Voll-Tech und Halb-National 28.07.201803.11.2018 Deutschland sei ein internationaler Wirtschafts- und Industriestandort von Rang, heißt es. Hier siedeln sich nicht nur große multinationale Konzerne an, wir beglücken auch die Welt mit Ingenieurskunst „Made in Germany“. Ach, wirklich? Beglücken? Auf dem Papier zumindest ist das korrekt: die Statistik zeigt, dass Deutschland nicht nur die EU, sondern auch das außer-europäische Ausland mit Produkten beglückt. Dazu zählt neben den politisch einflussreichen Branchen wie dem Automobilbau vor allem der Mittelstand und Unternehmen, die global agieren und vor allem mit der Qualität hiesiger Produkte werben. Wir verdienen unser Geld nicht damit, möglichst billig Massenware herzustellen, unsere Landschaften mit Agrarprodukten zu ruinieren oder Menschen auf der Suche nach Bodenschätzen unter die Erde zu bringen – hier entsteht Hightech. (So ganz stimmt das nicht, denn auch wenn hier viel Hightech produziert wird, ruinieren wir trotzdem unsere Landschaften mit Agrarindustrie.) Spannend ist aber die Frage, was sich denn eigentlich hinter der Globalisierung in den Unternehmen verbirgt: Wie global ist die Globalisierung hier eigentlich – sowohl hinsichtlich des internationalen Handels als auch der Unternehmensstrategie? – Und das sieht es doch nicht mehr ganz so toll aus. Picken wir uns mal zwei Aspekte heraus: Produkte und Menschen. Produkte Ein unschuldiger Kaffee in Deutschland kann eine ganz lange Geschichte erzählen. Es ist ja beileibe nicht so, dass alles, was von Deutschland aus in die Welt verkauft (exportiert) wird, auch in Deutschland hergestellt wird. Im Gegenteil: zahlreiche Produkte enthalten Vorprodukte (z.B. Bauteile), die importiert werden, um sie hier zu ergänzen. Daher berechnet die OECD den internationalen Handel nicht mehr als reines Handelsgeschäft (Wert der exportierten Waren minus den Wert der exportierten Waren), sondern als Wertschöpfungskette: Wie viel eigene, nationale Wertschöpfung enthalten die Exporte verschiedener Länder, welchen Nutzen ziehen sie also aus ihren Exporten?1 Im Gegensatz zur „klassischen“ Berechnung zeigt sich bei dieser Methode, dass auch so genannte Schwellenländer durch die indirekte Beteiligung an deutschen Exportgütern, die durchschnittlich 25% ausländische Wertschöpfung enthalten, stark von diesem Handel profitieren. Die Globalisierung führt also tatsächlich dazu, dass mehr „Märkte“ (nationale Wirtschaftssysteme) am Waren- und Dienstleistungsaustausch profitieren können, wenn sie am globalen Handel beteiligt werden – und nicht nur die großen Industrienationen. Wir haben es mit einem zunehmend globalisierten Austausch von Waren und Dienstleistungen und vor allem Zwischenprodukten zu tun: polnische Speditionen, die tschechische Schrauben nach Frankreich transportieren, wo mit Hilfe italienischer Programmierer und ungarischer Monteure deutsche Motoren zusammengesetzt werden, die dann per spanischem Frachter nach China gebracht werden, um dort Produkte herzustellen, die über die Niederlande nach Deutschland gebracht werden, um sie in den deutschen Maschinen zu verwenden, die in Belgien von bulgarischen Fachkräften zu Anlagen zusammenzubauen, mit denen die Schrauben dann in Tschechien aus ukrainischem Stahl gefertigt werden. Krass? Normal! Jedes beteiligte Unternehmen, ob Spediteur oder Softwareschmiede, jeder beteiligte Mitarbeiter, ob Monteur oder Ingenieur, verdient an dieser Wertschöpfung. Und die Fertigungshallen in Deutschland sind voll mit solchen Produkten. An Smartphones, die in China gefertigt werden und ein amerikanisches Betriebssystem besitzen, haben wir uns alle gewöhnt. Auch an die Tatsache, dass wir höchstens noch bei Obst auf das Herkunftsland schauen. Aber dass wir an diesem Wirtschaftssystem nur einen Bruchteil der Länder und Menschen dieser Welt teilhaben lassen, das merken wir nicht mehr. Menschen Bei der Betrachtung der Wertschöpfungskette und dem Anteil einzelner Länder an einem Produkt wird das Ausmaß der Globalisierung deutlich, das in den industrialisierten Ländern (und denen, die zur Industrialisierung beitragen) zu einem geschichtlich ungeahnten Wohlstand geführt hat: jeder Bezieher selbst eines geringen Einkommens in Deutschland lebt länger und besser als 99% seiner Vorfahren vor noch 150 Jahren. Aber eben nur in den industrialisierten Ländern. Das sind die Länder, die – geschichtlich gesehen – im dauernden Kriegszustand untereinander lebend und um Herrschaftsansprüche in Europa kämpfend ihre Konfliktmentalität und Lebensvorstellung in alle Welt „exportiert“ haben. In Europa hat man erst die eigene Bevölkerung geknechtet und ausgebeutet2, um dann mit Hilfe militärischer Erfindungen das europäische Wirtschaftsmodell als Kolonialismus dem Rest der Welt aufzuzwingen. Denn es ist ja nicht so, dass Menschen auch in anderen Ländern mit ihren eigenen Systemen viele Jahrtausende gelebt hätten. Und jetzt exportieren wir unsere Produkte – und erwarten, dass andere sie auch kaufen. Denn nur so können wir leben. Parasitär. Kurz: Was wir als „Globalisierung“ bezeichnen, ist für andere „Wirtschaftsimperialismus“. Die reichen Länder handeln nämlich vornehmlich unter sich, während die armen Länder als Absatzmarkt gesehen werden, indem man ihnen gerade soviel zum Leben lässt, dass sie nicht migrieren sondern gerne unsere Produkte kaufen. Was aber ist mit den Menschen? Es ist bei aller moralisch berechtigten Empörung über das Ungleichgewicht3 durchaus richtig, dass auch international die Lebensqualität zunimmt, die Kindersterblichkeit abnimmt und das Lebensalter steigt. Ganz falsch kann es also nicht sein, wenn nicht nur Produkte ausgetauscht werden, sondern auch Systeme. Und einer muss halt den Hut aufhaben – seit 200 Jahren ist dies Europa und ein paar seiner angeschlossenen ehemaligen Kolonien. Aber nachhaltig ist das nicht. Weder für die Umwelt4 noch für die Menschheit. Kaffeebohnen trocknen in Tansania. Der Übeltäter ist eigentlich schnell ausgemacht: es sind wir Europäer und ihre Nachfahren in der Welt, die mit dem Verhalten von Wanderheuschrecken ganze Regionen verwüsten – um dann weiterzuziehen. Globalisierung ist keine Einbahnstraße Wir können es uns kaum vorstellen, aber es gibt global auch andere Lebensweisen, die möglicherweise weniger Konsum ermöglichen, aber auch weniger Belastung für die Menschen und den Planeten bedeuten. Lebensweisen, die wir – teilweise zu Recht – als Rückschritt bezeichnen, die aber weitaus länger überlebt haben als unsere Vorstellung von Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Erfahrungen aber nutzen wir nicht. Wir Europäer kleben an einem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, von dem wir behaupten, dass es jedem Wohlstand und Gesundheit bringt, obwohl wir sehen, dass dies noch nicht einmal für die Menschen umgesetzt wird, die hier leben – geschweige denn für die Menschen, deren Lebensgrundlage wir zerstört haben und die nun zu uns kommen. Ein erster Schritt wäre vielleicht, Globalisierung nicht nur als Einbahnstraße zu begreifen, sondern als ein Geben und Nehmen. Da stehen wir nämlich immer noch am Anfang. Deutsche Unternehmen, deren Muttergesellschaften aus Afrika, Südamerika sowie Australien und Ozeanien kommen, spielten bei den auslandskontrollierten Unternehmen insgesamt eine eher untergeordnete Rolle. Aus diesen Kontinenten wurden zusammen lediglich 319 Unternehmen in Deutschland kontrolliert, was einem Anteil an allen ausländisch kontrollierten Unternehmen von rund 1% entsprach.5 Quelle: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/STATmagazin/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen/2013_03/2013_03Handelsstroeme.html ↩Zwei Beispiele sind die „Great Famine“ in Irland um 1850 und die „Clearances“ der schottischen Highlands im 19. Jahrhundert, bei denen jeweils Millionen Menschen in den Hungertod oder die Migration getrieben wurden. ↩Darüber wird ja seit Jahrzehnten diskutiert – siehe Club of Rome – auch wieder eine europäische Einrichtung… ↩Am 1. August 2018 ist bereits „Earth Overshoot Day“, der Tag, ab dem wir Menschen mit unserem Verhalten (und Wirtschaften) diesen Planeten rechnerisch mehr Schaden zufügen als er Regenerationsfähigkeit besitzt. Das war im letzten Jahr noch der 2. August… ↩Quelle: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/UnternehmenHandwerk/Auslandsunternehmenseinheiten/Aktuell_.html ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Gesellschaft ArbeitsweltWirtschaft
Gesellschaft Monumente 12.11.201721.11.2017 Und nun zu etwas völlig anderem: die Monumente der Menschheit. Na ja, etwas kleiner darf… Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Read More
Gesellschaft Wir können uns das leisten 12.03.201716.04.2019 Vielleicht liegt es einfach daran, dass die Sonnenscheindauer zunimmt. Vielleicht auch einfach daran, dass ich… Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Read More
Todesfuge 27.01.202023.01.2022 Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abendswir trinken sie mittags und morgens wir trinken… Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Read More