Römer, Radler, Renaissance: Haute Provence 18.01.201328.09.2023 Hier nun der zweite Teil unserer Fahrradtour durch Südfrankreich. Im ersten Teil waren wir von Avignon aus gen Süden und dann westlich des Rhônedeltas wieder zurück über Pont du Gard nach Avignon gefahren. Dieses allerdings bei der Rückkehr umgehend nutzten wir die folgenden Tage für einen Abstecher in die Haute Provence: auf dem Speiseplan stand Sénanque und Fontaine-de-Vaucluse. Im Gegensatz zu den riesigen Weiten der Camargue bedeutete dies aber auch ein paar hübsche Steigungen, denn die Haute Provence trägt ihren Namen durchaus zu Recht. Pernes-les-Fontaines Als wir an Avignon nördlich vorbei radelten, war es noch früher Nachmittag, und wir hatten noch einen weiten Weg durch die östlichen Gebiete hinter Avignon vor uns. Das Etappenziel lautete Perne-les-Fontaines. Um dorthin zu gelangen, mussten wir nach der nördlichen Umrundung von Avignon in östlicher Richtung weiterfahren über Saint-Saturnin-lès-Avignon, was aus Avignon kommend eine kleine Hügelüberquerung darstellte. In einer mediterranen Gegend wie Südfrankreich sind Hügel oder Anhöhen eine zweischneidige Angelegenheit: Auf der einen Seite bedeutet es immer eine größere und meist auch schweißtreibende Anstrengung, in der Mittagshitze oder im nachmittäglichen Glutofen eine längere Zeit mit Gepäck aufwärts zu fahren. Auf der anderen Seite jedoch führt der Anstieg immer auch aus den sumpfig-feuchtwarmen Niederungen heraus in angenehmere Klimazonen. Man atmet freier, selbst wenn es nur um 500 Höhenmeter geht. Das wussten natürlich auch die Menschen im früheren Zeiten, weshalb schon die Römer ihre Sommerresidenzen nicht wie auch noch der heutige Pöbel an den Strand, sondern in die Berge verlegt hatten. Ob Sizilien, Apulien oder die Lombardei: in der Hitze am Strand kann man sich nicht erholen, sondern nur das Hirn verbrutzeln lassen. Und auch die Menschen im Mittelalter verlegten ihre Kurorte und Klöster in die Sommerfrische der Berge. Da macht auch die Provence keine Ausnahme, denn eine Tour durch die Haute Provence ist nicht nur eine Fahrt durch klimatisch angenehmere Zonen, sondern auch in die Reste der mittelalterlichen Besiedlungen. Pernes-les-Fontaines, Ausgangspunkt für Radler in die Haute Provence In Saint-Saturnin-lès-Avignon tranken wir nur kurz einen Kaffee, dann ging es weiter nach Perne, wo wir vor Sonnenuntergang ankommen wollten, da auf der Karte zwar ein Campingplatz angegeben war, wir aber aus Erfahrung wussten, dass dies immer nur ungefähre Angaben sind. Wir fanden ihn auch – natürlich auf der anderen Seite des Ortes – und versprachen den Kindern leider etwas zu viel, als wir in Aussicht stellten, ob der langen Tour diesmal in eine Pizzeria zu gehen statt den Kocher anzuwerfen (schließlich war es ja schon spät, als wir ankamen). Alleine: es gibt nichts in Perne. So schön der kleine mittelalterliche Ort auch ist mit seinem trutzigen Stadttor und den alten Straßen und Brunnen am Hang eines Hügels, wir fanden dort kein Etablissement, das nach einer Pizzeria aussah. So also kehrten wir mit leerem Magen zum Campingplatz zurück, der nördlich des Sportzentrums am östlichen Ortsrand liegt, und kochten im Schein der Taschenlampe unser bescheidenes Mahl. Sénanque Mont Ventoux Eigentlich ist der „Berg der Winde“ kein schöner Berg und daher auch für Genussradler kein wirklicher Anziehungspunkt. Im Gegenteil, der größte Teil des Anstiegs ist eine elende Schinderei vorbei an baumlosen Schotterhängen, wobei im oberen Teil noch heftige Winde dazu kommen, die dank der exponierten Lage aus allen Himmelsrichtungen kommen können. Gerade jedoch diese Vegetations- und Trostlosigkeit und der damit verbundene Anspruch an das Durchhaltevermögen machen für einen Rennradfahrer den Reiz aus. Auch wenn man den Anstieg nicht mit 30 km/h hochjagt wie die mit Adrenalin und sonstigen Substanzen vollgepumpten Berufs-Rennradler, stellt das Erreichen des Gipfels ein Sieg des Willens über den eigenen inneren Schweinehund dar. Allerdings ist diese Tour nicht ungefährlich und erfordert eine schier unmenschliche Kondition und damit viel Erfahrung und Vorbereitung. Zunächst begann der folgende Morgen noch recht angenehm, obwohl wir nun den Anstieg in die Haute Provençe vor uns hatten. Bis Mittag wollten wir in Sénanque sein, was auf der Radkarte zwar einigermaßen nah aussah, aufgrund aber der arg kurvigen Strecke und der Höhenprofile ein paar knackige Anstiege versprach. Und in der Tat wurde die Straße immer steiler. Unterwegs kamen uns im Laufe desVormittags emsige Rennradler entgegen, die die frühen Morgenstunden zu einem kleinen Ausflug in die Berge verwendet hatten. Die Räder kann man problemlos in Perne mieten, wenn es den ambitionierten Sportler nach ein paar schönen bis anstrengenden Steigungen gelüstet. Dabei reicht das Spektrum von langen Ritten durch die Haute Provençe bis hin zum Mont Ventoux (siehe rechts). Pernes’ Radtourismus lebt eigentlich vom Mont Ventoux, dessen kahle Hänge wir auf unserem Weg nach oben allerdings links liegen ließen. Denn schon unsere Strecke nach Sénanque war für unsere vollgepackte Tandems anspruchsvoll. Immerhin saßen ja nicht zwei Erwachsene auf jedem Drahtesel. Die wenig befahrenen Routen zwängen sich allmählich in immer engeren Kurven in die Berge. Irgendwann kurz vor dem Gipfel stehen die Felsen dann so eng, dass man mit dem Rad in der Mitte der Straße fahren muss, um bei der Kurvenneigung nicht anzuschrammen. Eine wilde und weitgehend unbewohnte Gegend, die in einem Hochplateau endet, dem Ziel der Radler. Ab hier drehen die Sportlichen wieder um und jagen die Schluchten hinab, die sie gerade erklommen haben. Wir allerdings fuhren weiter und auf der anderen Seite zum Kloster ins Tal der Sénanque. Sénanque. Im Hintergrund der Hügel, den wir hinauffuhren. Im Vordergrund Lavendel Das Kloster lag früher sehr abgeschieden in einem kleinen Tal, das nach Süden offen ist und den Mönchen seit dem Mittelalter ein bescheidenes Auskommen bot. Heute ist Sénanque ein Ausflugsziel: die Abtei mit Kloster ist renoviert, die Lavendelfelder, die während der Blüte einen betäubenden Duft verbreiten müssen, sind wohlbestellt. Da das Kloster wieder bewohnt ist, hat der interessierte Besucher nach der Besichtigung der Außenanlagen nur noch die Möglichkeit zur Einkehr. Die übrigen Gebäude sind ihm bis auf wenige Ausnahmen verschlossen. Wir hatten allerdings unglaubliches Glück, denn ein Fernsehteam hatte gerade eine Übertragung aus der Kirche beendet und war damit beschäftigt, die zahlreichen Kabel abzuräumen, die man für die Technik benötigt hatte. So stand die Tür offen und ein Mönch erlaubte uns großzügig, einen Blick ins Innere der Kirche zu werfen, bevor er die Türen wieder schloss. Abwärts nach Fontaine-de-Vaucluse Was wir auf der Karte nicht bemerkt hatten: hinter Sénanque gen Süden gibt es keine offizielle Straße. Die schmale asphaltierte Verbindungsstrecke aus dem Tal heraus ist aus nahe liegenden Gründen – eine Einbahnstraße. So hätten wir als korrekte Deutsche natürlich auf der offiziellen Routenführung die drei Kilometer bis zum Gipfel wieder zurück fahren müssen, um dann die andere Abzweigung nach Süden nehmen zu können. Was für Autofahrer gut und auch richtig sein mag, ließen wir aber nicht für uns gelten: wir fuhren die Einbahnstraße in entgegengesetzter Richtung den Hügel hinauf, schließlich waren wir in Frankreich. Erstaunlicherweise kam uns auch nur ein kleines Auto entgegen, dessen Fahrer uns Geisterfahrer jedoch gar nicht erbost anstarrte, sondern auch noch Platz machte. Frankreich. Oberhalb des Tals wurde die Straße dann doch wieder in beide Richtungen befahrbar. Und zwar abwärts, so dass wir es locker rollen lassen konnten. Vorbei an den traditionellen Behausungen der Schäfer, den Bories, die aus kunstvoll aufeinander geschichteten Steinen bestehen. Dorthin konnten sich die Schäfer flüchten, wenn es draußen in Strömen goss und sich an einem kleinen Feuer wärmen. Und wie stark es gießen kann, erfuhren wir dann noch am selben Abend… Zunächst aber machten wir eine Kaffeepause in Gordes. Wir kamen an dem malerisch gelegenen Ort vorbei und bemerkten eigentlich erst auf dem mittelalterlichen Marktplatz, das der Ort seine Existenz ausschließlich den Touristenströmen verdankt, die hier täglich in Bussen hinaufgekarrt werden. Und je mehr Touristen kommen, desto höher steigen die Preise. Unser Fazit: man kann einen kleinen Abstecher nach Gordes machen, aber kaufen sollte man dort nichts, denn der Euro schien dort nichts mehr wert zu sein. Die Pest Der „schwarze Tod“ war im Mittelalter eine der gefürchtetsten Epidemien, die in mehreren Wellen durch Mitteleuropa schwappte und ganze Landstriche entvölkerte. Übertragen wird die Pest durch Flöhe, die auf Ratten als Wirtstiere leben. Und Ratten gab es in den Städten viele. Enge Bebauung, kein sauberes Trinkwasser, keine Hygiene: die Kombination dieser Zustände sorgten vor allem in den Städten im Mittelalter für geradezu ideale Verhältnisse – aus Sicht der Bakterien. Darüber hinaus trugen die infizierten Bewohner durch Handel und Verkehr zur Verbreitung bei. Da man über den eigentlichen Grund für die epidemische Verbreitung nicht Bescheid wusste, zog man in der Haute Provençe eine „mur de peste“ quer durch die Landschaft, um die Mobilität der Bewohner einzuschränken. Ein sinnloses Unterfangen, denn die Ratten kletterten nachts ungehindert über die Mauer. Andererseits profitierte gerade die Provençe vom schwarzen Tod, denn in Unkenntnis der eigentlichen Ursachen vertrauten die Bewohner auf die heilenden Kräfte der Kräuter und des Gebets. Ersteres sorgte für einen vermehrten Anbau und Handel mit mediterranen Kräutern (die man in die so genannte „Pestnase“ steckte). – Vielleicht ist es ein Witz der Geschichte, dass das, was heutzutage als wohlschmeckende Kräutermischung aus der südfranzösischen Küche nicht mehr wegzudenken ist, eigentlich eine Maßnahme gegen die Pest war… Aber auch die Kirche profitierte davon, denn nach dem vorzeitigen Ableben zahlreicher Landbesitzer und Adliger übernahm die Kirche großen Grundbesitz gegen eine himmlische Fürsprache. Aber wir hatten ja Ferien, also genehmigten wir uns einen kleinen Rundgang entlang der alten Stadtmauer unter der engen mittelalterlichen Bebauung hindurch. Das pittoreske Stadtbild führte uns wieder vor Augen, wie eng im Mittelalter in Europa Reichtum und Verelendung beieinander lagen: Zwar machte Stadtluft frei von der Leibeigenschaft, andererseits konnten die hygienischen Verhältnisse in den engen Städten in kürzester Zeit die Bewohner durch Epidemien wie die Pest (siehe auch rechts) fast komplett ausrotten. Gerade in Südfrankreich wütete die Pest ganz besonders, denn das Einfallstor nach Europa waren die völlig verdreckten Hafenstädte von Genua und Marseille. In einer rasenden Abfahrt fuhren wir nach der kurzen Besichtigung dann hinunter ins Tal, um uns unten westwärts nach Fontaine-de-Vaucluse durchzuschlagen, dem Ziel unserer Etappe. Riesige Obstbaumplantagen säumten dabei den Weg und die Kirschbäume bogen sich unter der saftigen Last. Am Wegrand standen mehr als einmal kleine Verkaufsstände, von denen wir nicht genau wussten, ob die Kirschen, die dort angeboten wurden, auch wirklich mit Erlaubnis vom Baum geholt worden waren. Allmählich jedoch zog der Himmel zu und als wir in das enge Tal der Sorgue hinabrollten, war von der Sonne nichts mehr zu sehen. Fontaine-de-Vaucluse an den Quellen der Sorgue liegt malerisch eingebettet in einem Canyon, an dessen Felsränder man beiderseits einer kleinen Brücke die Häuser förmlich an die Felsen geklebt hat. Am Ende des Canyons, den man nur zu Fuß erreichen kann, öffnet sich das Tal und gibt einen malerischen Blick auf den klaren Fluss frei, der von zahlreichen Quellen gespeist wird, die erstaunliche Wassermengen freisetzen. Daher wurden sie schon sehr früh eingefasst und von Wassermühlen zur Papierherstellung genutzt. Davon kündet auch ein Museum, das wir am folgenden Tag besichtigten. Vorher aber wurden wir Zeugen einer Sintflut. Wir hatten kaum die Zelte aufgestellt und beschlossen, uns zur Feier des Tages eine Mahlzeit in einem der örtlichen Lokalitäten zu gönnen, als es zu tröpfeln begann. Innerhalb weniger Minuten wurde aus dem Tröpfeln jedoch ein tropischer Sturzbach, der vom Himmel fiel. Mir sind subtropische Unwetter im afrikanischen Busch durchaus vertraut, aber in dem engen Tal strömte das Wasser von allen Seiten herein wie in einen Trichter. Minuten nach Beginn der Dusche (und das kommt dem Guss sehr nahe) begann die Sorgue zu steigen. In etwa zehn Minuten war sie um einen halben Meter angeschwollen und donnerte nun über die kleinen Wehre der ehemaligen Mühlbäche. Die Straßen selbst standen knöcheltief unter Wasser, was aber die Besucher nicht daran hinderte, in den offenen Cafés den verzweifelten Passanten zuzusehen, denen das Wasser aus den Hosenbeinen rann. Für die Kinder war es jedenfalls ein Schauspiel. Zurück nach Avignon Die Zelte hatten den Guss jedenfalls klaglos überstanden, wie wir bei unserer Rückkehr auf den Campingplatz feststellten. So verbrachten wir eine trockene und wohlige Nacht in dem guten Gefühl, dass es sich auszahlen kann, beim Zeltkauf nicht zu knausern. Der Morgen nach dem Guss war jedenfalls vom Feinsten: als ob der Regen den Himmel blankgeputzt hätte, strahlte uns die Sonne geradezu unverschämt an und wir machten auch redlich Gebrauch davon: ein kleiner Spaziergang an der Sorgue, dann ein größerer Spaziergang hinauf zu den Quellen der Sorgue. Die Quellen der Sorgue Im strahlenden Blau des Himmels glitzerte das Wasser und schäumte gar einladend, worauf wir allerdings angesichts der niedrigen Wassertemperaturen und der fortgeschrittenen Tageszeit verzichten mussten, denn es stand noch die Rückfahrt nach Avignon auf dem Programm. Und so rissen wir die Kinder fort vom Ziegenfüttern und schwangen uns wieder auf die Räder, um westwärts nach Avignon zurück zu fahren. Leider ist die Tour nach Avignon wesentlich unspektakulärer als die Hinfahrt, denn die Besiedlungsdichte steigt schnell an, sobald man draußen und in der Ebene unterwegs ist – und damit nimmt auch der Autoverkehr zu. In Avignon hatten wir noch in dem kleinen Hotel unsere Fahrradkoffer abgestellt, die ich noch am gleichen Tag wieder mit den zerlegten Rädern füllen musste, denn die Abfahrt am nächsten Morgen war recht früh, und das Zerlegen eines Tandems dauert gut und gerne eine Stunde. Und während die Kinder und meine Frau noch einen Stadtbummel machten, war auch das im Handumdrehen erledigt und die Hände schwarz. Der Rückfahrt stand nun nichts mehr im Weg außer dem unangenehmen Gefühl, dass der Urlaub wieder vorbei war … Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailBlueskyMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Radreise unterwegs dcdcdcFrankreichRadreiseTandem
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