Die Steigeisen des Informationsarchitekts, Teil 1 17.02.201801.03.2018 Industrie 4.0 klingt ganz toll und öffnet die Schatullen der Marketingabteilungen, sie lässt sich gut in der Öffentlichkeit verkaufen und tröstet viele Verantwortliche in Verwaltung und Politik über schlechte Umfrageergebnisse hinweg. Aber auch hier wird nie so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Auch in der Dokumentation klafft oft noch eine riesige Lücke zwischen dem, was informationstechnisch möglich und erforderlich ist, und dem, was traditionell in den Schreibstuben zusammengestellt wird. Eine der größten Herausforderungen hat weniger mit der Technik oder dem Inhalt zu tun, sondern mit der Struktur der Informationen. Der Anspruch an die „smarte“ Technik, bei der Geräte sich selbst konfigurieren und miteinander kommunizieren können, setzt auch eine Vernetzung der Informationen im Umgang mit dem Gerät voraus. Auch der Benutzer relativ simpler Haushaltsgeräte kommt da schnell an seine Grenzen: Wenn meine Kaffeemaschine selbstständig Kaffee nachbestellen kann, muss ich auch das Netzwerk dafür vorbereiten und beim Lieferservice ein Konto einrichten, damit er weiß, an wen die Bohnen geschickt werden sollen und wer sie bezahlt. Als Konsument habe ich damit zwar mehr Einfluss auf den gesamten Prozess – muss aber auch über mehr Fertigkeiten verfügen als bloß aus dem nächsten Elektrodiscounter mit einem Karton unter den Arm heraus zu spazieren. Diese Vernetzung der Technik verlangt auch nach einer Vernetzung der Informationen für den Anwender, denn Haushaltsgeräte sind nur die Spitze des Eisbergs dessen, was im industriellen Alltag stattfindet. Auftritt: der Technikredakteur Die vielgeschundene Spezies des Technikredakteurs ist derzeit nicht nur extrem nachgefragt, sondern auch extrem gefordert, da die Benutzerinformationen, für die er zuständig ist, den Geräteinformationen folgen: sie vernetzen sich. Dafür muss er sie vorbereiten. Und wie dies bei Informationen unterschiedlicher Geräte zu erwarten ist, folgen sie nicht alle dem gleichen Schema: was und wie das in den Informationen erscheint, das nach außen gegeben wird, hängt vom Gerät, dem Unternehmen und nicht zuletzt auch vom Produktverantwortlichen ab. Glücklicherweise sind nur noch wenige Verantwortliche der Überzeugung, dass sie keine Informationen herausrücken müssen, damit sich der Redakteur jedes Häppchen selbst beschafft.1 Viele Produktverantwortliche sehen im Gegenteil die Option, den Technikredakteur dazu zu einzusetzen, ihr Produkt in einem guten Licht erscheinen zu lassen – die Doku muss „nach etwas aussehen“. Das ist allerdings nur der halbe Weg, denn auch in der Dokumentation gilt: „Form follows function“. Die Qualität der Dokumentation bemisst sich nicht an ihrem Aussehen, sondern an ihrem Inhalt – und da vor allem an der Struktur. Ein klares Gliederungskonzept und eine konsistente Struktur erleichtert nicht nur dem Leser das Verständnis (die Service-Adresse auf Seite 168 findet niemand) – sie macht auch den Technikredakteur produktiver und effizienter. Denn – ohne als Nestbeschmutzer gelten zu wollen – auf der Ebene der Gliederung und Struktur sind sich Dokumentationen oft viel ähnlicher als es der jeweilige Produktverantwortliche sieht, der ja einen vertikalen Blick auf die Produktionsprozesse hat. Für den Technikredakteur ist eine Dokumentation „gezähmte“ Information, strukturiertes und aufbereitetes Wissen, das ein Ziel verfolgt: den Benutzer in die Lage zu versetzen, auch komplexe und zunehmend vernetzte Produkte Fehler- und unfallfrei zu bedienen. Ob Kaffeemaschine oder Anlage zum Aufschäumen der Rahmen für Dämmverglasung – die Maschinen denken nicht selbstständig, sondern benötigen einen Menschen, der das übernimmt und dafür in die Lage versetzt werden muss. Dafür braucht er in einer komplexen Wirklichkeit an der Schwelle zum digitalen Informationszeitalter strukturierte Unterstützung.2 Der Einstieg Noch vor wenigen Jahren bestand für den Technikredakteur die meiste Arbeit darin, durch das Unternehmen zu wandern und alle am Prozess Beteiligten zu interviewen: ein Block und einen Stift unter dem Arm warf er (oder sie) einen Blick auf das Produkt, stellte abhängig von seiner Produktkenntnis mehr oder weniger intelligente Fragen, die ihm in den Abteilungen mehr oder weniger zuverlässig beantwortet wurden, er setzte sich am Ende der Tour dann an seinen Schreibtisch und versuchte die Mitschriften und Skizzen in eine verwertbare Form zu bringen. Meist half ihm dabei, wenn er bereits auf vorhandene Unterlagen (Handbücher) zurückgreifen konnte, um sich daran zu orientieren und stellenweise die bereits erarbeiteten Abschnitte zu übernehmen. Vor Urzeiten ging das per „Copy & Paste“, später mit Hilfe von Textbausteinen, die losgelöst vom Dokument wie vormontierte Bauteile beliebig verwendet werden können. Strukturell schrieb man jedoch einfach genauso weiter, wie es die vorhandene Dokumentation vorgab: linear, weil die Quelle ja noch aus einer Zeit stammte, als „Cloud“ eher ein Wetterphänomen war und „Internet“ so etwas wie eine Telefonvermittlung. Der Aufbau orientierte sich an den „Lebensphasen“ der Anlage: Transport zum Kunden, Aufstellen, Einschalten, Bedienen, Ausschalten, Reparieren und Reinigen, Wegwerfen Entsorgen. Kaffeemaschine oder Flugzeugtriebwerk – alles das Gleiche. Das wird zunehmend schwieriger, denn die Rahmenbedingungen haben sich geändert: Bauteile können mit einer Vielzahl von Maschinen kombiniert werden, Maschinen werden nicht wie bei Ford in Detroit in einer langen Kette produziert, sondern aus standardisierten Bauteilen zusammengestellt – oft direkt erst am Einsatzort. Die Maschinen sind häufig offene Systeme, über deren Verwendung der Kunde entscheiden will und muss, um beispielsweise in der Lage zu sein, auf veränderte Nachfrage schnell reagieren zu können.3 Dazu wird bei den Maschinen eine hohe Anschlussfähigkeit vorausgesetzt, die der Hersteller kaum noch überblicken kann. Und der Technikredakteur natürlich auch nicht. Um hier Schritt halten zu können, genügt es nicht mehr wie noch im letzten Jahrtausend auf die alten Unterlagen aufzusetzen und sich an deren Struktur zu orientieren – das Ergebnis wäre konzeptionell bereits veraltet, bevor es das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Der Technikredakteur ist gefordert, nicht mehr als Sprachrohr des Produktverantwortlichen und der Prozessbeteiligten alles in einen Container (die Dokumentation) zu packen und ein hübsches Schleifchen drumzubinden, er muss die „User Experience“ (Benutzererfahrung) als Richtschnur nutzen: welche Ansprüche hat der Benutzer an das Produkt und die Dokumentation, welche Hürden gilt es zu überwinden? Wer sich als frischgebackener Kaffeemaschinenbesitzer mit den Tücken der dynamischen Adressvergabe seines heimischen Routers und der Anbindung an die Cloud einschließlich der Verwaltung sicherer Passwörter mit 2‑Faktor-Authentifizierung auseinandersetzen muss, obwohl er doch nur einen Latte trinken wollte, aber der Maschine vor dem Einschalten und der Programmwahl erst eine aktuelle Firmware verpassen soll, bekommt einen Einblick in die Herausforderungen moderner Haushaltsgeräte. Der Redakteur, der die Anleitung für die Kaffeemaschine schreiben soll, ist nicht zu beneiden… Aber es gibt keinen Grund zu verzagen, im Gegenteil. Auch zum Gehen mit Steigeisen benötigt man nämlich neben einer guten Kondition auch die richtige Technik. Dazu mehr im zweiten Teil. Bildquelle: Gletschertor des Nigarsbreen in Norwegen (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/54/Nigardsbreen_mit_Gletschertor_%28Sept._2002%29_-_panoramio.jpg) Diese Einstellung hat sich als sehr kostenintensiv herausgestellt, denn Technikredakteure sind nicht nur selten, sondern auch vergleichsweise teuer – wenn man sie nur zum Zusammenkopieren und Abtippen benutzt, geht viel Zeit ins Land. Und Zeit ist Geld. ↩Im Gegensatz zu früheren Generationen können wir unsere Maschinen und Fahrzeuge oft nicht mehr selbst reparieren – selbst für den Austausch einer Scheinwerferleuchte muss man mittlerweile in die Werkstatt fahren. Nicht, weil der Vorgang an sich so umständlich ist, sondern weil daran mittlerweile ein digitales Bordsystem hängt. Dies betrifft zunehmend mehr Bereiche des Alltags in den so genannten „entwickelten“ Gesellschaften. ↩Gerade der deutsche mittelständische Maschinenbau rühmt sich der Kenntnisse und der Flexibilität, nicht nur zeitnah auf Kundenwünsche reagieren zu können, sondern auch seine Produkte so auszulegen, dass sie dazu in der Lage sind. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … redaktion tools GliederungiOSOutlinerstruktur
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