namen „Sächsische Schweiz“ verdient hat. Leider haben die Sachsen durch eigenes Verschulden die Auszeichnung als „Weltkulturerbe“ verloren, als sie beschlossen, eine Autobrücke mitten durch die wunderbare Landschaft zu bauen. Das passiert, wenn Geld über den Verstand siegt… Der Blick nach Tschechien von der Bastei Wir setzten in Rathen mit der Fähre auf das östliche Ufer über, um zu Fuß einen ausgedehnten Spaziergang zur Bastei hinauf und durch die „Schwedenlöcher“ hinab anzutreten. Glücklicherweise hatten wir einen weniger bekannten Pfad gefunden, so dass wir zumindest auf den ersten Metern bergauf von den Touristenströmen verschont blieben, die sich dort täglich in Busladungen hinauffahren lassen, um den atemberaubenden Blick zu genießen. Atemberaubend war allerdings auch die Konstruktion der Felsenburg, die man im 13. Jahrhundert hier oben zwischen die Felsen klemmte, um bei Bedarf einen Angreifer von oben mit Wurfgeschossen „beglücken“ zu können. Kurz hinter Rathen endet dann die Bundesrepublik und auch der relativ gut ausgebaute und viel befahrene Teil des Elberadwegs. Wir kamen nach Tschechien. Zwar sind die Radwege auch in Tschechien sehr gut ausgeschildert, man muss sich aber als Radfahrer oft mit Autofahrern die teilweise sehr schlechten Straßen teilen, da die Radwege außerhalb der größeren Orte in einem erbärmlichen Zustand sind. Dies bekamen wir noch mehr zu spüren, nachdem wir den Elberadweg verlassen hatten und bei Mělník in den Moldauradweg einbogen. Aber ich greife vor… Unser nächstes Etappenziel an der Elbe war Decin, wo wir feststellen mussten, dass man selbst unter kreuzenden Hochbrücken übernachten kann und auch die tschechischen Polizisten und Krankenwagen keine Pause kennen. Wir waren daher etwas müde, als wir am nächsten Morgen in Richtung Roudnice aufbrachen. Zur Moldau Mittags kamen wir nach Litoměřice, das wie so viele tschechische Städte einen pittoresken mittelalterlichen Stadtkern besitzt, der nicht der rabaukenhaften Verkehrsplanung der Nachkriegszeit zum Opfer gefallen ist. Leider aber ist er mit dem Fahrrad nur sehr schwer zu befahren, denn Fußgängerbereiche sind in den meisten Städten Tschechiens unbekannt. Man fährt überall mit dem Auto hin und parkt sich auf diese Weise systematisch die Innenstädte zu. Das ist überaus schade, denn die Atmosphäre der Stadtzentren wäre ohne die Blechkarossen doch wesentlich angenehmer. Der Marktplatz von Litoměřice. Wie schön würde er ohne Autos sein … Nach einem Eis ging es dann weiter Richtung Roudnice, wo wir unsere Zelte aufschlagen wollten. Der Radweg war mittlerweile nicht mehr existent, hatte bei Usti schon über Treppen (!) geführt und ließ uns mitunter an der Karte verzweifeln („Sind wir noch in Europa oder schon östlich des Urals?“), denn streckenweise war der Weg nur noch knöcheltiefer Morast, der von Traktorreifen komplett zerwühlt war und aussah wie ein Truppenübungsplatz. Wir nahmen die Straßen, die glücklicherweise nicht sehr befahren sind, auch wenn die Asphaltdecke doch arg löchrig war. Insgesamt wurde das Fahren damit anstrengender und ermüdender, was gerade uns Erwachsene etwas daran hinderte, den Blick in die Landschaft schweifen zu lassen. Das war allerdings nur mäßig schlimm, denn das Wetter wurde zunehmend schlechter. Es war bereits in Dresden wechselhaft geworden, die Sonne hatte sich aber in der Sächsischen Schweiz noch öfter durch die Wolkendecke mogeln können. Damit war nun Schluss. Es wurde grau und grauer. Roudnice nad Labem In Roudnice lag der Campingplatz am gegenüber liegenden Elbeufer und war recht wenig benutzt. Er hatte den Vorteil – wie auch der Campingplatz an der Wostra – dass er über einen kleinen Aufenthaltsraum verfügte, einschließlich Kühlschrank und Kochmöglichkeit. Das erlaubte uns, den eigenen Kocher in der Tasche zu lassen und im Trockenen am Tisch essen zu können. Das war ein regelrechter Luxus, denn in der Nacht begann es ausgiebig zu regnen. Es war die letzte Nacht vor Prag, und wir waren noch nicht entschlossen, ob wir in Prag billig in einer Herberge oder außerhalb der Stadt auf einem Campingplatz übernachten sollten. Was es bedeutet, mit nasser Ausrüstung zu zelten, kann nur ermessen, wer es durchlebt hat: Nicht Kälte, sondern Feuchtigkeit ist der größte Feind des Campers. Wenn das Zelt feucht ist, werden die Isomatten und alle Gegenstände auf dem Zeltboden auch feucht. Damit werden nach kurzer Zeit auch die Schlafsäcke klamm. Das ist dann das Ende der Campingfreuden, denn nasse Schlafsäcke führen zu Schlafentzug. Die Tatsache, dass es in der Nacht zu regnen begonnen hatte und auch keine Anstalten machte, sobald wieder damit aufzuhören, ließ uns die Entscheidung zu Gunsten einer einfachen Herberge in Prag schnell treffen. Nun ist Prag nicht einfach irgendein altes Städtchen, sondern ein Touristenmagnet – vor allem im Sommer. Ob wir das Hostel, in dem meine Frau vor einigen Jahren übernachtet hatte, würden wiederfinden können und dort auch ein freies Zimmer bekämen, war nicht ausgemacht. Wir ließen es aber darauf ankommen. Etwas anderes blieb uns ja auch nicht übrig. Mit nassem und damit auch um ein paar Kilo schwererem Gepäck rollten wir nach Mělník. Das Wetter war allerdings zu schlecht, um uns zu motivieren, die Altstadt von Mělník anzuschauen, denn diese liegt hoch auf einem steilen Hügel gegenüber der Mündung der Moldau. Wir bogen einfach ab in die Moldau. An der Moldau Wer bei „Moldau“ nur an Frederick Smetana denkt, liegt zwar nicht verkehrt, ist aber vermutlich noch nie dort gewesen. Die Moldau ist ein seichter Fluss, der sich durch Böhmen windet und im Mittelalter als Verkehrsweg zur Nordsee über die Elbe benutzt wurde. Die Industrialisierung ist jedoch weitgehend an ihm vorbeigegangen. Bis auf die Schlösser erinnerte sie mich daher an die Loire, nur weniger lieblich. Man fährt daher zunächst durch Auwälder und an kleinen Ortschaften vorbei, die jedoch sehr geschlossen wirkten, was vermutlich nicht nur am Regen lag, sondern daran, dass sie für die Touristenströme, von denen der Elberadweg in Deutschland profitiert, nichts abbekommen. Es regnete und uns wurde kalt, aus den Fahrradhandschuhen tropfte das Wasser, selbst meine Spritzschutzhülle drohte vollzulaufen. Wir packten das Smartphone in die wasserdichten Fahrradtaschen, die nun wieder beweisen durften, was so in ihnen steckt – und was nicht hinein darf. Resultat: Sie lieferten. Mittags kreuzten wir auf einer kleinen Fähre bei Lužec die Moldau. Zuvor hatten wir noch die örtliche Gaststätte mit unseren tropfenden Klamotten überschwemmt, als wir dort Kaffee und heiße Schokolade getrunken hatten. Lužec nad Vlatava. Die Moldau ist hier eher herb. Aber auch auf der anderen Seite der Moldau waren die Straßen schlecht und blieben es auch bis kurz vor Prag. Passend dazu wirkte selbst die Landschaft recht trostlos: die Dörfer grau und seltsam leblos bis auf die mit Anhängern versehenen Autos, die mit einem atemberaubenden Tempo über die Landstraßen ratterten – wie schon in der Uckermark. Vor allem die Dörfer erschienen mir als reine Ansammlung von Behausungen, die den Regen abhalten können. Ein Dorfzentrum, wie man es aus manchen italienischen Bergdörfern kennt, die ähnlich unberührt von der Industrialisierung abgelegen liegen, habe ich nirgends erkennen können. Stattdessen jene graubraunen Fassaden, wie sie mir noch aus Zeiten meiner Bahnfahrt durch die DDR in Erinnerung sind. Ganz anders dagegen Prag. Der Prager Burgberg mit Dom. Vom Turm des Jesuitenkollegs aus gesehen. Prag, aber hier nur kurz Navigation Wir sind ja nun schon recht erfahrene Radreisende und bisher auch recht gut mit dem Kartenmaterial zurecht gekommen (das man sich immer vor Antritt der Reise besorgen sollte). Dazu zählen beispielsweise Radwanderkarten wie der für diese Tour geeignete Radtourenbuch „Elberadweg“ aus dem bikeline Verlag. Es passt in die Außenhülle der Lenkertasche und ist daher immer einsehbar. Man muss nur öfter anhalten, um umzublättern. Falls man den Weg verpasst, weil man eine Ausschilderung nicht gesehen haben sollte, kann es auch schwierig sein, wieder auf den Weg zu kommen. Als Zusatzmaterial hatte ich diesmal eine App dabei, die ich auf mein Smartphone geladen hatte. Während normale Karten wie die von Google durchaus brauchbar sind, um den Weg zu finden oder sich durchlotsen zu lassen, haben sie doch den Nachteil, dass sie auf Netzverbindung angewiesen sind. Bei der App „Gaia GPS“ dagegen kann man sich die Karten und die Routen auf das Smartphone laden und greift von unterwegs nur noch auf die GPS-Navigation zurück. Um das Smartphone dauerhaft mit Ladestrom zu versorgen, bieten Lampenhersteller mittlerweile Vorderradlampen für das Fahrrad mit integrierter USB-Schnittstelle an, die über den Nabendynamo auch das Smartphone versorgt, wenn der Akku der Lampe voll genug ist. Ich habe damit mein Smartphone tagsüber komplett aufladen können. Eine solche Lampe ist nicht billig, spart aber viel Zeit auf der Campingplatz-Toilette, wo man das Gerät sonst unter Aufsicht aufladen müsste. Vom Frust ganz zu schweigen. Das Smartphone wird dazu am Lenker mit einer spritzwasserdichten Hülle versehen, über die es sich noch bedienen lässt. Vor vielen Jahren war ich schon einmal für ein paar Tage in Prag. Damals war mir vor allem der modrige Geruch aufgefallen, der aus den Kellerfenstern aufstieg, der Geruch nach verfallenden Mauern und fauligem Holz. Prag heute ist eine lebendige Stadt, in die Touristen (vor allem aus den heute selbstständigen Kolonien jenseits des Großen Teichs) einfallen wie die biblische Heuschreckenplage. Prag lebt. Und wie. Es gibt zwar eine Art „Ruhezeit“ ab 22 Uhr, ich habe aber keinen Unterschied bemerkt zu den lebhaften Stunden am Tag. Ruhig ist es in Prag nur gegen 6 Uhr, wenn die Kneipen und Diskotheken geschlossen haben, und die Bewohner noch oder schon Zuhause sind. Zum Radfahren ist Prag aufgrund des Kopfsteinpflasters und der Straßenbahnschienen absolut ungeeignet. Aber es ist eine großartige Stadt, wenn man gut zu Fuß ist und sich auch von den Menschenmassen auf dem Wenzelsplatz nicht beeindrucken lässt. Unser gesuchtes Hostel am Rande der Altstadt hatte tatsächlich noch ein Vierbettzimmer frei für uns. Allerdings mussten wir aus Sicherheitsgründen die Tandems bei einem nahe gelegenen Fahrradverleih gegen einen Obolus unterstellen. Uns war das ganz recht, denn so wussten wir die Fahrzeuge sicher untergebracht und konnten uns zu Fuß ins Vergnügen stürzen. Ein touristischer Rat vorab: trotz der langen gemeinsamen Geschichte, die im letzten Jahrhundert durch die deutsche Besetzung stark belastet wurde, ist Deutsch keine Sprache mehr, mit der man im Alltag in Prag weiter kommt. Prag spricht englisch. Dafür bietet es dem Touristen vieles, was man sonst aus dem Italienurlaub kennt. Alleine die übliche Route durch die Altstadt über den Wenzelsplatz, über die Karlsbrücke hinauf zur Burg und wieder zurück ist ein Gang durch 800 Jahre europäische Bau‑, Kunst- und Gesellschaftsgeschichte. Beeindruckend war vor allem das Leben neben und um die Karlsbrücke an einem sonnigen Abend. Hier wird deutlich, warum man Prag auch das „Rom des Nordens“ nannte. Für uns war es der Abschluss der Reise, denn von Prag aus fuhren wir mit der Bahn zurück. Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailBlueskyMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Radreise unterwegs DeutschlandRadreise
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