Monumente 12.11.201721.11.2017 Und nun zu etwas völlig anderem: die Monumente der Menschheit. Na ja, etwas kleiner darf es dann doch sein. – Ein Essay über Gebäudeanlagen und das, was sie über das Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Umwelt aussagen. Erwarten Sie jetzt bitte keine wissenschaftliche Abhandlung. Es ist vielmehr ein Gedankensplitter, eine Assoziation, als ich mal wieder Bilder des „UFOs“ sah, der neuen Zentrale des Apple-Konzerns. Es ist ein beeindruckender Bau: Eine architektonische Meisterleistung, die über die technischen Fähigkeiten der Gegenwart und ihre Möglichkeiten ebenso viel aussagt wie über das Selbstverständnis seiner Besitzer, einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu können.1 Im Gegensatz zu einem Sakralbau wie beispielsweise dem Petersdom oder den ägyptischen Pyramiden ist es jedoch „nur“ der Firmensitz eines aktuell wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmens. Und doch gibt es Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Art und Weise, wie in den Gebäuden ein gewisses Verhältnis zwischen dem Menschen (der Gesellschaft) und seiner Umwelt zum Ausdruck kommt. Gebäude sind mehr als nur überdachte Orte, an denen sich Menschen treffen, um eine Gemeinsamkeit zu erleben – ob Beten oder Arbeiten ist hier nebensächlich. Beginnen wir mit dem größten Bau der Christenheit im Mittelalter, der Hagia Sophia in Byzanz (Istanbul). Die Kirche der „Heiligen Sofia“ um 1857, seit 1453 eine Moschee Mit dem Zerfall des römischen Reichs in ein zunehmend zerbröselndes Westrom, in dem sich ein Papst als Marionette der weltlichen Kaiser im Vatikan versteckt hielt, endete nicht die Kultur. Im Gegenteil, sie wurde in Konstantinopel zu neuer Blüte geführt. Dort entstand unter christlichen Kaisern das erste europäisch-orientalische Reich, dessen Macht bis weit nach Afrika, Asien und Russland reichte. Man handelte mit Indien und China, mit Ägypten und Äthiopien, unterhielt Kontakte zu Marokko und den Mauren, übersetzte aus dem Hebräischen ins Griechische und Lateinische, kaufte Bernstein aus der Ostsee und verkaufte Waren bis nach Irland. Als von Irland aus die ersten Mönche versuchten, Westeuropa zu missionieren, hatten im byzantinischen Reich bereits Kirchenkonsile stattgefunden (auch Nikolaus stammte aus dem byzantinischen Reich). Kurz: Byzanz hatte das Erbe des römischen Reichs übernommen, wirtschaftlicher und kultureller Dreh- und Angelpunkt Europas zu sein. Daraus folgte fast schon zwingend, dies auch deutlich zu zeigen: mit der Hagia Sophia, der Kirche der Heiligen Sofie, baute man im 6. Jahrhundert einen Kuppelbau, der in der gesamten europäischen Welt (und für die meisten ungebildeten Europäer war das die ganze Welt) über Jahrhunderte das größte Bauwerk war. Und er verfehlt auch heute noch seine Wirkung nicht, da selbst die osmanischen Herrscher darauf achteten, zwar die christlichen Symbole zu übermalen, aber nicht den Bau selbst zu verändern.2 Vor allem vom Meer kommend, wirkt die ehemalige Kathedrale als ein steinernes Machtsymbol, das vor allem die Herrschaft des Kaisers (Justinian) über ganze Erdteile und seine Bewohner symbolisierte. Der Bau sollte ehrfurchtsgebietend sein, er war das Ergebnis einer Kultur, die darauf beruhte zu unterwerfen und zu beherrschen – wirtschaftlich und militärisch. Die Kuppel der Hagia Sophia bleibt mit 32 Meter Spannweite bis zum heutigen Tage die größte über nur vier Tragepunkten errichtete Kuppel der Architekturgeschichte und gilt mit der gigantischen Umsetzung und ihrer besonderen Harmonie und Proportionen als eines der bedeutendsten Gebäude aller Zeiten. (Wikipedia) Ökonomisierung und 1400 Jahre später Nach 1400 Jahren, dem Untergang des byzantinischen Reichs, dem militärischen und wirtschaftlichen Aufschwung Westeuropas (das von der Eroberung Konstantinopels 1453 erheblich profitiert hatte) und zahllosen Kriegen haben sich auch die Machtzentren verlagert. Nicht mehr ein gottgewählter Kaiser herrscht unumschränkt über seine Untertanen mit Hilfe einer mehr oder weniger korrupten (aber gut organisierten) Bürokratie, sondern in den meisten der reichen und mächtigen Ländern der Welt wählen die Bürger ihre Regierungen selbst. Macht bedeutet nicht mehr, andere unter Androhung von Gewalt zu etwas zu zwingen, sondern ihre Entscheidungen zu beeinflussen (vgl. Michel Foucault, „Überwachen und Strafen“). Dazu benutzt man nicht mehr straff geführte Organisationen mit klaren Hierarchien, in denen die Vorsitzenden wie in einer militärischen Befehlskette die Anordnungen nach unten durchgeben und darauf achten, dass sie exakt nachvollzogen werden, sondern man setzt auf dezentrale, rhizom-artige Netzwerke und versucht diese mit Hilfe von Kommunikationsstrukturen zu beeinflussen. Damit alle Beteiligten davon profitieren und sich das System dadurch selbst erhält (im Gegensatz zur personengebundenen Alleinherrschaft), beruht es auf der Annahme des Gebens und Nehmens, des Nutzens und des Austauschs. War es in der zurückliegenden Industrialisierung noch notwendig, alle Teilnehmer zu kontrollieren3, können heutige Machtzentren auf subtilere Mechanismen zurückgreifen: wir sind vernetzt. Vor dem iPhone sind alle gleich. Heutige Machtzentren benötigen keine physische Manifestation mehr, die gleichzeitig allen Anderen demonstriert, dass sie zwar von der Kommunikation und dem Austausch profitieren, aber nicht darüber bestimmen. Heutigen Machtzentren genügt eine „leere Mitte“, wie sie bereits zur Frühzeit des Christentums in Form des Baptisteriums symbolisiert wurde: Es gibt keine Mitte, kein Kopf- oder Fußende, an denen der Ranghöchste oder ‑niedrigste Platz nehmen muss. Macht wurde bisher in einer pyramidenförmigen Struktur ausgeübt: der Chef (oder seltener die Chefin) befanden sich am Ende eines Ganges, auf dem höchsten Sitzplatz im Raum, an der Spitze eines Gebäudes oder auf der höchsten Erhebung in der Landschaft.4 Mit der Vernetzung hat sich das geändert: der Chef (oder die Chefin) kann überall sein, seine Entscheidungen und sein Einfluss sind unabhängig davon, ob er auf dem Klo twittert oder vom Heimtrainer aus E‑Mails schreibt. Für heutige Machtzentren ist nicht mehr wichtig, wer „oben“ und wer „unten“ ist, sondern wie effizient die Kommunikation verläuft, wie oft und wozu man aus seinem eigenen Raum herausgenommen wird, um durch Interaktion und nicht durch einsame Entscheidungen zu Ergebnissen zu kommen. Dies wird auch durch die Architektur zum Ausdruck gebracht: das „UFO“, der neue Firmensitz der Firma Apple Computer, ist keine Monumentalarchitektur wie die Hagia Sophia, sondern ein flacher Ring kaum höher als die Bäume, die darum gepflanzt wurden. Das Hauptmerkmal ist nicht Stein und Mauern, sondern Glas. Macht manifestiert sich nicht mehr in bombastischen Großbauten, die die Umwelt möglichst klein aussehen lassen sollen, sondern in Gebäuden, die sich ressourcenschonend an die Landschaft anpassen und gerade durch dieses Understatement ihre Möglichkeiten demonstrieren. Sollte diese Architektur ein Hinweis auf die Richtung der gesellschaftlichen Veränderungen sein, so stehen wir wieder vor erheblichen Umwälzungen. Quellen der beiden Bilder des Apple-Campus: https://qzprod.files.wordpress.com/2017/09/apple-campus-2-apple-park-steve-jobs-theater.jpg?quality=80&strip=all&w=2318 BusinessInsider Der berühmten „Delle“ im Universum. ↩Man baute stattdessen 1000 Jahre später kaum 500 Meter entfernt die prächtige Sultan-Ahmed-Moschee, die aufgrund ihrer blauen Fayencen auch „Blaue Moschee“ genannt wird. ↩Foucault zitiert die Gefängnisbauten als Beispiel für das „Panoptikum“, aber öffentliche Gebäude wie Schulen aus der vorletzten Jahrhundertwende tun es auch. ↩Kann man sich das Weiße Haus als Tiefgarage vorstellen? Der Entscheidungsbefugnis täte es keinen Abbruch, wohl aber der Symbolik… ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Gesellschaft thinkware AppleArbeitsweltIstanbul
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