From Glen to Glen: Durch Irlands feuchte Mitte 25.06.201705.12.2021 Irland liegt nicht nur am Rand Europas, sondern auch direkt am Golfstrom im Atlantik. Was geografisch banal ist, aber für Radfahrer und Zelter eine Herausforderung: der Sommer ist nämlich nur eine kurze Regenpause. Wir wollten es trotzdem probieren. Mit Rädern, Zelt, Kocher, Schlafsack, Regenkleidern und selbstgestrickter Tourenplanung. Letztere haben wir aus einer Kombination aus Google Maps, Bikemap und der Gaia App für iOS zusammengestellt und dann auf das iPhone geladen.1 Zusätzlich würde dann das iPhone auf einer Halterung am Lenker befestigt und als Navi dienen, das vom Nabendynamo mit Strom versorgt wird. Außerdem würde meine Frau eine Lenkertasche mit integrierter Kartentasche dabei haben, in die man dann auch einen Reiseführer stecken kann. Soweit die Planung. Leider habe ich bei der Vorbereitung sowohl den Lenkertaschenhalter als auch den iPhone-Halter vergessen. Es geht aber auch ohne: Wir hatten ja noch die Karten, wenn auch nicht direkt greifbar. Aber ich schweife ab. Wir (zwei Erwachsene, zwei Jugendliche, vier Fahrradtaschen, zwei Rucksäcke, zwei Seesäcke und zwei große Koffer mit den beiden zerlegten Tandems) landeten in Dublin und wurden gleich von ordentlich Regen begrüßt. Es war ein Omen. Da wir allerdings erst noch einen Tag in Dublin verbringen wollten, um uns auf Irland einzustimmen und mehr über das Land zu erfahren, durchstreiften wir bei zunehmend besserem Wetter am Tag nach unserer Ankunft die Stadt südlich des Liffey. Aufgrund der Radkoffer – die man ja unterwegs nicht benötigt – hatten wir zwei Nächte in einem Hostel gebucht, das sehr zentral in der Nähe des Temple Bar liegt. Von dort aus war es daher nur ein kurzer Spaziergang zur vermutlich längsten Kneipenmeile der Welt (sorry Düsseldorf, aber das habt ihr nicht), was uns zur Vermutung veranlasste, dass Pubs einen wesentlichen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Landeskundliches Vorgeplänkel Aber es gibt natürlich noch mehr zu sehen: Allen voran die Bibliothek der Universität mit einer Dauerausstellung der ersten handschriftlichen Bibelübersetzungen und geistlicher Texte des frühen Mittelalters (beispielsweise das „Book of Kells“). Kultur- und Geschichtsinteressierte werden sich sicher erinnern, dass Europa im frühen Mittelalter von Irland aus christianisiert wurde. Nachdem Patrick („Saint Patrick“ ist der Schutzheilige Irlands) mehrere Klöster gegründet hatte unter dem Schutz der irischen Clans, zogen in den folgenden Jahrhunderten die Mönche aus Irland durch Europa, um die dortigen Machthaber zum Christentum zu überreden. Ihre Waffen waren neben den lateinischen Worten vor allem die Kenntnis des Schreibens, das die Fürsten beeindruckte. Nach dem Abzug der Römer gab es nämlich in weiten Teilen Europas östlich des Limes nur Wenige, die des Schreibens mächtig waren. Dies hatte auch für Könige und Fürsten erhebliche Konsequenzen, denn ohne Schrift lässt sich die Macht nicht lange behaupten. Vor allem nicht gegen die mächtigen Franken im Westen, die sich die Schriftkenntnis über das römische Erbe schon längst angeeignet hatten und damit in der Lage waren, auch ohne physische Anwesenheit ihr Reich zu verwalten. So gründeten irische Mönche (die oft mangels genauer geografischer Kenntnisse mit Schotten gleichgesetzt wurden) ein Netz aus Klöstern und Abteien, dem wir es zu verdanken haben, dass Europa im Mittelalter trotz ständiger Kriege nicht völlig in der Barbarei versank. Irland blieb von der kriegerischen Geschichte Europas allerdings nicht verschont, denn als die Normannen unter William in der Schlacht von Hastings 1066 auf dem englischen Kontinent Fuß gefasst hatten, begannen sie mit ihrer überlegenen Waffentechnik auch Irland zu besetzen und eine fremde, französische Kultur einzuführen. Außerdem bauten sie ihre quadratischen Burgen auf Motten (Erdhügeln), verboten die Heirat zwischen Iren und Normannen und trennten in den aufkommenden Städten deutlich die einheimische von der kolonialen Bevölkerung. Dennoch sollte der fremdkulturelle Einfluss eine bedeutende Bereicherung der irischen Gesellschaft darstellen, die so mit europäischer Kunst und Kultur in Verbindung blieb. Nun aber zur Reise Nach dem Tag in Dublin begann auch unsere Fahrt mit gutem Vorzeichen: es war bewölkt, aber trocken, als wir uns mit vollbepackten Rädern aus Dublin nach Süden hin orientierten. Das erste Ziel war Rathdrum in einer geschätzten Entfernung von 75 km. Wir kamen nicht an. Dass es schon am ersten Tag nicht reichte, lag zum einen daran, dass der Zusammenbau der Tandems recht lange dauerte, aber vor allem, dass Irland entgegen der netten Fotos in diesem Teil der Insel recht hügelig ist und wir die doch anspruchsvollen Steigungen (von der Küste zum 500m hohen Great Sugarloaf mountain) mit einsetzendem Nieselregen und vollen Rädern bewältigen mussten. Das hält auf. So kamen wir bis zum Abend nur nach Glendalough, wo wir eigentlich am frühen Nachmittag sein wollten. Glücklicherweise gab es dort ein Hostel, denn der Regen hatte nicht mehr aufgehört und wir waren bis auf die Haut durchnässt, trotz Regenkleidung. Glendalough Glendalough besteht eigentlich aus nicht viel mehr als einer weitläufigen Klosterruine in einem Tal mit zwei Seen (daher der Name „Glen-da-lough“), auf dessen Erhebung zwischen den beiden Seen im sechsten Jahrhundert eine Einsiedelei entstand, die im Verlauf des Mittelalters auf die beachtliche Größe von 1000 Mönchen anwuchs. Wenn man bedenkt, dass in etwa zur gleichen Zeit in Konstantinopel, dem Zentrum des osrömischen Reichs, die Kirche der heiligen Sophia (Hagia Sophia) gebaut wurde, und trotzdem von hier aus das Abendland christianisiert wurde (nämlich irisch-katholisch, nicht griechisch-othodox), wird die enorme kulturelle Rückständigkeit dieses Kontinents doch sehr deutlich. Nach Kilkenny über Bagenalstown Da wir sowieso schon hinter unserer Streckenplanung zurücklagen, erkundeten wir am nächsten Tag erst noch die gesamte Anlage zu Fuß, bevor wir uns wieder auf die Räder schwangen.2 Bei nachlassendem Regen und zunehmender Trockenheit erreichten wir am Abend aus den Hügeln kommend das Örtchen Bagenalstown. Dort gibt es keinen Zeltplatz und auch kein Hostel (wer hier vorbeikommt, strebt keine Übernachtung an, sondern die Flucht), so dass wir auf B&B ausweichen mussten im einzigen Hotel am Ort, dass allerdings ein Stückchen außerhalb in Leighlinbridge am Ufer des Barrow liegt. Am nächsten Morgen ging es dann nach einem sehr luxuriösen Frühstücksbuffet weiter nach Kilkenny, wo wir am späten Vormittag eintrafen. Kilkenny gilt als eine der schönsten Städte Irlands. Das kann ich allerdings nur eingeschränkt bestätigen, denn wer einen romantischen Stadtkern wie Regensburg (dessen Bedeutung Kilkenny zeitweise hatte) oder Rothenburg ob der Tauber erwartet, wird bitter enttäuscht: Durch den mittelalterlichen Stadtkern, der fast unzerstört die Jahrhunderte überlebt hat, rauscht der Verkehr und die Fassaden sind bunt, aber wenig geschichtsbewusst übermalt. Die Stadt macht den Eindruck, als ob man einerseits gerne mehr Touristen hätte, aber andererseits auch die Kehrseite der Industrialisierung zeigen möchte. Wir wanderten vom Schloss, an dessen Fuß wir die Rädern angebunden hatten, durch die alte Zentralachse der Stadt hinüber zur Kathedrale im irischen Stadtteil. Trotz der zahlreichen Umbauten und planerischen Veränderungen lässt sich am Stadtbild immer noch der Alltag der Stadtbewohner in der frühen Neuzeit (Beginn des 17. Jahrhunderts) erkennen, die Kilkenny zu einem wohlhabenden Umschlagplatz an der Kreuzung wichtiger Handelsrouten Irlands gemacht haben. Richtung Atlantik über Cashel Aber der Tag war noch nicht zu Ende. Denn unser nächstes Ziel war Cashel und der berühmte Felsen – wieder ein geschichtsträchtiger Ort, denn dieser war bereits in keltischer Zeit ein Heiligtum. Dies mag auch der Grund gewesen sein, warum St. Patrick sich den unzugänglichen und strategisch günstig gelegenen Felsen übereignen ließ, um darauf ein Kloster zu bauen und einen Bischofssitz daraus zu machen. Wir erreichten Cashel am Abend – wieder völlig durchnässt vom nachmittags einsetzenden Regen und konnten damit auch dort nicht die Zelte aufbauen, sondern mussten uns in ein Hostel flüchten, dessen Zustand weit unterhalb europäischer Maßstäbe liegt. Noch nicht einmal die Heizung funktionierte, so dass es auch kein heißes Wasser gab… Der folgende Morgen war wieder trocken, so dass es nach dem Einkaufen (für die Verpfegung unterwegs) hinauf zum Felsen ging, der über der Stadt thront. Der Ort Cashel ist beschaulich und eigentlich touristischer als Kilkenny, denn seit der Schließung der Klosteranlagen in der Mitte des 18. Jahrhunderts ist hier nicht mehr viel passiert3. Nach der Besichtigung des berühmten Felsens, der wirklich sehenswert ist, war unser nächstes Ziel Bunratty, jenseits von Limerick am Ufer des Shannon. Bunratty Da Irland im Westen weitaus flacher ist als der Osten, erreichten wir tatsächlich am Abend auch Bunratty bei Trockenheit und packten also zum ersten Mal die Zelte aus. Leider begann es dann in der Nacht zu regnen … Trotzdem war es sehr angenehm, diesmal nach dem vergammelten Hostel in Cashel in den eigenen Schlafsäcken zu schlafen. Auch kamen wir am Abend noch mit zwei neuseeländischen Campern ins Gespräch, mit denen wir über die innereuropäischen Ereignisse diskutierten, die aus dem Blickwinkel der Neuseeländer völlig anders aussehen. Es ist ja ein durchaus gewünschter Nebeneffekt eine Radreise, nicht nur langsamer voran zu kommen, sondern auch mehr Zeit für Gespräche und Kontakte zu haben. Unsere Zelte mussten wir dann morgens nass einpacken (was bedeutete, dass die folgende Nacht wieder kein Zelten möglich war, da die Sachen trocknen mussten). Aber auch wenn es feuchtete, was der Himmel hergab (Petrus muss eine extreme Blasenschwäche haben), rollten wir morgens vom Zeltplatz hinüber zur Burg Bunratty, die sehr liebevoll für den Tourismus hergerichtet wurde. Neben der Burg, ein recht unansehnlicher aber beindruckender Steinkasten, wurde eine Art Freilichtmuseum eingerichtet, das einen Einblick in die Lebensumstände der „normalen“ Bevölkerung des 19. Jahrhunderts in Irland bietet. Dazu hat man aus den unterschiedlichsten Landesteilen der Westküste Irlands die kleinen Häuschen der Landarbeiter und Fischerkaten abgebaut und hier originalgetreu wieder aufgestellt – einschließlich der Gärtchen, über die die Bewohner ein geringes Maß an Selbstversorgung erreichten. Beim Blick auf diese Unterkünfte wird auch schnell klar, welch verheerende Folgen die große Hungersnot 1845 – 1852 auf die Gesellschaft hatte: eine Bevölkerung am Rande der Existenzsicherung, geknebelt und unterdrückt durch Großgrundbesitzer, erlebt eine Reihe von Missernten durch nasse Sommer und Schädlingsbefall. Es gibt keine Reserven, Seuchen und Krankheiten breiten sich aus und Millionen Menschen verlassen das Land Richtung USA. Menschen, die das Land hätten aufbauen können, wandern aus. Und die Großgrundbesitzer, die englischen Lords? Sie ziehen wie ein Schwarm Wanderheuschrecken weiter, um das nächste Land auszuplündern… Boxenstopp in Ennis Nach Bunratty wollten wir die westlichen Hügel überqueren und an der Westküste eine Unterkunft suchen. Allerdings goss es den ganzen Tag so, dass wir in Ennis ernsthafte Überlegungen anstellten, die Reise komplett zu ändern, da es wenig Sinn ergibt, stundenlang durch strömenden Regen zu radeln, nur um am Abend durchfroren und durchnässt die nächste Herberge aufzusuchen. Kaum hatten wir das beschlossen und waren wieder auf die Räder gestiegen, um den Plan umzusetzen, bemerkten wir, dass der Reifen meines Hinterrads komplett abgefahren war und zu platzen drohte. Die Gummierung war aufgerissen und der Schlauch wurde nur noch vom Gewebe gehalten.4 An eine Weiterfahrt war nicht zu denken, außerdem war Sonntag. Daher übernachteten wir in Ennis, um am kommenden Morgen bei einem Radhändler Ersatz zu besorgen. Das Hostel in Ennis ist nicht nur gut ausgebaut und liegt sehr zentral, Ennis ist sogar eine Stadt, die man als durchaus hübsch bezeichnen kann (zumindest die Altstadt) und die über einen gewissen irischen Charme verfügt. Da wir allerdings bereits mit unseren Reiseplänen ziemlich ins Hintertreffen geraten waren – immerhin mussten wir ja auch den Rückflug erwischen -, verzichteten wir auf eine Stadtbesichtigung und fuhren mit neuem Reifen Richtung Atlantik: die Cliffs of Moher warteten. Westküste Allein, das Wetter blieb wechselhaft, euphemistisch gesprochen: es wechselte zwischen nassgrau und trockengrau. Während trockenes Wetter bei 16 °C nicht unangenehm beim Radfahren ist, schlägt der Regen auf Dauer doch aufs Gemüt, da er die Aussicht vermiest und man schnell auskühlt. Wir fuhren teilweise mit Fleece und Regenjacke – eine Kombination, die ich in Deutschland nur im Januar benötige – nur um auf dem nächsten Hügel schweißgebadet den Fleece wieder auszuziehen, bei der Abfahrt abzukühlen und unten im Tal zu frieren. Die Vorstellung, dass die einheimische Bevölkerung vor der Erfindung der Zentralheizung und der Automobile diesen klimatischen Bedingungen nur mit Torffeuer und Whiskey getrotzt hat, lässt erahnen, wie zäh dieser Menschenschlag ist. Mittags waren wir an den Cliffs of Moher, einem der berühmtesten Postkartenmotive Irlands und des touristisch wohl am besten erschlossenen Punkt in der ansonsten immer kargeren Landschaft. Zu den Cliffs fährt der Tourist per Überlandbus in einer organiserten Fahrt ab Dublin in einem Tag und schaut sich dabei vielleicht noch zwei oder drei Sehenswürdigkeiten an. Wir waren eine knappe Woche unterwegs gewesen… Die Cliffs of Moher sind spektakulär, aber nach einem kurzen Spaziergang entlang der Steilküste eigentlich auch schnell langweilig. Wer die schottische Westküste kennt, kann sich das Gemisch aus Wind, Seeluft, Regentropfen und Möwengeschrei ganz gut vorstellen. Interessanter ist da der Burren, die Karstlandschaft im Norden der Cliffs, die sich über viele Kilometer entlang der Küste erstreckt. Die charakteristische Oberfläche muss man sich wie einen ausgetrockneten Meeresboden vorstellen, der in schrundige Platten zerrissen ist, die von knietiefen Rillen durchzogen sind. Und in der Tat ist der Fels ein Überbleibsel geschichteter Korallenriffe aus einer Zeit, als Irland als Insel langsam nordwärts an Afrika vorbeidriftete und sich in Äquatornähe große Riffe aufbauten, die seitdem über Millionen Jahren wieder von Wind und Regen abgetragen werden. Zwischen den Platten haben sich Pflanzen festgesetzt, die mit dem widrigen Wetter gut zurechtkommen, und bei Sonnenschein die Landschaft fast anheimelnd aussehen lassen. Bei grauem Wetter allerdings eignet sich die Landschaft eher als Kulisse in Filmen, die eine seelische Zerrissenheit der Protagonisten vermitteln wollen. Bei Ballyvaughan endet das Naturschauspiel, das uns mit den schlechten Straßen und den nicht besonders guten Autofahrern versöhnte (in Irland wird auf engen und kaputten Straßen mit viel zu hoher Geschwindigkeit gefahren). Und hier machten wir auch Rast für die Nacht. Über Athenry nach Clonmacnoise Ab hier ging es zurück nach Osten. Die Mitte Irlands am Shannon aufwärts ist landschaftlich nicht besonders reizvoll – außer man kann sich an kleinen überwucherten Steinmauern und Hecken dicht an der Straße nicht sattsehen. Es gibt keine Aussichtspunkte, keine Raststellen und kaum offizielle Sehenswürdigkeiten, die zum Verweilen einladen. Hier fahren die Reisebusse nur durch. Was eigentlich schade ist, denn es gäbe theoretisch viele alte Ruinen zu entdecken: verfallene normannische Burgen und Klöster sind überall im Land zu sehen. Meist führt aber nicht einmal ein Trampelpfad dorthin, geschweige denn ein Schild klärt über die Geschichte des Orts auf. Nur sehr selten fanden wir auf dieser Strecke (wie fast überall in Irland) Punkte, die den Besucher über ihre Geschichte aufklären. Fast schien es uns so, als sei sie den Iren peinlich. Die folgende Nacht allerdings zelteten wir wieder – und diesmal richtig: mitten unter den Schafen. Kurz vor Ballinasloe fanden wir einen Hinweis auf einen Zeltplatz abseits der Straßen, dem wir folgten und bald vor einem Bauernhof standen, dessen Besitzer uns erst die Wiese zeige und den Donnerbalken5, und danach mit uns bei ein paar Tassen Tee und Toast in der Küche über Gott und die Welt plauderte. Hier erfuhren wir auch viel über die wirtschaftliche Lage der Bauern in Irland, ihre Nöte und ihre Hoffnungen. Gespräche dieser Art empfinde ich immer als besonders, da sie den eigenen Horizont erweitern. Anderer Menschen Ansichten und Schlussfolgerungen lassen sich leichter nachvollziehen, wenn man die Welt mit ihren Augen sieht. Da es auch am nächsten Morgen nicht regnete, gelang uns zum ersten Mal das Kunststück, mit trockenem Zelt weiterzufahren – nach Clonmacnoise. Entlang des Shannon und mit Rückenwind waren wir recht flott unterwegs, so dass wir mittags in Clonmacnoise waren und damit genügend Zeit, die ganze, doch recht überschaubere Anlage zu besichtigen. Die Anlage ist sehr gepflegt, auch wenn in inmitten einer fast leeren Landschaft liegt. Dass sich hier im Frühmittelalter wichtige Handelsrouten kreuzten, die bis nach Konstantinopel führten, ist heute nicht mehr erkennbar. Und es käme auch heute kein Wikinger mehr auf die Idee, hier etwas zu plündern – er würde vermutlich den Ort nicht einmal finden. Umso erstaunlicher ist es, dass dies über Jahrhunderte ein geistiger und kultureller Mittelpunkt war, dessen Bewohner gearbeitet, gegessen, gelacht, geweint und gearbeitet haben, Kinder zeugten und Menschen erschlugen, beteten und von weiten Reisen erzählten. Heute stehen ein paar Steine mehr oder weniger schief aufeinander, keltische Kreuze säumen den Friedhof und überall stolpert man über Grabsteine. Ansonsten führen emsige Reisführer ihre Schäflein von einer Ruine zur nächsten („Dies hier stellte die Kreuzigung dar, auch wenn man es nicht mehr erkennen kann!“) und im Café nebenan wird Eis verkauft. – Wie wird es mit unseren zivilisatorischen Errungenschaften in 1000 Jahren aussehen? Wenn dies übrigbleibt – welchen Stellenwert hat dann ein neues Auto oder eine teurere Kücheneinrichtung? Nun, das muss jeder selbst beantworten. Wir fuhren weiter nach Tullamore. Tullamore und der ganze Rest Bis Tullamore zieht es sich schier endlos an verlassenen oder von Schafen bevölkerten Wiesen und den überall versprengten Häusern entlang. In Tullamore stand wieder ein B&B auf dem Programm, da es in dieser Gegend kaum Tourismus und daher auch nur wenige Zeltplätze gibt. Falls doch, sind sie möglichst weit weg von der spärlichen Zivilisation und dadurch mit dem Rad extrem umständlich zu erreichen. Tullamore ist nicht ohne Grund nur für Whiskey bekannt, besitzt aber eine weitere, für Radfahrer wichtige Eigenschaft: Durch die Stadt verläuft der Grand Canal, eine Wasserstraße aus dem 18. Jahrhundert, die Irland in der Mitte durchschneidet und den Shannon im Westen mit Dublin im Osten verbindet. An diesem Kanal entlang – so wurde uns bei der Abfahrt in Dublin gesagt – könne man ohne große Mühe bis in die Stadt hinein gelangen. Außerdem sei er für Fahrräder ausgebaut. Während die erste Aussage korrekt ist, ist die zweite nicht ganz korrekt: auch wenn der Kanal im Osten beginnt und duch Tullamore führt, kann man zwar seinem Verlauf in groben Zügen folgen, aber ausgebaut ist er erst als solcher für Fahrräder hinter Lucan Bridge kurz vor Dublin. Davor gibt es kleine Trampel- und Treidelpfade, die aber nicht für Fahrräder geeignet sind. Angeblich sei man allerdings im Rahmen der touristischen Erschließung Irlands auch dabei, die Reichweite des Radnetzes zu erhöhen. Und der Grand Canal kann dabei eine wichtige Rolle spielen, denn seine 52 Schleusen stellen eher für Schiffe als für Radler ein Hindernis dar. Ausgebaut besäße er eine zentrale Funktion wie der Donauradweg oder Rheinradweg. Das ist allerdings noch in weiter Ferne, denn die Voraussetzungen für eine flächendeckende touristische Infrastruktur bestehen noch gar nicht. So ist es eine nette kleine Strecke, die kurz vor Dublin beginnt und frei von Autoverkehr immer am Wasser entlang führt. Für bepackte Räder ist sie jedoch eher ärgerlich, denn die zahlreichen Durchfahrtsperren verlangen ein Drüberheben oder Abpacken, was das Vergnügen doch arg schmälert. Aber vielleicht bekommt man das in Irland ja noch in den Griff. Die Unabhängigkeit von England hat auch lange gedauert… Für Interessierte Diese Tour ist in dieser Form nicht sehr zu empfehlen. Besser ist es, nur den Westen oder den Osten Irlands zu befahren – am besten, wenn es nicht so viel regnet. Dann allerdings hat Radfahren in Irland einen eigenen – herben – Charme. Sláinte! Und zum Abschluss eine Diashow mit Musik: Der Vorteil dieser Kombination ist die Offline-Verfügbarkeit des Kartenmaterials einschließlich der Route. Siehe auch Rennradtouren planen. ↩Der Vorteil eines Hostels ist, dass man nicht noch Zeit damit verbringt, die Zelte zusammenzubauen und das Gepäck zu verstauen. Allerdings kostet diese Bequemlichkeit ein Mehrfaches des Zeltplatzes. ↩Der anglikanische Bischof ließ das Dach der Kathedrale entfernen. Dadurch wurde die Anlage unbenutzbar und verfiel. Eine ähnliche Taktik verfolgen auch andere religiöse Gruppierungen, die durch die Zerstörung wichtiger religiöser und geschichtlicher Stätten den Einheimischen die Identifikation rauben wollen. ↩Irische Straßen gehören mit zu den schlechtesten, die Europa zu bieten hat: zahlreiche Löcher, vor allem in den Innenkurven, notdürftig geflickt und mit einer sehr rauen Asphaltierung zugekleistert, setzen sie jedem Reifen extrem zu. Nach nur einer Woche Irland ist ein Reifen etwa so abgefahren wie nach einem halben Jahr in Deutschland – man muss mit bis zu zehnfach höherem Verschleiß rechnen. ↩Genau: kein Strom, kein warmes Wasser, keine Toilettenspülung – einfach tierisch irisch. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailBlueskyMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Radreise unterwegs IrlandRadfahrenTandem
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