
Vor Jahren hatte ich einen Beitrag zum Thema „Tiefe Zeit“ verfasst – ein Thema, das sich mit den menschheitsgeschichtlichen Prozessen befasst, die weit über das historisch Dokumentierte hinausgehen. Da mich das Thema seit vielen Jahren beschäftigt, greife ich es wieder auf.
Diesmal aber weniger im Hinblick auf große Entwicklungsbögen in der Vergangenheit, sondern mit Gedanken über große Entwicklungsbögen in der Zukunft. Dabei geht es bewusst nicht um vergleichsweise unbedeutende technologische Entwicklungen à la Science Fiction, sondern um einen Gedanken, der im Zuge der klimatischen Entwicklung immer stärker Form annimmt.
Bear with me.
Die Menschheit hat in den letzten 2 Millionen Jahren einen langen Weg hinter sich gebracht, sie ist ausgehend von Afrika über alle Teile des Globus gewandert. Dort hatte sie sich entwickeln können und überlebt, ohne dafür Unmengen an Ressourcen aufzuwenden. Dieser schonende Umgang mit Ressourcen war für das Überleben in Kaltzeiten und Dürreperioden ebenso überlebenswichtig wie die einzigartige Fähigkeit zur Kooperation. Nur die Kooperation sicherte die Beschaffung von Nahrung und den Schutz des Schlafplatzes und der Nachkommen. Kooperation war eng an Kommunikation gekoppelt, alleine schon um auch lange vor Erfindung einer Schrift mit Bildern und Zeichen und Sprache Informationen weiterzugeben.

Menschheitsgeschichtlich betrachtet war allerdings der allmähliche Übergang zur Sesshaftigkeit das wohl prägendste Ereignis: aus der Sesshaftigkeit leitet sich eine strenge gesellschaftliche Hierarchie ebenso ab wie beispielsweise die Erfindung der Schrift und des Geldes.1. Klimatisch gesehen fällt diese Sesshaftigkeit in eine Periode der Warmzeit, in der die globale Durchschnittstemperatur kaum schwankte. Dies wiederum begünstigte stetige Erträge durch Ackerbau und Viehzucht, sowie die Möglichkeit, Ressourcen zurückzulegen und mit ihnen Handel zu treiben. In diesen zurückliegenden knapp 10.000 Jahren fluktuierte das globale Klima kaum. Selbst lokale Zwischenerwärmungen oder -abkühlungen bewegten sich innerhalb eines engen Fensters, so dass die Tier- und Pflanzenwelt Zeit hatte, sich an diese Zustände anzupassen. Wir haben genug Getreide angebaut und geerntet, dass wir damit sogar Tiere füttern konnten, um sie zu essen – statt sie zu jagen und mit Glück zu erlegen. Wir leben in einem Zustand der Ressourcenfülle, der klimatischen „Goldilock-Zone“.
Diesen Zustand verlassen wir gerade. Und zwar so rasch, dass die natürlichen Anpassungsprozesse keine Zeit mehr haben. Evolution ist nicht schnell.
Was bedeutet das aus menschheitsgeschichtlicher Sicht? Wir wissen heute aus zahlreichen Forschungen und Messreihen, dass wir uns auf einen Zustand zubewegen, der zuletzt auf diesem Globus vor etwa 800.000 Jahren herrschte.2 Ein hoher CO2-Anteil sorgt für einen enormen Energiestau in der Atmosphäre. Auf diesen Energiestau ist die Natur aber nicht eingerichtet, mit der Folge, dass die ökologischen Netze in negative Rückkopplungsschleifen geraten und damit unsere Lebensgrundlagen kollabieren.
Auf diese Lebensgrundlagen gründet aber unsere Sesshaftigkeit. Nur wenn wir uns darauf verlassen können, dass in der Region, in der wir siedeln, auch in Zukunft genug Ressourcen zur Verfügung stehen, gibt es keinen Grund zur Migration. Nur wenn es auch etwas zu verteilen gibt, werden wir die Verteilung organisieren. Darauf gründet die Sesshaftigkeit, unsere Vorstellungen von Handel und Staatenbildung.
Wenn also Klimaforscher davor warnen, dass aufgrund des Klimawandels 2 Milliarden Menschen „auf der Flucht“ sein werden, ist das nur die Beschreibung des Beginns eines grundlegenden Zivilisationswandels, denn dies bedeutet, dass die Mehrzahl der Menschen noch sesshaft ist. Ein Klimawandel, der zu einer Klimakatastrophe wird (und es sieht alles danach aus), wird innerhalb der kommenden hundert Jahre auch die Sesshaftigkeit der übrigen Menschheit in Frage stellen.
Es könnte gut sein, dass wir bereits in wenigen Jahrzehnten uns selbst aus 9000 Jahre Zivilisationsgeschichte der Sesshaftigkeit herausgebrannt haben und wieder auf den menschheitsgeschichtlichen Normalzustand des Nomadisierens zurückfallen, in einen Zustand der beständigen Migration, in der nur Kooperation und Ressourcenschonung das Überleben ermöglichen.
Wir sollten schon mal die Zeltstangen bereitlegen…

Dazu haben sich bereits viele Historiker und Anthropologen ausgelassen, u.a. N. Harari, R. Bregmann oder D. Graeber. ↩
Damals erreichten die CO2-Konzentrationen einen ähnlich hohen Wert. Da die CO2-Konzentration aber einen direkten Einfluss auf die Strahlungsbilanz und damit Energieaufnahme der Landmassen und Ozeane hat, lässt sich eine globale Temperatur daraus ableiten. ↩