Wenn das Dorf zur Stadt wird: Dokumentation und Globalisierung 24.02.201826.08.2019 Politik verhält sich oft antizyklisch: wenn die Wirtschaft Geld braucht, spart der Staat. Wenn der Staat Geld benötigt, senkt er die Steuern. Und wenn die Globalisierung in vollem Gang ist, richtet er eine „Heimatministerium“ ein. Für den Bürger erscheint das widersinnig – und das ist es oft auch, denn damit gibt der eigentlich Handelnde (der Staat als Gemeinschaft aller Bürger) sein Heft aus der Hand: er beginnt, den Ereignissen und Entwicklungen hinterherzurennen, statt sie zu gestalten und zu beeinflussen1. Dann wird Agieren zu Re-Agieren und blinder Aktionismus entsteht dort, wo eigentlich vorausschauendes Denken und Handeln sein sollte. Eigenartigerweise gilt dies aber nicht nur im Makrokosmos der Politik, sondern auch im Mikrokosmos der Technischen Dokumentation. Beispiel? Je ähnlicher und auch benutzerfreundlicher die Güter werden, desto mehr wird auf das Layout und die Farben der Dokumentation geachtet. Je schnelllebiger die Produkte werden2, desto mehr und hektischer versuchen die Marketingverantwortlichen, jedem Produkt und manchmal auch dem ganzen Unternehmen eine eigene „Lebensgeschichte“ und Tradition zu verpassen. – Und das am besten auf Papier, während die Nutzer längst an ihren Smartphones kleben. An dieser Stelle kommt dann auch der Technikredakteur ins Spiel: Er soll ein „frisches“ Layout entwerfen für ein Produkt, das die Konkurrenz fast baugleich herstellt.3 Nun ist Layout nicht unbedingt die Stärke des Technikredakteurs. Er kann Informationen verarbeiten und strukturieren, aber nicht präsentieren. Das ist auch nicht schlimm. (Hand aufs Herz, Kollegen: Können Sie zehn unterschiedliche Groteskschriften nennen? Verwenden Sie Farbbibliotheken bei Grafiken oder ist das nur ungefähr rot/blau/schwarz oder grün?). Unglücklicherweise jedoch eröffnet dies den Beteiligten in den Marketingabteilungen ein weites Spielfeld, auf dem sie dem Redakteur, der nur zuschaut, auch mal etwas zuwerfen, mit dem er sich beschäftigen soll. Er erhält von den Verkaufsprofis nämlich nur Vorgaben und Vorlagen, die zunächst für den Vertrieb gedacht waren, nicht für Datenblätter und Wartungsanleitungen. Zwei Bitten Liebe Marketingabteilung: tun Sie es nicht. Ihre Stärken liegen in der Emotionalisierung der „Message“. Der Genickreißer des Messestands oder die Extravaganz der Bannerwerbung: die Sofortwirkung ist Ihr Thema. Damit kann der Technikredakteur nicht viel anfangen. Liebe Technikredakteure: Kümmern Sie sich um Ihre Stärken. Ihre Informationen müssen zahlreiche Produktversionen und ‑varianten überleben. Ihre Prozesse müssen skalierbar sein und für viele Nutzergruppen verständlich sein. Es käme in der Marketingabteilung keiner auf die Idee, den gleichen Messestand auf zehn jährlichen Messen nacheinander zu verwenden. Umgekehrt schreiben Technikredakteure nicht für einen Kunden oder ein Produkt.4 Herausforderungen Allerdings heißt dies für den Technikredakteur oft auch, den ganzen Prozess im Blick zu haben: von der Erfassung der Informationen über ihre Präsentation in Form einer Dokumentation (das muss keineswegs Papier sein, ein Wiki tut es auch) bis hin zur Übersetzung und ihrer Nachbearbeitung. Denn was in einer Sprache noch funktioniert, kann nach der Übersetzung zu zeitaufwändigen Nacharbeiten (und damit Fehlern) führen: Die verwendete Schrift sieht in allen westeuropäischen Sprachen gut aus, es gibt sie aber nicht für kyrillische Schrift. Folge: für die russische Übersetzung muss eine andere Schrift her – einschließlich aller verwendeten Absatz- und Zeichenformate. Textbausteine und Variable sind sprachabhängig bzw. abhängig vom Vertriebsraum. Folge: die Übersetzung ins Spanische ist super, aber das Produkt heißt in Brasilien anders… Die Lauflänge des Textes kann sehr unterschiedlich sein. Folgen: die Tabellenüberschriften passen in der englischen Fassung noch auf eine Zeile, aber nicht im Französischen. Die Tabelle bricht um auf eine folgende Seite oder passt nicht mehr auf den Bildschirm. Das kann im Druck bedeuten, dass die Tabelle umbricht und den ganzen Inhalt (z.B. Grafik) verschiebt. Oder dass die Tabelle nicht auf den Bildschirm passt und horizontales Scrollen erfordert. Die Grafiken sind nicht sprachneutral. OK. Das darf nun wirklich nicht passieren. In der Quellsprache werden Sonderzeichen verwendet (z.B. Halbgeviert, um einen Zeichenabstand zwischen Wort und Ziffer zu erhalten), die aber in der Übersetzung ignoriert werden. Folge: alle Seiten der übersetzten Dokumentationen müssen kontrolliert und korrigiert werden – manuell. Wichtig ist daher für den Technikredakteur, der den ganzen Prozess betreut und auch verantwortet, dass er diese Überlegungen schon frühzeitig in den gesamten Dokumentationsprozess einbezieht. Also bereits vor der Verarbeitung der Informationen die möglichen Stolpersteine ganz hinten im Prozess in die Planung einbezieht. Denn selbst wenn er die Dokumente nicht mehr sieht, nachdem sie zur Übersetzung gegangen sind: er muss den Prozess verantworten. Und zwar über mehrere Zyklen hinweg. Fazit Auch die Darstellung der Technischen Dokumentation ist keine Spielwiese für Grußkartenformatierer. Das gehört zum Aufgabenbereich des Technikredakteurs. Er muss sich darum kümmern, wie seine gesammelten und strukturierten Informationen präsentiert werden. In allen Sprachen. Es hilft meist nicht, sich an die Marketingabteilung zu wenden (auch wenn die oft den besten Kaffee haben), da die Anforderungen an eine Dokumentation sehr unterschiedlich sind. Es hilft aber sehr, sich allgemein mit den unterschiedlichen Präsentationsformen zu beschäftigen und ihren Vor- und Nachteilen weit jenseits kurzfristiger Absatz- oder Modezyklen. Und dann gibt es meist auch Kollegen, die schon mal die eine oder andere Erfahrung gemacht haben. Von anderen zu lernen, ist ja keine Sünde… Das Bild oben zeigt einen Ausschnitt aus einem Diorama von Kilkenny (Irland) im Mittelalter. Im Bild oben die Stadt der reichen normannischen Bürger, außerhalb der Stadtmauern die Siedlung der irischen Bevölkerung. Wer Flugbenzin subventioniert, muss sich nicht über steigenden Fluglärm wundern. ↩Nicht im Sinne der Haltbarkeit, sondern im Sinne der Produktverbesserung: Noch während Produktreihe 1.0 auf den Markt kommt, werden die Prototypen von Reihe 2.0 getestet. Der Käufer hat kaum Zeit, sich über den Nutzen – und auch den ROI – von 1.0 Gedanken zu machen, schon soll er die „grundlegend überarbeitete“ Version 2.0 erstehen. Das wird dann „disruptiv“ genannt. ↩Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wäre es vermutlich sinnvoller, sich als Hersteller mit Alleinstellungsmerkmalen zu behaupten: besserem Service beispielsweise… ↩Falls Letzteres doch gefragt sein sollte, sind zumindest die Inhalte nicht neu, sondern zu 99% wiederverwendet. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailBlueskyMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … redaktion GlobalisierungLayoutProjektplanungTechnische Dokumentation
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