Radtour Villach - Verona: Giro d‘improvvisazione 19.08.202028.11.2020 Eigentlich wollten wir in diesem Jahr durch Österreichs Alpen radeln: Drau, Mur, Inn… Eigentlich. Aber dann begannen wir ob der schlechten Wetteraussichten zu improvisieren. An sich ist Improvisation wertfrei und in vielen Gesellschaften außerhalb Deutschlands auch Teil des Alltags, bei Radreisen bedeutet es aber, dass die Ausrüstung nicht mehr zur Tour passt: wer sich darauf einstellt, Alpenpässe zu queren, hat nicht unbedingt Badesachen für den Strand dabei. Und da man beim Radreisen auf jedes Kilo Gepäck achten muss, das man mitschleppt, packt man nichts „mal eben so“ ein. In Zeiten von Covid-19 und dem nicht nur in Deutschland manchmal uneinsichtigen Verhalten der Mitmenschen droht jederzeit eine Änderung der Reiseregeln, sobald die Ansteckungszahlen steigen und die jeweiligen Gesundheitssysteme vorsorgen, um nicht unter der Last der Infizierten zusammenzubrechen und die Normalversorgung aufrecht zu erhalten. Daher wollten wir uns entgegen der ursprünglichen Planung nicht allzu weit von der deutschen Grenze entfernen, damit die Rückkehr innerhalb weniger Tage auch mit dem Rad möglich ist. So entschieden wir uns für eine nette und weitgehend harmlose Tour durch Österreich und starteten in Salzburg. Wo sonst? Die Tour sollte zunächst am Wolfgangsee vorbei die Mur aufwärts und dann über den Großglockner zurück führen. Mit Zelt, fast leerem Kocher, Schlafsack und warmen Sachen begann die Fahrt bei drückend schwülwarmer Luft auch recht vielversprechend, denn es waren für den Abend ein paar auffrischende Schauer angekündigt. Allerdings wurden im Laufe der Nacht in der Wettervorhersage aus den auffrischenden Schauern zunehmend schwere Regenfälle und Gewitter für die ganze Woche, die in den Bergen nicht nur ungemütlich, sondern auch gefährlich sind. Am ersten Abend erreichten wir planmäßig den Wolfgangsee – und planten um. Strobl am Wolfgangsee Improvisation ist auf Reisen keine spontane Entscheidung „aus dem Bauch heraus“, sondern das Ergebnis eine sorgfältigen Analyse der geänderten Situation und der eigenen Möglichkeiten. Ausschlaggebend war das Wetter, also mussten wir dorthin, wo das Wetter besser ist, ohne mit den Rädern eine lange An- oder Abreise zu riskieren. Es blieb daher nur die Flucht nach Italien, denn im Norden verbiss sich die Schlechtwetterlage in die Alpenketten und beglückte ganz Süddeutschland. Damit stand die Entscheidung fest: wir würden mit der Bahn nach Villach und von dort über den südlichen Alpenkamm durch Friaul nach Verona fahren. Und von Verona aus verkehren regelmäßig Züge über den Brenner nach München. Also radelten wir am zweiten Tag nach Bad Ischl und stiegen in die ÖBB, um die eigentliche Radreise anzutreten. Und tatsächlich: in Kärnten wurde das trübe und regnerische Wetter zusehends besser. Sogar so gut, dass wir wieder in der gleichen schwülwarmen (und damit gewittrigen) Luft unterwegs waren. Das ist schweißtreibend, vor allem wenn es stetig aufwärts geht, denn unser Etappenziel war Tarvisio auf der italienischen Seite, also bereits südlich des Alpenkamms. Friaul Das kleine Städtchen Tarvisio ist ein Opfer der großen Verbindungsstraße und des Autobahntunnels unterhalb des Orts, durch den der Tourismus und Warenverkehr ununterbrochen rauscht – und damit an Tarvisio vorbei. Da das Dorf geografisch günstig liegt, war es lange ein wichtiger Zwischenhalt bei der Querung der Alpen zwischen Kärnten und Friaul. Jetzt ist es nur noch ein Dörfchen, das sich als Ausgangspunkt für Wanderungen an der slowenischen Grenze eignet. In Tarvisio übernachteten wir notgedrungen befestigt, was in Coronazeiten zwar die Infektionsgefahr erhöht, aber uns vor den heftigen Regenfällen schützte, die in der Nacht niedergingen. Tagsüber klarte es dann auf und Italien zeigte sich von seiner schönsten Seite: die Dolomiten sind auf der Ostseite touristisch nur wenig ausgebaut, hier machen vor allem die Venetier Urlaub, denen es am Strand zu voll ist. Dass in diesem Jahr der ausländische Tourismus fast vollständig zusammengebrochen ist, hat auch seine positiven Seiten, vor allem für Radreisende und die Natur… Je tiefer wir aber kamen, desto wärmer wurde es auch. Und im Gegensatz zur Westseite der Dolomiten ist die Ostseite nicht mit lieblichen Obstplantagen bestückt, sondern mit norditalienischem Alltag: Industriegebiete, Sägewerke und Autoreparaturwerkstätten. Das merkt man dann deutlich, wenn man die ausgedehnten Kiesbette des Tagliamento verlässt. Ab hier helfen zwar die recht gut ausgeschilderten Radrouten (vor allem der I‑2 und der I‑4), den gröbsten Straßenverkehr zu vermeiden, aber das Radnetz ist doch noch sehr dünn – und touristische Anlaufpunkte eher spärlich. Morgens am Tagliamento A propos Radwege: wer meint, hinter den Alpen begänne die Poebene, kennt Italien nur aus der rollenden Blechdose. Um eben jenen Straßenverkehr zu vermeiden, führen die italienischen Radwege in dieser Gegend gerne über alle Hügel und Anstiege, die zur Verfügung stehen. Das ist ein Traum für Rennradler, auch wenn die Straßen innerhalb von Ortschaften wie Coneglione oft sehr zu wünschen übrig lassen, aber bei über 30 °C mit schwerem Rad wird der Traum eher älplich.1 Asolo Hinter dem Piave ändert sich zunehmend die Landschaft: die Kiesbette werden weniger und der Boden sandiger. Dafür erstrecken sich jetzt die bekannten italienischen Weinanbaugebiete bis zum Horizont, denn die Weinstöcke finden hier ausgezeichnete Bedingungen vor – was sich unschwer am Geschmack erkennen lässt. Ein überaus lohnender Zwischenhalt auf der Strecke ist Asolo, das vor allem als Mekka der einheimischen Rennradler gilt, denn nach einigen sehr kernigen Anstiegen erreicht man eine weitgehend erhaltene mittelalterliche Stadt mit einem sehr lebendigen Stadtkern und engen Gassen. Überflüssig zu erwähnen, dass die Cafés fast ausschließlich von bunt gekleideten Drahteselbesitzern bevölkert werden, die dem Marktplatz ein charmant-entspanntes Flair verleihen, auch wenn man sich in Italien sonst nur mit Autos fortbewegt… Der Marktplatz von Asolo Kurz vor Cavazzale begann der Himmel allerdings unheilvoll dunkel zu werden: aus den Wolkenhaufen wurde eine schwarzgraue Wolkenwand, an deren Grenze wir uns in südwestlicher Richtung entlangzumogeln versuchten. Allein, es half nichts: Ein Wolkenbruch mit sturzbachartigen Schauern und Hagel trieb uns unter ein Eingangstor, unter dem wir uns mit Helm und Fahrradgepäck vergeblich gegen das Gewitter zu schützen versuchten. Völlig durchnässt erregten wir aber Mitleid bei einer einheimischen Familie, die uns spontan auf einen Tee und Handtücher einlud (auch an dieser Stelle: Mille Grazie!). Wir beschlossen daher, die Etappe vorzeitig zu beenden und übernachteten im letzten Hotel am Ort, das seine Blüte zu Zeiten von Sofia Loren erlebt haben musste, aber jetzt eher den Charme eines Horrorklassikers versprüht. Egal, Hauptsache trocken. Einschub: Aufgrund der Änderung unserer Route waren wir für die Streckenplanung ausschließlich auf die App Komoot angewiesen. Das bedeutet auch, dass nicht nur die Route, sondern auch die Planung der Unterkunft („Gibt es in der Nähe des Etappenziels einen Zeltplatz?“) online per Smartphone erfolgen muss. Man ist daher nicht nur auf ein funktionierendes Netz angewiesen (kein Problem in Italien), sondern auch auf die Aktualität der Informationen – hier: der Campingplatzbetreiber, die über Yelp von der App angeboten werden. Damit wird die Planung zwar zu einem Kinderspiel, vor allem, da Komoot auch die Streckenplanung an das Ziel anpasst, aber eine Radreise ist kein Fixum. Man sollte eine Radreise daher auch planungstechnisch nie „auf Kante nähen“, um immer genügend Raum für Unvorhersehbares zu haben. Verona Und es war gut, dass wir erst am folgenden Morgen nach Vicenza kamen, denn so waren wir die ersten in einer sowieso vom fehlenden Tourismus gebeutelten Stadt und hatten genügend Zeit, uns das Teatro Olimpico anzusehen, dem vermutlich ersten nach der Antike freistehend gebautem Theater Europas. Da sich in diesem Jahr aufgrund von Covid-19 nur wenige nicht-italienische Besucher einfinden, leidet zwar einerseits der Tourismus ganz besonders, andererseits aber lässt es den Besuchern wesentlich mehr Zeit und auch Muße, die Sehenswürdigkeiten zu betrachten. An Soave vorbei nahmen wir dann Kurs auf das Ziel unserer Reise, Verona. Von dort wollten wir dann am kommenden Tag mit der Bahn über den Brenner zurück fahren. Auch die Bahnfahrkarten lassen sich ja bequemerweise direkt per Smartphone erstehen, so dass wir den späten Nachmittag damit verbrachten, die Räder durch Verona zu schieben und uns das berühmte Amphitheater anzuschauen. Aber auch in Verona fiel uns sofort die Leere auf: Asiatische Touristen sind selten, amerikanische Touristen gibt es gar nicht mehr und nur noch ab und zu schallen ein paar deutsche Wortfetzen durch die erstaunlich leeren Gassen. Die Hälfte der Lokale ist geschlossen und in den geöffneten stehen die Tische vorschriftsmäßig so weit auseinander, dass man sich an eine Filmkulisse erinnert fühlte, in der die Komparsen szenegerecht drapiert werden, um einen vordergründigen Eindruck von Geschäftigkeit zu vermitteln. In diesem Jahr gehörte Italien den Italienern. Aber die sind ja Meister der Improvisation… Natürlich könnte man ein eBike benutzen, aber Ladestationen sind in dieser Gegend rar. Wir sahen daher auch nur wenige eBikes, was natürlich auch daran liegen könnte, das dieses Fortbewegungsmittel oft ein Spielzeug für betuchte Städter und Rentner ist – beide sind in dieser Gegend selten. ↩Teilen mit:MastodonWhatsAppE‑MailMehrDruckenLinkedInTelegramPinterestGefällt mir:Gefällt mir Wird geladen … Radreise unterwegs FahrradItalienRadreiseWetter
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