No Print Please! 15.04.200023.01.2022 Als Gutenberg die ersten wiederverwendbaren Lettern für seine Druckpresse entwarf, war für ihn der handschriftliche Schreibstil der Klöster der Maßstab. Möglichst nahe an den mühsam handkopierten Vorlagen sollte seine Bibel liegen, daher verwendete er für den Druck mehr als 250 verschiedene Lettern, um die passenden für den idealen Blocksatz parat zu haben. Der Buchversessene erkauft sich seinen Lesegenuss mit einem Verzicht auf schnelle Information. In den Bereichen jedoch, in denen der Leselustgewinn dicker Schmöker zugunsten übersichtlicher und schneller Information zurückweichen muss, steht der Benutzer vor der entscheidenden Frage: „Kann ich mir den Verlust an Anschaulichkeit und Information eigentlich noch leisten?“ Kommentar von Frau Werfel (Vielen Dank!): „Gutenberg hat außerdem nicht nur Bücher gedruckt, sondern mit den Ablassbriefen auch die ersten Formulare bzw. Vordrucke sowie Flugschriften und Kalender. Die Reduzierung aufs Buch ist falsch. Gutenberg ist schlicht der Erfinder des Textdrucks mit seriell hergestellten, wiederverwendbaren Drucktypen.“ Kurz darauf erfanden venezianische und französische Typographen die sogenannten „Antiqua“, indem sie den gekünstelten und unleserlichen gotischen Schriften den Geist des Humanismus einhauchten. Die gedruckten Werke sollten nicht mehr den repräsentativen Klosterstil nachahmen, sondern in erster Linie lesbar sein. Zunehmend wurde man sich der Wirkung der Schrift bewusst: Sie vermittelt Information und Emotion – oder sie versperrt sie, denn was unleserlich ist, wird nicht wahrgenommen. Mit der Verbreitung der Schrift und der gedruckten Texte fand auch eine erhebliche Verbesserung der Drucktechniken statt, die es erlaubten, dass auch feinere und feinste Details des Schriftbildes dargestellt werden konnten. Immer mehr unterschiedliche Schriften entstanden, die den unterschiedlichen Ansprüchen genügen sollten: reine Information, Werbung, Verlautbarung oder pure Ästhetik. Bedeutende Künstler schufen Schriften, die nach ihnen benannt wurde und deren Werke immer noch weit verbreitet sind. Claude Garamond (1480 – 1561) etwa, dessen Schrift zu den weltweit verbreitetsten gehört, oder François Didot (1730 – 1804), der das heute noch gültige Maßsystem (der typographische Punkt = 0,375 mm) einführte, um die Schriftgrößen zu vereinheitlichen. Als die ersten Computer auf den Markt kamen, unterschätzten selbst die meisten ihrer Entwickler das Potential dieser „dummen Rechenmaschinen“. Dann jedoch gingen mit der Einführung der Computer in das Zeitungswesen die Londoner Drucker auf die Straße, weil sie als erste erkennen mussten, dass diese Geräte mehr konnten als unendlich lange Zahlenreihen zu addieren: Sie veränderten die Schrift und zerstörten traditionelle Berufe. Kaum ein Mensch schreibt heutzutage lange Texte von Hand oder gießt den Satz aus Blei. Es wird vom Schreibtisch aus publiziert: das „Desk Top Publishing“, kurz DTP, hat Gutenberg beerbt. Zumindest auf der Produktionsseite. Seit wenigen Jahren jedoch hat die Ansicht einen erheblichen Rückschlag erlitten, die davon ausgeht, dass auch das Ergebnis des DTP immer in Papierform münden müsse. Der Leser selbst, verwöhnt durch schnelle und noch schnellere Produktionszeiten, die der Computersatz möglich macht, steht vor einer neuen Herausforderung. „Was soll ich tun, mein Kunde möchte von meinen Internetseiten einen Probeausdruck!“, klagt ein Webdesigner und bringt damit das Dilemma auf den Punkt: Zwar erlaubt die Abbildung der Schrift auf dem Monitor in beinahe druckreifer Darstellung, das „WYSIWYG“ („What you see is what you get“), eine genaue Kontrolle des Druckergebnisses, sie macht den Druck jedoch nicht mehr unbedingt erforderlich. Immer noch ist jedoch der taktile Anspruch übermächtig, ein „ehrliches“ Buch in den Händen zu halten und als wahrhaftiger zu betrachten als die Darstellung auf dem Bildschirm. Die technologische Klippe, Schriften aller Sprachen auf allen Bildschirmen und Druckern ausgeben zu können, wird in den nächsten Jahren mit dem Ausbau der Unicode-Schriften umschifft sein; das weitaus schwerwiegendere Problem jedoch bleibt die Gewohnheit und natürliche Trägheit menschlichen Verhaltens: das Lesen. Die Qualität des Lesens auf dem Bildschirm – einmal abgesehen von der derzeit eher bescheidenen Darstellung auf WAP-Handys – hat enorme Fortschritte gemacht; auch hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem Druckbild. Ihren Kollegen auf dem Papier haben die Zeichen auf dem Schirm jedoch etwas voraus: sie sind vernetzt. Kein Buch erlaubt das Anklicken von Querverweisen, die automatisch die betreffende Seite öffnen, kein Buch erlaubt das Anklicken eines Bildes, das daraufhin einen kurzen Film einschließlich Ton abspielt. Kein Buch erlaubt das unbegrenzte Öffnen und Schließen eines Textes ohne Qualitätseinbußen. Kein Buch erlaubt die unbegrenzte Vervielfältigung ohne dass ein Baum dafür gefällt werden muss. Und kein Buch erlaubt das Kopieren von Inhalten ohne die äußere Form. Dabei werden gedruckte Bücher beileibe nicht überflüssig, im Gegenteil. Die Ruhe und Muße, die ein gedrucktes Buch verlangt, werden digitale Werke nie erreichen. Das Gewicht, den Geruch und die Imposanz eines klassischen Werkes lässt sich digital nicht imitieren. Die Grimm’schen Märchen verlieren ihre Wirkung, wenn man sie vom Monitor liest. Aber dennoch werden wir uns als Benutzer und Leser geschriebener Sprache daran gewöhnen müssen, einen Großteil unseres Wissens direkt vom Bildschirm zu holen statt es erst gedruckt wahrzunehmen. Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … archiv Typografie
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