Radreise am 70. Breitengrad: Indian Summer in Nordnorwegen 03.10.202101.03.2024 Es wurde dann doch Plan B. Oder eher Plan B.2. Eigentlich wollten wir in diesem Jahr gar nicht nach Norwegen. Die allgemeine Pandemiesituation an unserem primären Reiseziel war aber so unglücklich, dass wir beschlossen, in diesem Jahr die Radreise durch ein Land zu wagen, dessen jährliche Hauptreisezeit eigentlich schon vorbei ist: Norwegen. Und weil wir nicht einfach wieder nach Norwegen wollten, sondern angesichts der Jahreszeit auch Polarlichter sehen wollten, kam diesmal nur der skandinavische hohe Norden in Frage. Da wir nur zwei Wochen Zeit hatten, verbot sich die Anreise zum Nordkap über Finnland von alleine, denn es wären die 2500 km von Helsinki aus nicht in der kurzen Zeit machbar gewesen. Plan A war also nicht durchführbar. Dann Plan B Plan B begann mit dem Rückwärtsrechnen vom Nordkap aus: was ist der mit Fahrrädern am besten erreichbare Knotenpunkt in der Nähe von Europas Nordzipfel? Das Nordkap liegt zwar in erreichbarer Distanz von Tromsø, dorthin kommt man aber nur mit Auto (für Nicht-Autobesitzer mit Fahrradtransportmöglichkeit unmöglich), mit dem Schiff (dauert zu lange) oder mit dem Flugzeug (nicht ideal, aber die beste Option). Da diesmal beide Kinder uns angesichts des Reiseziels begleiten wollten, reaktivierten wir unsere Tandems, mit denen wir bereits im Yellowstone und in Dänemark unterwegs waren. Sie waren zwar mittlerweile größer geworden (die Kinder, nicht die Tandems), lassen sich aber sehr gut zerlegt transportieren (die Tandems, nicht die Kinder). Norwegen im Herbst Nördlich des Polarkreises beginnt der Winter recht früh, während der Herbst sehr kurz ist. Im Gegensatz zu Nordamerika wird aber Norwegen mit Warmwasser des Golfstroms geheizt und ist daher an den Küsten in Meereshöhe wesentlich milder als Orte in Alaska auf einem vergleichbaren Breitengrad. Und immerhin liegt das Nordkap mit 71°10’21“ näher am Nordpol als der nördlichste Punkt des amerikanischen Kontinents… Das bedeutet aber auch, dass in dieser Gegend die Sonne etwa Mitte November für Monate gar nicht mehr auftaucht, was die Vegetation und Tierwelt vor andere Herausforderungen stellt als im warmen Süden: die Blühzeit ist kürzer und verdichtet auf wenige Wochen im Frühsommer, dafür ist die Herbstfärbung der Blätter (vor allem Birken) ab Mitte September umso intensiver. Vor allem bei Tromsø fährt man durch ein Meer aus gelben Blättern, das im Sonnenuntergang wie Gold leuchtet. Voraussetzung für dieses Schauspiel der Laubfärbung, das in Nordamerika „Indian Summer“ genannt wird, ist allerdings, dass man gutes und klares Wetter hat – was gerade aufgrund der europäischen „Waschküche“ über Island keinesfalls gesichert ist. Dort bilden sich die bekannten Tiefs, die dann mit warmer und feuchter Luft beladen über Mitteleuropa ziehen. Für Nordnorwegen kann dies aber bedeuten, dass die Wetterlage wochenlang relativ stabil bleibt: entweder stürmisch, grau und nass – oder eben ruhig, trocken und vergleichsweise mild. Wir hatten Glück, dass nach wochenlangem Regen bis Mitte September die Sonne sich doch noch mal aufraffte und sich zwar müde nur wenig über dem Horizont, aber dennoch einsichtig zeigte. Farbenpracht am 71 Breitengrad Aufgrund der Temperaturen zwischen 5 und 15 Grad verzichteten wir weitgehend auf die Zelte, obwohl wir sie mitführten, und nahmen uns lieber die gerne angebotenen Hytta, kleine beheizbare Holzhütten auf dem Campingplatz, in denen fast ein wenig Alpenhüttenatmosphäre entsteht. Vor allem, wenn vier müde Radler nach 100 km über unzählige Auf- und Abfahrten entlang der Küste und quer über Halbinseln abends als erstes einen heißen Tee in sich hineinschütten. Nordkap Da es in diesen nördlichen Breiten außer den Fährverbindungen nur wenige Straßen gibt, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, war unsere Route darauf ausgelegt, zunächst per Rad von Tromsø zum Nordkap zu radeln, dann zurück über Skaidí nach Hammerfest und dort die Tandems auf die Fähre der Hurtigrouten zu stellen und nach Tromsø zurücktuckern zu lassen. Das wäre zeitlich auch ganz knapp hingekommen, wenn wir nicht wegen Knieüberlastung durch Kälte aus Plan B einen Plan B.2 hätten machen müssen. So sind wir ab Skaidí nicht Richtung Olderfjord östlich abgebogen, sondern direkt nach Hammerfest. Um trotzdem zum Nordkap zu kommen, haben wir uns den Snelandia-Bussen anvertraut, die beinahe täglich von Hammerfest oder Alta mit Zwischenstationen in Honningsvåg und Skaidí zum Nordkap fahren. Die Fahrt dorthin stellt sich aus dem Busfenster bereits so gespenstisch dar, dass es eigentlich vernünftiger ist, auf diesen Abschnitt mit dem Rad zu verzichten: man vermeidet mit dem Bus nämlich das Radfahren durch den „Nordkapp-Tunnel“.1 Statt die psychische und körperliche Grenze weit hinter uns zu lassen, genehmigten wir uns die „eingesparten“ Tage in Hammerfest mit Wanderungen über die Hügel, deren Vegetation sich von Tag zu Tag mehr auf monatelange Schneebedeckung einstellte. Und nachmittags ein Cappuccino statt eiskalter Böen ist ja auch viel entspannter… Fazit Nordnorwegen um diese Jahreszeit mit dem Fahrrad ist ein anstrengendes Erlebnis, für das man sehr viel Wetterglück braucht. Dann aber wird man auch mit dem belohnt, was in dieser Jahreszeit am schönsten ist: Polarlichtern. Polarlicht (Nordlicht, Aurora borealis) über Hammerfest Komoot Die meisten Tunnel in Norwegen sind für Nichtmotorisierte gesperrt – aus gutem Grund. Manchmal lässt es sich jedoch nicht vermeiden. Beispielsweise darf man als Radler auch den Nordkapp-Tunnel benutzen, was aber ein sehr zweifelhaftes Vergnügen ist, denn in einem kilometerlangen halbdunklen und engen Tunnel als langsamer Radfahrer von brüllenden Lastwagenmotoren verfolgt zu werden, ist etwas, das man nur jemandem wünscht, den man abgrundtief hasst – also meistens nicht sich selbst. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Radreise CampingNorwegenTandems
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